© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/16 / 25. November 2016

„Ein ganz enormer Vormarsch“
Kritiker fürchten, mit Trump übernimmt die „Alternative Right“ die Macht in den USA. Zu Recht? Wer ist diese Bewegung? Der US-Politologe Paul Gottfried hob ihren Namen einst aus der Taufe
Moritz schwarz

Herr Professor Gottfried, regiert die sogenannte Alternative Rechte jetzt die USA?

Paul Gottfried: Nein. 

Aber unter Donald Trump gelangt mit Stephen Bannon erstmals ein Vertreter dieser Bewegung, der „Alternative Right“, als Chefstratege ins Weiße Haus.

Gottfried: Ist es denn tatsächlich die „Alt-Right“, wie sie sich abkürzt, die mit Bannon ins Weiße Haus einzieht, oder ist es nicht eben einfach nur seine Person?

Sie meinen, Bannon wird eher auf Distanz zur „Alt-Right“ gehen, als die Ideen der Bewegung in die Politik einzuspeisen?

Gottfried: Das ist die zentrale Frage, die sich derzeit jeder stellt. Und die Frage ist auch: Kennt Trump die Ideen der „Alt-Right“ überhaupt? Nimmt er sie ernst? Ich würde sagen, er versteht wohl nicht viel von der amerikanischen Rechten. Eigentlich ist er ein Geschäftsmann und hat sich mit diesen ideologischen Dingen nie viel beschäftigt. 

Warum hat er Bannon dann berufen?

Gottfried: Weil der ein guter Stratege ist. Und wegen Bannons Streit- und Angriffslust als Chef des „Alt-Right“-Internetportals Breitbart, das der im Wahlkampf in Trumps Dienste gestellt hat.

Laut Clinton „übernimmt“ nun der „radikale Rand die Republikanische Partei“. 

Gottfried: Davor hat Hillary in einer Wahlkampfrede gewarnt. Aber das ist Unsinn. Wissen Sie, es ist geradezu ein Ritual, daß demokratische Kandidaten vor ihren republikanischen Konkurrenten als eine Art zweiter Hitler warnen. 

Gleichwohl gilt Clintons Rede als Durchbruch für die „Alt-Right“.

Gottfried: Richtig, dank Clinton hat die Öffentlichkeit so erstmals wirklich Notiz von ihr genommen. Einige „Alt-Right“-Vertreter haben sich sogar ironisch bei Frau Clinton dafür bedankt.

Was genau ist die „Alt-Right“?

Gottfried: Es handelt sich um eine Vielfalt rechter und konservativer Grüppchen und Fraktionen, die von der „offiziellen“ konservativen Bewegung, also dem konservativen Mainstream in den USA, ausgeschlossen sind. 

Laut Associated Press stammt der Name der Bewegung von Ihnen. 

Gottfried: Das stimmt, ich habe 2008 in meiner Antrittsrede als Präsident der „Mencken“-Gesellschaft eine „Alternative Right“ für die USA gefordert. Übrigens: Henry Louis Mencken war ein bedeutender Journalist und Autor, ein tiefer konservativer Denker und scharfzüngiger Satiriker, der gerne auch das Establishment angriff. Er gilt als eine Inspirationsquelle der „Alt-Right“. 

Das amerikanische „Frontpage Magazine“ bezeichnet Sie gar als deren Schöpfer. 

Gottfried: Schöpfer des Namens, ja – der Bewegung, nein. In meiner Rede forderte ich wie gesagt eine „Alternative Right“, um den Kampf gegen die Linke mit Nachdruck aufzunehmen. Diesen Begriff hat dann mein damaliger Assistent Richard B. Spencer aufgenommen und popularisiert. Ich habe damit unfreiwillig die entstehende Bewegung benannt – doch weder gehöre ich zu ihr noch habe ich sie geschaffen.

Immerhin gilt Ihr Ex-Assistent, mit seiner Denkfabrik National Policy Institute und seiner Zeitschrift „Alternative Right“, heute als einer der Vordenker der „Alt-Right“. 

