© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

Ländersache
Hickhack in Hannover
Christian Vollradt

Der selbsternannte Scheich von Hildesheim, Abu Walaa, sitzt seit vergangener Woche als Terrorverdächtiger in Untersuchungshaft, die Schülerin Safia S. aus Hannover steht derzeit in Celle als möglicherweise vom Islamischen Staat beauftragte Attentäterin vor Gericht (JF 44/16), und Ayoub B. sowie Ebrahim H. B., zwei Wolfsburger mit tunesischem Einwanderungshintergrund (JF 36/15), sind vor knapp einem Jahr als Syrien-Rückkehrer zu Haftstrafen verurteilt worden. Kein Zweifel: Niedersachsen hat ein Islamismus-Problem. 

Um mögliche Lücken oder vergangene Pannen bei der Terrorabwehr aufzuklären, hat der Landtag in Hannover einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß eingesetzt. Der aber kommt mit seiner Aufkärungsarbeit nicht so recht voran, denn bisher stand hier der Parteienstreit zwischen Koalition und Opposition im Vordergrund. Gerade endete wieder eine Sitzung im Eklat. Grund: Ein geladener Zeuge wurde wieder ausgeladen. 

Dem betroffenen Polizeidirektor war vom niedersächsischen Innenministerium die Aussagegenehmigung beschränkt worden; das brachte die Oppositionsfraktionen CDU und FDP so sehr auf die Palme, daß sie jetzt sogar vor dem Staatsgerichtshof klagen wollen. Die rot-grüne Landesregierung wiederum verteidigt sich mit dem Argument, man sei zu diesen Beschränkungen von Berlin gezwungen worden. Denn der Polizist kenne auch streng geheime Informationen, etwa vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Und die Bundesbehörden wollen solche Informationen nicht einem niedersächsischen Untersuchungsausschuß mitteilen. 

Dabei hat man gerade für die Befragung von Geheimnisträgern im Untersuchungsausschuß weder Kosten noch Mühen gescheut. Um nicht belauscht zu werden, wurde der fensterlose Raum im Keller für rund 300.000 Euro nachgerüstet. Der Aufwand sei übertrieben, kritisierte die CDU. Sie warf dem Verfassungsschutz vor, er wolle mit den hohen Sicherheitsauflagen nur die Arbeit des Ausschusses verzögern oder gar sabotieren. 

Für Christdemokraten und Liberale steht fest: Das Hannoversche Innenministerium hat die Reichweite der Aussagegenehmigung für den Zeugen von der Polizei viel zu eng gefaßt. Und mit einer verfassungswidrigen Aussagegenehmigung wolle man ihn eben nicht anhören, daher die Ausladung. Das wiederum werten Abgeordnete der Koalitionsfraktionen als „beispiellose Eskalation“ und parteipolitisch motivierte „Skandalisierung“. 

Ein interessantes Detail: Über 200 Polizisten und Verfassungsschützer wurden bereits für ihren möglichen Auftritt im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß besonders geschult. Allein ein Drittel aller Mitarbeiter des Verfassungsschutzes soll die beiden Aufklärungsseminare absolviert haben. Kostenpunkt: über 50.000 Euro, bestätigte das Innenministerium. Solch eine Massen-Schulung ist beispiellos in der Geschichte der bisher 23 Untersuchungsausschüsse des Landes. 

Ob sich das Gremium beizeiten seinem eigentlichen Zweck ­– den Gefahren durch Islamisten beziehungsweise Salafisten in Niedersachsen – widmen wird, steht in den Sternen. Eigentlich sollte am 25. November Innenminister Boris Pistorius (SPD) aussagen. Doch wegen des aktuellen Rechtsstreits haben seine Fraktionskollegen diesen Termin schon in Frage gestellt.