© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Vorteil für die Täter
Mordfälle in Freiburg: Aus Gründen des Datenschutzes dürfen die Ermittler das genetische Spurenmaterial nicht vollständig auswerten
Martina Meckelein

Haben sie geschrien? Haben sie um ihr Leben gebettelt? Oder waren sie stumm und starr vor Todesangst? Niemand weiß es. 

Zwei Frauen wurden in der badischen Universitätsstadt Freiburg innerhalb von drei Wochen vergewaltigt und getötet. Sie waren jung, hatten ihr Leben noch vor sich. Der oder die Täter sind wie vom Erdboden verschwunden. Jagen sie schon wieder Frauen? Ihnen auf den Fersen sind 80 Ermittler, die an der Aufklärung der Fälle arbeiten. Und die Zeit vergeht – wertvolle Zeit. Wer ist hier Jäger und wer ist Gejagter? Dabei haben die Fahnder in einem Fall eine wichtige, eine unbestechliche Spur. Einen genetischen Fingerabdruck! Doch den dürfen deutsche Kriminalisten nur zu einem Teil auslesen. Der deutsche Datenschutz macht sie blind.

Rückblick: Am 16. Oktober radelt die 19jährige Medizinstudentin Maria L. frühmorgens von einer Universitätsfeier in Freiburg nach Hause. Doch dort kommt sie nie an. Eine Spaziergängerin entdeckt später ihre Leiche in dem Fluß Dreisam. Die junge Frau wurde laut Rechtsmedizin zuvor vergewaltigt. Die Gerichtsmediziner können DNS-Spuren sicherstellen.

Begründet mit der Angst     vor der Gentechnik

Keinen Monat später, am 6. November, joggt die 27 Jahre alte Carolin G.  am Sonntag nachmittag für eine Stunde durch den Wald. Sie kehrt nie nach Hause zurück. Abends meldet ihre Familie sie als vermißt. Vier Tage später wird ihre Leiche in einem kleinen Wald zwischen ihrem Wohnort Endingen und Bahlingen entdeckt. Auch Carolin G. wurde vergewaltigt und getötet.

Das Polizeipräsidium Freiburg setzt zwei Sonderkommissionen ein. Für Maria L. die Soko „Dreisam“, für Carolin G. die Soko „Erle“. Die Beamten arbeiten mit Hochdruck. Die Soko Erle geht 570 Spuren und Hinweisen nach, die Soko „Dreisam“ hat bisher 940 Zeugen befragt, über 1.000 Spuren gesichert.

Eine dieser Spuren im Fall Maria L., die der Soko „Dreisam“ helfen könnte die Tat aufzuklären, ist das gesicherte DNS-Material. „Wir selbst überprüfen die DNS-Spuren nicht“, erläutert Laura Riske, Sprecherin des Polizeipräsidiums Freiburg, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Die Auswertung läuft über das Landeskriminalamt. Sie beinhaltet die DNS-Spur selbst und das Geschlecht“, so Riske.

1998 wurde in Deutschland die „DNA-Analyse-Datei“ (DAD) beim Bundeskriminalamt eingerichtet. In dieser Datei werden DNS (Desoxyribonukleinsäure)-Muster von bereits verurteilten Straftätern, Beschuldigten und Tatortspuren gespeichert, über 1,16 Millionen Datensätze seit 1998. Die am Fundort der 19jährigen Studentin Maria L. gefundene genetische Spur wurde mit den gesammelten Genspuren in der DAD verglichen. Kein Treffer! Heißt: Der DNS-Spurenverursacher ist bisher nicht in der DAD-Datei erfaßt. „Weitere Merkmale dürfen innerhalb des DNS-Strangs nicht ausgewertet werden“, sagt Riske. Grund: die Strafprozeßordnung (StPO).

Im Bundesjustizministerium schildert die Sprecherin des Ministeriums Juliane Baer-Henney, zuständig für Strafrecht, gegenüber der jungen freiheit die Sachlage: „Der Paragraph 81g Strafprozeßordnung verbietet die Bestimmung nach Größe, Haaren, Augenfarbe und Ethnie.“ Die Argumente gegen das weitere Auslesen der DNS stehen in der „Zielsetzung“ des Strafverfahrensänderungsgesetzes zum genetischen Fingerabdruck aus dem Jahr 1995. Dort heißt es: „Die in weiten Teilen der Bevölkerung anzutreffenden, mit der Gentechnik ganz allgemein verbundenen Ängste und Befürchtungen vor übermäßigen, den Kern der Persönlichkeit berührenden Eingriffen, legen aber eine besondere gesetzliche Regelung der DNS-Analyse für die strafprozessuale Nutzung nahe, die die Voraussetzungen und Beschränkungen, die sich für den einzelnen aus der Durchführung einer solchen Untersuchung ergeben, klar festschreiben.“

Nun mögen die Datenschutz-Befindlichkeiten der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit den heutigen übereinstimmen. Der Fortschritt in der Forensik, also der kriminalistischen Forschung, tut es nicht. Heute ist es möglich, Augen- und Haarfarbe, Alter, Größe und Ethnie mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit aus den DNS-Spuren herzuleiten.

Doch eine Änderung des Paragraphen 81g StPO schließt Baer-Henney aus: „Es ist ein furchtbarer Fall. Ich kann die Forderung nach einer Ausweitung der DNS-Untersuchung verstehen, aber grundsätzlich sieht das Gesetz keine Ausnahmen vor. Die Gesetze sind unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit zustande gekommen.“

Was bleibt dann noch übrig? Der Paragraph 81h Strafprozeßordnung. Der regelt die Anordnung des Massengentests. Voraussetzung hier ist allerdings ein bestimmtes Täterprofil, das durch Opfer- oder Zeugenaussagen, durch Anwesenheit während einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort schon vorgegeben sein muß. Wie im Fall von Maria L., der Medizinstudentin aus Freiburg. Vergangene Woche setzten Fahnder einen speziellen Spürhund ein. Er führte auf einer 5,5 Kilometer langen Strecke die Polizei vom Tatort beim Schwarzwaldstadion bis in einen Biochemie-Hörsaal der Uni Freiburg. Von den anwesenden rund hundert männlichen Studenten gaben fast alle freiwillig eine Speichelprobe ab, dazu gezwungen werden kann niemand.

Kriminalisten in Holland dürfen weitaus mehr mit der DNS anfangen.  Seit 2003 werden dort sogenannte phänotypische Merkmale, also Augen-, Haarfarbe und aus welcher Region der Gesuchte stammt, analysiert. 





Genetischer   Fingerabdruck

Unsere Zellen tragen den Bauplan des gesamten Körpers in sich. Diese Erbinformation, sogenannte Desoxyribonukleinsäure (deutsch: DNS, englisch: DNA) ist im Zellkern gespeichert. Die DNS ist einzigartig (außer bei eineiigen Zwillingen), ähnlich einem Fingerabdruck. Diesen Fingerabdruck lesen Gerichtsmediziner aus. Automatisch mitbestimmt wird dabei das Geschlecht. Möglich wäre es, auch die Ethnie einzugrenzen und so Hinweise auf das Aussehen des Täters zu geben.