© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Beim Atomausstieg gespalten
Schweiz: Am 27. November dürfen die Eidgenossen über die Zukunft der Kernkraftwerke entscheiden, doch sie tun sich schwer damit
Curd-Torsten Weick

Die Schweizer Grünen sind sich sicher: Es gibt drei „Top-Gründe für einen Ausstieg aus der Atom­energie“. Zum einen sorge der „geordnete Atomausstieg“ für Sicherheit und schütze die Heimat. Zweitens schaffe er einen vernünftigen Zeitplan für einen schrittweisen Ausstieg, indem er der Atomkraft mit 2029 ein Ablaufdatum setzt. Drittens sei er machbar, denn die „neuen Technologien“ hätten sich bewährt. Überhaupt, so die Grünen weiter, müsse der Bund seine Energiepolitik auf weniger Verbrauch, mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien ausrichten.

Doch sehen das die Eidgenossen genauso? Am 27. November dürfen sie jedenfalls über die grüne Initiative abstimmen. 

Bundesregierung (Bundesrat) und Parlament empfehlen jedenfalls die Initiative abzulehnen. Der Nationalrat hat bereits die Initiative mit 134 zu 59 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt, der Ständerat ebenfalls mit 32 zu 13 Stimmen ohne Enthaltung.

Bundesrätin Doris Leuthard (CVP)verwies vor diesem Hintergrund darauf, daß  bei Annahme der Initiative die Kernkraftwerke (AKW) Beznau 1 und 2 sowie Mühleberg bereits im Jahr 2017 abgeschaltet werden müßten. Das AKW Gösgen dann 2024 und Leibstadt 2029. 

Diese übereilte Abschaltung der Schweizer AKW weist die Christdemokratin im Namen ihrer Regierungskollegen zurück. 

Grund für die Ablehnung sei, daß  der wegfallende Strom nicht rasch genug mit Schweizer Strom aus erneuerbaren Energien ersetzt werden könne. Daher müßte die Schweiz in den nächsten Jahren eine größere Menge Strom importieren. Dies schwäche nicht nur die Versorgungssicherheit, sondern wäre zudem ökologisch nicht sinnvoll, da ausländischer Strom oft aus Kohlekraftwerken stamme. 

Eine übereilte Abschaltung hätte zudem zur Folge, daß die Betreiber vom Bund und damit vom Steuerzahler Entschädigungen für Investitionen fordern könnten, die sie im Vertrauen auf die heutige Regelung getätigt hätten. Die Regierung setze dagegen auf einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie. Einen Ausstieg, der der Schweiz die für den Umbau der Energieversorgung nötige Zeit gebe.

Nach dem Reaktorunfall von Fuku-shima 2011 hatte die Schweizer Regierung beschlossen, aus der Kernenergie auszusteigen. Die bestehenden AKW sollen der sogenannten „Energiestrategie 2050“ zufolge so lange am Netz bleiben, wie ihre Sicherheit es zulasse. 

Gerade dies sehen die Grünen als Manko und betonen, daß schwere Atomunfälle immer wieder passieren könnten. Die Folgen für die Schweiz seien nicht auszudenken: „Die Region um die fünf Schweizer AKW ist dicht besiedelt. Im Umkreis von 50 Kilometern liegen 13 Kantonshauptstädte. Bei einem schweren Nuklearunfall müßten bis zu eine Million Menschen evakuiert werden, große Teile des Landes würden radioaktiv verseucht.“ Doch ausgerechnet die Schweiz leiste sich den ältesten AKW-Park der Welt. 

Angaben des Schweizer Fernsehens SRF und der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG zufolge standen die Chancen der Atomausstiegs-Initiative vor Wochen gut, sanken aber in jüngster Zeit. Die Nein-Seite konnte in den vergangenen Wochen kräftig zulegen. Der Vorsprung der Befürworter von 21 Prozentpunkten schmolz auf noch zwei Prozentpunkte. Trotz des Trends zum Nein sei der Abstimmungsausgang offen.