© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

Eine Marke für Protest
AfD: In Baden-Württemberg kürt die Partei erste Kandidaten für die Bundestagswahl / Bundesvorstand plädiert für „Spitzenteam“
Michael Paulwitz, Christian Vollradt

Kehl am vergangenen Samstag: Während drinnen die Diskussionen beim Parteitag der baden-württembergischen AfD weitergehen, interviewen sich frustrierte Journalisten gegenseitig, und ein Fernsehredakteur läßt seinen Kameramann die dunklen Regenwolken über der Stadthalle im Zeitraffer filmen. 

Trotz zweier Anläufe zur Revision bekräftigten die Delegierten mit einer Mehrheit von 60 Prozent das Zutrittsverbot für Medienvertreter. Ein Novum bei einer im Stuttgarter Landtag vertretenen Partei. Es könnten Kandidaten mit „abstrusen Ansichten“ auftreten und die Presse deswegen ein „einseitiges Stimmungsbild“ zeichnen, so eine erste Begründung, die dann von der Pressestelle kurz danach wieder dementiert wurde. „Wir machen unser Ding“, erklärte Landessprecher Lothar Maier gegen Mittag kurz den wartenden Journalisten und verweist auf die FPÖ, die bei ihren Parteitagen auch gern unter sich bleibe. Man hätte sich die Entscheidung „anders gewünscht“, versichern Jörg Meuthen und Fraktionskollege Heinrich Fiechtner. 

„Wir hätten nichts zu verbergen gehabt“

Wenig gastfreundlich zeigt sich auch die Stadt Kehl. Rund 250 Gegendemonstranten hatten Verdi, SPD, Linkspartei und Linksextremisten mobilisiert. Die Medien schreiben von „friedlichen Protesten“, Parteitagsteilnehmer berichten von Spuckattacken und tätlichen Übergriffen auf anreisende AfD-Mitglieder.

Die wählten wie erwartet die Wirtschaftswissenschaftlerin Alice Weidel auf Platz eins der Landesliste. Das 37jährige Mitglied des Bundesvorstands setzte sich mit einer Zweidrittelmehrheit gegen drei Konkurrenten durch. Auch die übrigen Mitglieder des vorher vereinbarten „Spitzenquartetts“ (JF 47/16) waren erfolgreich: Landessprecher Lothar Maier erhielt über 400 Stimmen. Auf Platz 3 setzte sich Landesvize und AfD-Vordenker Marc Jongen mit 320 Stimmen klar gegen den Freiburger Rechtsanwalt Dubravko Mandic durch, der sich kritischen Fragen zu seinen radikalen Facebook-Einträgen stellen mußte. Den vierten Listenplatz sicherte sich das Landesvorstandsmitglied Markus Frohnmaier, Bundesvorsitzender der Jungen Alternative. Auf Platz 5 folgt Thomas Seitz, der als Vertreter des „rechten Flügels“ gilt. 

Auch der aus der AfD-Fraktion ausgeschlossene Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon kandidierte für die Liste. Teilnehmern zufolge mußte er sich die Frage stellen lassen, ob er der Partei nicht schon genug geschadet habe. Vereinzelt habe es Buh-Rufe gegeben. Für Gedeon stimmten lediglich 40 Delegierte. 

Bis Listenplatz 9 erfolgte am Wochenende die Kandidatenkür, die am 18. und 19. Februar 2017 in Esslingen fortgesetzt werden soll. „Alle neun gewählten Kandidaten sind respektabel und in der Lage, unsere Partei gut im Bundestag zu vertreten“, äußerte sich der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT zufrieden. Meuthen, der sich im Vorfeld gegen den Ausschluß der Presse ausgesprochen hatte, meinte, man hätte auch gut öffentlich tagen können: „Wir hätten nichts zu verbergen gehabt.“ Manche Vorstellungsreden seien allerdings „zum Fremdschämen“ gewesen, ist von anderen Versammlungsteilnehmern zu hören. Doch über die Gewählten äußern sich die meisten positiv: Diese Landesgruppe, so ein Beobachter, habe gute Chancen, besser und stabiler als die Landtagsfraktion in Stuttgart zu werden. 

Die hatte zuletzt mit Berichten über tätliche Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten für negative Schlagzeilen gesorgt (JF 47/16). In diesem Zusammenhang legt der in die Kritik geratene AfD-Politiker Stefan Räpple wert auf die Feststellung: „Ich habe niemals versucht, meinen Fraktionskollegen Herre umzustoßen und niemals gesagt, daß ich Abgeordnete im Bundestag am liebsten aufhängen lassen würde.“ 

Unterdessen sind auch auf Bundesebene Ende vergangener Woche wichtige Entscheidungen gefallen. „Die Leute wählen kein einzelnes Gesicht, sondern drei Buchstaben“, begründete Bundesvize Alexander Gauland das Vorhaben, mit einem „Spitzenteam“ in die Bundestagswahl zu ziehen. Die AfD sei „eine Marke für Protest und für eine alternative Politik“, ergänzte er. 

Ein Spitzenkandidat oder eine Spitzenkandidatin seien immer nur dann sinnvoll, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß man den Kanzler stellen kann, so Gauland. In der AfD sei unumstritten, „daß wir auf die Oppositionsbank gehören.“ Einigkeit herrscht unter der Mehrheit der Vorstandsmitglieder, daß die Partei-Co-Vorsitzende Frauke Petry und Gauland in dieser Team-Lösung gesetzt sind. Wer darüber hinaus noch dazugehören soll, sei dann zunächst Gegenstand weiterer Beratungen. Das Team, so sieht es Bundesvorstandsmitglied Armin-Paul Hampel, „soll die Vielfalt der Partei widerspiegeln“. Der Beschluß des Vorstands ist nur eine Empfehlung an den Parteitag, der im April stattfindet. Ob die Basis dies genauso sieht oder doch für einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin votiert, steht auf einem anderen Blatt. Alexander Gauland meint allerdings die Befindlichkeit der Mitglieder zu kennen: „Die Partei hat immer dann revoltiert, wenn nur einer an der Spitze stehen wollte.“

Durchkreuzt hat allerdings der am Wochenende in Fulda zusammengetretene Konvent die Pläne der Parteispitze gegenüber der wegen seiner Nähe zu Rechtsextremen kritisierten Saar-AfD (JF 45/16): Deren Landtagswahlkampf soll mit 100.000 Euro unterstützt werden, beschloß das Gremium. Während Frauke Petry vehement für die offizielle Linie des Bundesvorstands plädiert hatte, vertrat ihr Vorstandskollege Hampel die Auffassung, der Saar-Landesverband dürfe aufgrund der Schiedsgerichtsentscheidung nicht schlechter gestellt werden.