© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

Qualität, die schmeckt
Ein Hausschwein selbst zerlegen und nahezu ganz verwerten – das geht: Einer Familie aus Niederösterreich hat die JF beim Verarbeiten über die Schulter geschaut
Verena Inauen

Ein Stück Wurst, ein saftiger Schopfbraten, ein paar Steaks oder der feine Lungenbraten? „Was darf’s denn sein?“ fragt normalerweise an dieser Stelle die Verkäuferin hinter der Fleischtheke, wenn nach Schwein gefragt wird. Für die Viernsteins darf’s gerne ein bißchen mehr sein. Die kinderreiche Familie aus Niederösterreich hat nämlich beschlossen, keine Lebensmittel mehr zu vergeuden. Gekauft wird ein Schwein als Ganzes. Direkt vom Bauern des Vertrauens. Dieser bekommt für Aufzucht und gute Fütterung des Tieres auch einen besseren Preis bezahlt. „Wer einmal ein ganzes Tier vor sich hat und es selber zerlegen muß, bekommt eine andere Einstellung zu seiner Umwelt“, glaubt auch der Landwirt, der das Schwein geliefert hat.

Was passiert sonst mit den restlichen 98 Prozent?

Immer mehr Verbraucher finden zurück zur ursprünglichen Form der Fleischverwertung und meiden Lebensmittelketten, in denen oftmals Billigpreise für Mastschweine oder andere Tiere angeboten werden. „Durch einen bewußten Umgang mit Lebensmitteln ändert sich auch unser gesamtes Konsumverhalten“, erklärt Vater Reinhard seine Motivation gegenüber der JF.

Einmal mit der Fleischzerlegung vertraut, lassen sich Vorräte für mehrere Monate anlegen. Aus den weniger schönen Stücken wird Wurst produziert, der Darm fungiert als Wursthaut. Der Schweinekopf wird in alter Tradition für den Neujahrstag gehälftet eingefroren. Ebenso ergeht es den Koteletts und Rippen, die auf die nächste Grillsaison warten. Aus den Markknochen wird gemeinsam mit Gemüse aus dem Garten eine Sulz gekocht. Die Haxerl, also Beine des Schweins, werden zu einer „Klachlsuppe“ gemacht. Eine Suppenspezialität aus Beinfleisch, Wurzelwerk und Gewürzen. Die Innereien zu Leberstreichwurst verarbeitet, das Blut für eine Blutwurst und „Blunzengröstl“, ein Röstgericht mit Kartoffeln und Blutwurst, verwendet.

Sogar das seit zwei Generationen als Dickmacher verurteilte Fett des Schweins wird verarbeitet. Daraus werden Grammeln, Schmalzaufstriche oder Bratfett gewonnen. „Die Kinder sehen, wie es gemacht wird, und wollen alles davon probieren“, bestätigt Mutter Hedda. Was dann noch übrigbleibt, darf sich das siebte Familienmitglied endlich stehlen: Hund Tell wartet schon den ganzen Tag aufgeregt auf seine Ration. „Wir haben ein 120-Kilo-Schwein so verwertet, daß wir nur einen 30-Liter-Kübel, der hauptsächlich mit Knochen gefüllt war, an Tiere verfüttern mußten“, freut Hedda sich. „Das ist Verwertung und Umweltbewußtsein, denke ich.“

Beliebt in der Feinkostabteilung sind nur noch die sogenannten „Edelstücke“. Sie bestehen meist aus fettarmen Fleischteilen. „Wer in den Supermarkt geht und ein Filet kauft, dem muß bewußt sein, daß dieses Teil nur 1,5 Prozent des Schlachtkörpers ausmacht. Darum sollte man sich ersthafte Gedanken machen, was mit den restlichen 98 Prozent Schwein passiert“, macht Schwager Norbert aufmerksam. Um zwei Filets vom Schwein zu bekommen, müsse schließlich eine ganze Sau geschlachtet werden. Der Lebensmittel- und Biotechnologe unterstützt die ersten Versuche der Familie Viernstein bei der Versorgungsumstellung mit Fachwissen. Für einen guten Speck etwa müsse das Fleisch gepökelt werden und dann ein bis zwei Monate an einem luftigen, dunklen Ort getrocknet werden. Beschleunigt wird dieser Prozeß durch eine kleine Räucherkammer hinter dem Haus.

Der Gedanke an eine deftige Speckjause mit dem in nur wenigen Stunden selbst gebackenen Brot motiviert die fleißigen Hände zusätzlich. Der Experte macht sich inzwischen daran, das 120 Kilo schwere Schwein auf einen großen Tisch zu hieven. Mitleid haben die Kinder mit dem Tier kaum. „Sie gehen ganz bewußt und respektvoll mit den herausgearbeiteten Fleischteilen um“, hat der Vater beobachtet, „und sie wissen, woraus ein Schnitzel gemacht wird.“ Mit einem scharfen Messer und Oberkörperschutz ausgerüstet, werden fein säuberlich die Teile herausgearbeitet und benannt. Das Bauchfleisch, die Nieren, die Rippen. Acht Stunden dauert es, bis auf dem Tisch nur noch einige Knochenreste liegen. Und der „Filz“, ein Fett, das tatsächlich nur eine geringe Verwendung findet und die Organe des Tieres schützt.

Noch während des Saubermachens sind die ersten Würste und Leberknödel fertig. Die Stärkung hat sich nach dieser „Schweinerei“ jeder redlich verdient. Vierteljährlich will die sechsköpfige Familie das Prozedere wiederholen und ist nach dem ersten Versuch positiv überrascht: „Klar ist das eine Menge Arbeit. Wir wissen dafür aber, wo unsere Nahrung herkommt, wie sie hergestellt wurde, und das schmeckt man auch“, spricht der älteste Sohn Friedrich für alle.