© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

„... dieser Veranstaltung lieber fernzubleiben“
Eklat: Im niedersächsischen Delmenhorst waren AfD-Politiker beim Gedenken an jüdische Opfer des Nationalsozialismus unerwünscht / Ähnlicher Fall in Sachsen-Anhalt
Martina Meckelein

Delmenhorsts Oberbürgermeister Axel Jahnz (SPD) wollte einen Eklat verhindern. Nun hat er genau das Gegenteil erreicht.

Rathaussaal, 9. November, 14.30 Uhr. Rund hundert Gäste sind zur Feierstunde zum Gedenken an die Pogrome der „Reichskristallnacht“ von 1938 gekommen. Der Oberbürgermeister und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Pedro Benjamin Becerra, begrüßen die Gäste. Auch Yakub Seven ist, wie schon so viele Jahre zuvor, dabei. Der Deutsche mit aramäischen Wurzeln, geboren in der Türkei, ist Mitglied der AfD. „Ein Teil meiner Familie wurde 1915 ermordet. Eben weil wir Christen waren und sind. Ich fühle mit dem jüdischen Volk. Es war mir immer ein Anliegen, das zu zeigen“, erklärt Seven. „Natürlich kenne ich den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, wir haben uns schon öfter unterhalten.“ 

Doch an diesem 9. November wird für Yakub Seven alles anders sein. Ihm wird nicht die Hand gereicht. „Eine Beleidigung“, sagt der ehemalige Brummifahrer. Spurensuche: Zwei Tage zuvor, am 7. November um 9.44 Uhr, erreicht den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Stadtrat von Delmenhorst, Lothar Mandalka, eine E-Mail von Oberbürgermeister Axel Jahnz. Im Grunde nichts ungewöhnliches, ist die AfD nach SPD und CDU aus dem Stand als die drittstärkste Partei (15,1 Prozent) bei der niedersächsischen Kommunalwahl am 11. September hervorgegangen und mit sieben Sitzen in dem Gremium vertreten. 

Doch Jahnz’ E-Mail ist außergewöhnlich. Er schreibt: „Sehr geehrter Herr Mandalka, am 9. November 2016, findet im großen Sitzungssaal des Rathauses die Gedenkfeier zur Reichspogromnacht statt. In diesem Zusammenhang muß ich Ihnen mitteilen, daß eine mögliche Teilnahme ihrer Fraktion aus Sicht einiger Gäste sehr skeptisch gesehen wird und zu einem Eklat führen könnte. Da für mich die Würde dieser Veranstaltung sehr hoch ist und ich nicht möchte, daß der Stadt Delmenhorst ein (Image-)Schaden entsteht, bitte ich die AfD-Fraktion, darüber nachzudenken, dieser Veranstaltung lieber fernzubleiben. Freundliche Grüße, Axel Jahnz Oberbürgermeister“.

Mandalka ist überrascht: „Ich kannte die Veranstaltung gar nicht, eine Einladung hatte ich zuvor noch nie erhalten, aber dafür gleich eine Ausladung.“

Mandalka verfaßt einen Antwortbrief an den Oberbürgermeister und sendet ihn samt der ursprünglichen Mail von Jahnz auch als Pressemitteilung an einige Redaktionen der Umgebung. In dem Brief an den Oberbürgermeister heißt es: „... ich sehe es als Eklat an, daß die AfD mit der Reichspogromnacht in Verbindung gebracht wird. Die AfD war weder der Initiator dieser NS-Aktion noch billigt sie im nachhinein diese NS-Aktion. Hier zeigt sich einmal mehr Ihre Gesinnung.“ Der Brief endet mit folgendem Satz: „Der AfD indirekt zu unterstellen, sie würde dieser Veranstaltung nicht den gebührenden Respekt erweisen und wäre unwürdig, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, zeigt uns einmal wieder, wie verzerrt ihr Demokratiebild ist.“

Daraufhin schreibt der Oberbürgermeister wiederum an Mandalka, daß seine Nachricht an ihn lediglich einen Hinweis beinhalte, er könne nur darum bitten, genauer zu lesen, Vergleiche und Unterstellungen habe nicht er, sondern Mandalka selbst gezogen. Ein weiterer Schriftwechsel erübrige sich für ihn.

Am 9. November besuchen dennoch einige AfD-Mitglieder die Feierstunde. Hausherr im Großen Rathaussaal ist in dem Moment die Jüdische Gemeinde der Stadt. Ihr Vorsitzender Pedro Becerra verlegt angesichts der Anwesenheit der AfD-Mitglieder die Feierlichkeiten erst nach draußen, später auf den jüdischen Friedhof. „Da sind wir nicht mitgegangen“, sagt Mandalka.

„Wir haben hier das Hausrecht“

Warum der Oberbürgermeister in der Sache an den AfD-Fraktionschef geschrieben hat, kann sich der Pressesprecher der Stadt, Timo Frers, nicht erklären. „Das ist unabhängig von mir und meiner Abteilung gelaufen. Außerdem ist die Jüdische Gemeinde der Veranstalter.“ Warum dann nicht die Jüdische Gemeinde den Kontakt mit der AfD gesucht habe? „Das ist die richtige Frage, die ich Ihnen aber nicht beantworten kann.“ Pedro Becerra wollte sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT nicht äußern.

Auch im sachsen-anhaltinischen Weißenfels soll es einen ähnlichen Eklat gegeben haben. Der AfD-Landtagsabgeordnete Marcus Spiegelberg nahm gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Verlobten an einer Gedenkveranstaltung der Stadt und des Simon-Rau-Zentrums teil. Dessen Vorsitzender, Enrico Kabisch, forderte Spiegelberg laut dessen Darstellung mit den Worten „Sie sind von der AfD. Wir haben hier das Hausrecht“ zu gehen auf. 

Der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion und des Landesverbandes, André Poggenburg, übte heftige Kritik an diesem Vorgehen. Spiegelberg habe als direkt gewählter Landtagsabgeordneter seine Anteilnahme zeigen und ein Zeichen dafür setzen wollen, „daß die schrecklichen Ereignisse der Pogromnacht 1938 nicht vergessen werden dürfen“. Gerade an einem Tag, an dem gemahnt werde, andere Menschen nicht auszugrenzen, seien solche Methoden einer Demokratie absolut unwürdig.