Gottfried: Ja, er zählt wohl, zusammen mit Jared Taylor, zu ihren Vordenkern. Dennoch ist seine Anhängerschaft begrenzt, sein Einfluß bereits wieder im Schwinden, und übrigens haben wir uns schon vor längerer Zeit getrennt. Wir stimmten politisch in vielem nicht mehr überein. Und sein jüngster Auftritt in einem Washingtoner Kongreßzentrum, bei dem er „Hail Victory!“, also „Sieg Heil!“, rief und einige Anhänger den Hitler-Gruß zeigten, hat mich entsetzt. Ich habe versucht, ihn zu beeinflussen, aber er ist seinen Weg gegangen. Ich selbst sehe mich nämlich vielmehr als Vertreter der alten Rechten, der „old Right“.  

Als solcher gelten Sie ebenfalls als Schöpfer des Begriffs „Paläokonservatismus“, der in der Ära Ronald Reagans und George W. Bushs als Gegenposition zum Neokonservatismus bekannt wurde. 

Gottfried: Ja, wir von der alten Rechten brauchten eine griffige Bezeichnung in der Auseinandersetzung mit den Neokonservativen – den Neocons –, die ab den achtziger Jahren zur einflußreichsten Strömung unter den amerikanischen Konservativen wurden. 

Ist die „Alt-Right“ möglicherweise nur ein neuer Name für die Paläokonservativen? 

Gottfried: Nein, die alte Rechte greift  ja eher auf die Zeit vor den fünfziger Jahren zurück. Die „Alt-Right“ ist dagegen eine ganz neue Sache. 

Die Zeitschrift „The New Republic“ attestiert der „Alt-Right“ allerdings „ideologische Wurzeln bei den Paläokonservativen“. 

Gottfried: Das stimmt schon, aber deshalb definiert der Paläokonservatismus die „Alt-Right“ nicht. Zwar stehen beide zum Beispiel gegen den weltweiten Interventionismus der USA im Namen der „Demokratie“, den die Neocons vertreten, aber es gibt auch viele Unterschiede zwischen uns paläokonservativen alten Rechten und der „Alt-Right“.  

Der „Weekly Standard“ beschreibt die „Alt-Right“ als „hochgradig heterogene Kraft, die den Moralismus der Linken auf den Kopf stellt – es als Ritterschlag versteht, ‘Rassist’ oder ‘Sexist’ genannt zu werden“. Und US-Politologen sprechen von einem „Umbrella-Term“, einem Schirm-Begriff, der verschiedene Strömungen überspannt. 

Gottfried: Genau, dazu gehört etwa die Richtung „White Identity“ – also der „Weißen Identitären“ –, ebenso wie die der Widerständler gegen die Political Correctness. Die „Alt-Right“ ist also kein einheitliches Phänomen, sondern vereinigt ganz unterschiedliche Strömungen, die nur durch gemeinsame Opposition gegen Linke und den etablierten Konservatismus verknüpft sind.

Laut Associated Press gibt es nicht nur einen negativen, sondern auch einen positiven gemeinsamen Nenner: „Weiße Identität“, „Opposition gegen Multikulturalismus“ und „Verteidigung westlicher Werte“.

Gottfried: Das beschreibt eher die Bandbreite, die man bei der „Alt-Right“ findet, als daß es ein gemeinsamer Nenner wäre. Denn den Weißen Identitären zum Beispiel geht es keineswegs um die westlichen Werte – außer man würde diese mit einem weißen Rassenbewußtsein beschreiben. Diejenigen wiederum, die für die westlichen Werte eintreten,  interessieren sich nicht für Rasse.

Was ist mit den konservativen Christen?

Gottfried: Die finden Sie dort kaum, sondern nach wie vor vor allem bei der etablierten Rechten. 

Was ist also dran am Vorwurf, die „Alt-Right“ bestehe vor allem aus Rassisten und Antisemiten?

