© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Die Amerikaner „erschufen“ den IS
Iran: Die Schutzmacht der schiitischen Minderheiten versucht ihren Machtbereich zu erweitern
Marc Zoellner

Eigentlich wird Mohammed  Emami-Kashani zu den Reformern gezählt: zu jenen Kräften innerhalb des Iran, die im Anschluß an die Politik des ehemaligen Staatspräsidenten Mohammad Chatami für freiere Wahlen und die rechtsstaatliche Einhaltung oder gar Ausweitung fundamentaler Menschenrechte in der seit beinahe schon 40 Jahre autoritär regierten schiitischen Theokratie eintreten. Ebenso wie für eine moderatere Politik und eine Öffnung des Iran insbesondere der westlichen Wertegemeinschaft gegenüber. Diese Ziele auf der Fahne, hatte sich der populäre Ayatollah noch Anfang des Jahres zur Wahl zum Wächterrat gestellt – und nach dem Spitzenkandidaten der Reformer, Akbar Rafsandschani, sogar den zweiten Platz in Teheran erkämpfen können (JF 10/16).

Teheran fürchtet härtere US-Gangart durch Trump 

Um so überraschter zeigte sich nicht nur das reformistische Lager des Iran, als Emami vergangenen Freitag zum betont unmoderaten Konter gegen die Vereinigten Staaten ausholte. Denn nicht der Iran, verkündete der Kleriker zum Abendgebet in Teherans größter Moschee, sondern die USA seien als Wurzel und größter Unterstützer des Terrorismus im Nahen Osten zu benennen. „Die Amerikaner verüben Verbrechen in Syrien, im Jemen und in anderen Staaten“, so Emami, und „sie selbst“ hätten den Islamischen Staat „erschaffen und trainiert“.

Tatsächlich hatte Emamis rhetorischer Frontalangriff auch einen tagesaktuellen Grund: Denn seit im Januar dieses Jahres die internationalen Sanktionen gegen den Iran gelockert worden sind, genießt das Land einen deutlichen Wirtschaftsaufschwung – spürbar nicht nur im Wachstum mit einer Quote von 4,2 Prozent, sondern ebenfalls in den Konsumentenpreisen, die im Vergleich zum Vorjahr sogar um knapp 13 Prozent sinken konnten. Maßgeblich eingefädelt – und sehr zur Verärgerung der Republikanischen Partei – hatte den irangünstigen Atomdeal Amerikas scheidender Präsident Barack Obama.Doch die Pläne Teherans, bis 2020 das Bruttoinlandsprodukt um acht Prozent pro Jahr anzukurbeln, könnte eine ebenso überraschende Wende in der Außenpolitik Washingtons alsbald rasant ausbremsen. 

Ein erster Schritt zur ernsten Verstimmung Teherans erfolgte kurz nach der Wahl des Republikaners Donald Trump zu Obamas Nachfolger und nur drei Tage vor Emamis Freitagspredigt: Mit einer überragenden Mehrheit von 419 zu einer Stimme beschloß das US-Repräsentantenhaus vergangenen Dienstag, den seit 1996 bestehenden und von Obama ausgesetzten Iran Sanction Act (ISA), die Verordnung über die Sanktionierung des Iran, für die kommenden zehn Jahre neu zu bevollmächtigen. Für Trump, der den Atomdeal bereits im Wahlkampf als „das bescheuertste Abkommen, das ich je gesehen habe“, verhöhnt hatte, bedeutet obige Abstimmung einen ersten Sieg seiner konfrontativen Programmatik gegen die schiitische Theokratie. Für den Iran hingegen einen eindeutigen Rückschlag auf internationalem Parkett.

Denn mit der Rückkehr ins Fadenkreuz der Sanktionen könnte auch das wirtschaftliche Wachstum des Iran vehement verebben: Und somit ebenfalls die iranischen Bestrebungen nach einer hegemonialen Vormachtstellung im Nahen Osten. Schon jetzt erweisen sich die militärischen Interventionen Teherans in dessen Nachbarschaft nicht nur als abenteuerlich, sondern auch als kostspielig. Allein in Syrien unterhält der Iran zur Unterstützung des Machthabers Baschar al-Assad, eines der engsten Verbündeten des Teheraner Regimes, knapp 3.000 Soldaten, Offiziere und Paramilitärs. Deren Verluste im Kampf gegen Rebellen und IS-Terroristen beziffern sich seit 2013 auf rund 700 Mann.

Sich als Schutzmacht der schiitischen Minderheiten der Levante definierend, leistet die iranische Regierung überdies finanzielle sowie logistische Beihilfe für die Huthi-Milizen im Jemenkonflikt; zumindest, wenn man den durchaus nicht unbegründeten Anschuldigungen der saudi-arabischen Kriegspartei Glauben schenken mag.

Das Gros des iranischen Interventionskapitals fließt jedoch weiterhin in den Irak. Gut 60 Prozent der 36 Millionen Einwohner des mit dem Iran benachbarten Zweistromlandes bekennen sich hier zum schiitischen Glauben. Deren paramilitärische Milizen, die Volksmobilmachung, die sich nach dem Vormarsch des IS im Irak formierten, zählen US-Angaben zufolge bereits über 100.000 bewaffnete Mitglieder – welche, sehr zum Mißfallen Washingtons, unter direktem Einfluß Teheraner Finanzen und Befehlshaber agieren.

Moskau und Peking loben Irans Politik 

„Das Ergebnis der Politik der Oba-ma-Regierung war, [im Krieg gegen den IS] amerikanische Stiefel auf dem Boden durch iranische zu ersetzen“, erklärte der Terrorexperte Thomas Joscelyn von der US-Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies kürzlich in einem Interview mit Fox News. „Der Iran schreitet hier voran, und ein antiamerikanischer Protagonist wird somit durch einen anderen ersetzt.“

Die neueren US-Sanktionen könnten den Iran von daher zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt treffen: Immerhin investiert Teheran die erhofften künftigen Deviseneinnahmen bereits großzügig in die Modernisierung und Aufrüstung seines eigenen Militärs. Allein mit Rußland stehen derzeit Gespräche über Waffenlieferungen im Wert von zehn Milliarden US-Dollar an – für Panzer, Flugzeuge, Helikopter und schwere Artillerie. Und auch mit China plant der Iran eine künftig engere militärische Zusammenarbeit. Der Iran, lobte Pekings Verteidigungsminister Chang Wanquan vergangene Woche auf einer Stippvisite in Teheran, „das größte und wichtigste“ islamische Land der Region, werde von China nunmehr als „erste Macht“ des Nahen Ostens betrachtet.