© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

Grüße aus Kiew
24 Stunden im Dienst
Claus-M. Wolfschlag

Rund hundert Menschen starben im Januar 2014, als während der Proteste gegen den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch in Kiew Scharfschützen das Feuer auf die Demonstranten eröffneten. Auch fast drei Jahre nach den Ereignissen des „Euromaidan“ werden auf der Südseite des zentralen Platzes der ukrainischen Hauptstadt Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet. Eine lange Reihe mit Fotos der Toten säumt den Weg. Kleine Nationalfahnen stecken davor in Blumentöpfen.

Direkt am Maidan liegt das Hotel „Ukraine“ in einem der für das Areal typischen sowjetklassizistischen Gebäude. Die junge Rezeptionistin, die am Vortag in der Früh die Wünsche der Gäste beantwortete, sitzt am nächsten Morgen immer noch an ihrem Platz. „Ich habe doch gesagt, daß ich 24-Stunden-Dienst habe“, antwortet sie irritierten Gästen. An den „Euromaidan“ erinnert sie sich noch genau: „Wir hatten eine Auslastung von 100 Prozent. Alle Journalisten wohnten bei uns im Haus. Die Lobby war ein großes Lazarett. Menschen starben, wo sie jetzt stehen.“

Vor allem in den Souvenierläden ist der Konflikt mit Rußland nicht zu übersehen.

Heute wirkt der Maidan so friedlich wie die ganze Innenstadt. Ein junger Mann im Bärenkostüm bietet sich gegen ein paar Griwna als Fotomotiv an. Zwischen Hauptpost und McDonalds klimpert einsam ein älterer Musiker mit Nikolausmütze zur Belustigung einiger Jugendlicher Rockakkorde auf seiner Elektro-Ukulele.

Die Massen wimmeln währenddessen durch die tief unter der Erde liegenden Metro-Stationen. „Im Sommer sind durchaus viele Touristen bei uns“, sagt der junge Ober im „Café de Paris“ am Andreassteig, an dem sich auch das Geburtshaus des berühmten Satirikers Michail Bulgakow befindet.

In den vielen Souvenierläden aber ist der Konflikt mit Rußland unübersehbar. Auf der großen Metallwand mit den Kühlschrankmagneten findet man neben pittoresken Motiven Kiews oder dem Bekenntnis „I love Vodka“ auch den Slogan „Fuck Putin“. „Sie können gerne ein Foto machen“, lacht die Verkäuferin und hält Toilettenpapier mit dem aufgedruckten Konterfei des russischen Präsidenten hoch.

Ein vorbeieilender ukrainischer Geschäftsmann sieht sein Land auf einem guten Weg: „Die wirtschaftliche Lage bessert sich ganz langsam.“ Und auch hinsichtlich der Abspaltungsversuche der Donezk-Region zeigt er sich verhalten optimistisch: „Hier ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. In erster Linie handelt es sich hier um einen Stellvertreterkrieg zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten. Sollten sich die Großmächte in der Zukunft einigen können, dürfte sich das Donezk-Problem wahrscheinlich von alleine gelöst haben.“