Gottfried: Es stimmt schon, daß Sie dort auch solche Leute finden. Aber das ist eine Minderheit. Natürlich wird diese jedoch von den Gegnern der „Alt-Right“ stets in den Mittelpunkt gerückt, um die ganze Bewegung „anzubräunen“. 

Dem widerspricht aber doch der Washingtoner Auftritt Spencers eklatant!

Gottfried: Spencer spielt dieses Spiel mit, er will die Medien provozieren, um Aufmerksankeit zu gewinnen. Tatsächlich aber hat er sich durch sein Verhalten innerhalb der „Alt-Right“ längst isoliert.  Die Rassisten und Antisemiten in der Bewegung dienen als Popanz, mit dem Linke und Medien die Bewegung, in der sich eben auch sehr viele anständige Leute engagieren, gleichzusetzen versuchen. Und dann gibt es auch Leute wie Jared Taylor, der immerhin, wie gesagt, zu den Vordenkern gehört, der sich einen „white race realist“ nennt, also einen weißen Rasse-Realisten. Das heißt, er besteht einerseits darauf, daß die Weißen eigene Interessen haben, andererseits aber begegnet er den Schwarzen ohne Haß. Wie auch immer, man kann zwar sagen, daß die „Alt-Right“ derzeit nach den Neocons die bedeutenste Kraft der amerikanischen Rechten ist. Auf der anderen Seite aber spielt keine ihrer Strömungen in der Politik wirklich eine Rolle – bis auf die Gruppe um Stephen Bannon und sein Nachrichtenportal Breitbart.com, das in jüngster Zeit enorm an Reichweite zugelegt hat. Also ist eigentlich nur das politische Profil dieser Gruppe relevant.  

Bannon gilt in deutschen Medien als eine Art Haßprediger. 

Gottfried: Bannon ist weder Rassist noch Antisemit. Er ist vielmehr von einem abgrundtiefen Haß gegen die Political Correctness erfüllt und treibt liebend gerne seinen Spott mit den Linken.   

Wie kommt es zum Vorwurf des Antisemitismus, wenn der Gründer Breitbarts – Andrew Breitbart – als Jude erzogen wurde und bekennender Philosemit war?

Gottfried: Eben. Und tatsächlich sind die meisten Vertreter der „Alt-Right“ eher pro Israel, und es finden sich unter ihnen sogar nicht wenige Juden. Aber selbst das hindert die Linke nicht, auch diese als „Nazis“ einzuordnen. 

Unter George W. Bush bestimmten die Neocons die Außenpolitik. Warum könnte es der „Alt-Right“ nicht gelingen, ähnlichen Einfluß zu gewinnen?

Gottfried: Der Einfluß der Neocons ist nach wie vor weit, weit größer als der der „Alt-Right“, denn die verfügt weder über die zahlreichen Kontakte der Neocons in den Regierungsapparat noch über deren erhebliche Medienmacht – denken Sie etwa an den Sender Fox-News. Da kann die „Alt-Right“ nicht mithalten.   

Warum eint der Kampf gegen die Linke nicht „Alt-Right“ und Neocons?

Gottfried: Tja, beide Lager befinden sich in einem Zustand der Entfremdung, des Kampfes und der Konkurrenz. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie sich je verbünden werden. Die Neocons verbünden sich sogar lieber mit der Linken gegen die „Alt-Right“, als mit der „Alt-Right“ gegen die Linke. So ist die Lage.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen „Alt-Right“ und Tea-Party?

Gottfried: Nein. Im Gegenteil, die „Alt-Right“ verspottet die Tea-Party. Denn sie betrachtet diese lediglich als eine Art Wurmfortsatz des republikanischen Establishments. 

Und welches Verhältnis hat man zur Republikanischen Partei?

Gottfried: Die „Alt-Right“ ist bestrebt, sich von den Republikanern zu distanzieren. Für sie sind sie keine echten Konservativen, sondern „Weicheier“ und außerdem eben jenes Establishment, gegen das Trump angetreten ist.   

Aber Trump war der Kandidat der Republikaner.

Gottfried: Bei der „Alt-Right“ hat man stets betont, daß es Trump ist, den man unterstützt, nicht die Republikaner. Auch wenn viele im stillen nicht nur Trump, sondern vielfach auch deren andere Kandidaten gewählt haben.    

Warum hat die „Alt-Right“ nicht etwa den Rechtsaußen Ted Cruz unterstützt, der doch viel ideologischer ist als Trump und somit der „Alt-Right“ intellektuell näher stehen müßte, als ein eigentlich liberal sozialisierter New Yorker Geschäftsmann?

Gottfried: Etwa weil Cruz zunächst Abstand von der Einwanderungsproblematik hielt, ja ihm sogar anfangs eine eher liberal angehauchte Einwanderungsreform vorschwebte und er im Wahlkampf zudem versucht hatte, sich bei den Minderheiten einzuschmeicheln. 

Wird Trump die „Alt-Right“ enttäuschen, weil er als Präsident nicht das tut, was diese sich von ihm erhofft?

Gottfried: Das ist in der Tat das, was ich vermute. Trump ist einfach kein Überzeugungstäter, sondern hat sich lediglich aus opportunistischen Gründen mit der Rechten verbündet. 

Wenn die „Alt-Right“ außer Breitbart keine etablierten Institutionen hat und nicht reüssieren kann, könnte die Bewegung dann nicht auch rasch wieder versanden? 

Gottfried: Das wäre durchaus möglich. Es kommt wohl darauf an, wie sich die amerikanische Gesellschaft entwickelt. Aber in der Tat, wenn man auf Dauer keinen wirklichen Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen erlangt, läuft man früher oder später ins Leere. 

Ist die „Alt-Right“ möglicherweise nur ein Internet-Phänomen?

Gottfried: Eine berechtigte Frage, denn das Geheimnis des Erfolgs der „Alt-Right“ ist, daß sie wie niemand sonst auf der Rechten weiß, das Internet für sich zu nutzen. Das hat einen enormen Vormarsch in kurzer Zeit ermöglicht. Gleichzeitig aber limitiert dies die „Alt-Right“, wenn es ihr nicht gelingt, über das Internet hinauszuwachsen. 

Einer der Stars der Bewegung ist der homosexuelle britische Journalist Milo Yiannopoulos. Er hat so etwas wie ein Manifest  der „Alt-Right“ verfaßt. Darin bezieht er sich nicht nur auf die alte Rechte in den USA als Wurzel der Bewegung, sondern auch auf eine „Neue Rechte“ in Europa.

Gottfried: Das stimmt, von der „Neuen Rechten“ in Europa hat die „Alt-Right“ den Einfluß von Autoren wie Oswald Spengler, Friedrich Nietzsche, Ernst Jünger oder Julius Evola übernommen. Und ich kann sagen, daß ich dank meiner europäischen Prägung wohl nicht unwesentlich dazu beigetragen habe, diese Denker unter der amerikanischen Rechte bekannt zu machen. Insofern habe ich doch auch mein Scherflein zur Gestaltung der „Alt-Right“ beigetragen, statt ihr etwa nur den Namen gegeben zu haben. 






Prof. Dr. Paul Gottfried, der Historiker und Politologe lehrte am Elizabethtown College in Pennsylvania und ist Dozent am Ludwig von Mises Institute in Alabama. Er schrieb etliche Bücher, darunter „Conservatism in America“, „Leo Strauss and the Conservative Movement“ und jüngst erschienen: „Facism. Career of a Concept“. Auf deutsch ist „Multikulturalismus und die Politik der Schuld“ erhältlich. Gottfried stammt aus einer jüdischen Familie, die nach 1938 aus der Steiermark in die USA floh. Geboren wurde er 1941 in New York.

Foto:  Donald Trump und sein Chefstratege Stephen Bannon (r.): „Nach den Neocons ist die ’Alt-Right’ derzeit die bedeutendste Kraft der US-Rechten. Allerdings spielt nur die Gruppe um Bannon eine politische Rolle.“   

 

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