© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/16 / 18. November 2016

„Eine härtere Gangart“
Die CSU erklärt sich mit den deutschen Moslems solidarisch, will aber gleichzeitig den Kampf gegen den ‘politischen Islam’ aufnehmen. Der These, der Islam an sich sei das Problem, widerspricht Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Fraktion im Bundestag
Moritz Schwarz

Herr Mayer, „islamisiert“ die CSU mit ihrem jüngst auf dem Parteitag der Christsozialen beschlossenen neuen Grundsatzprogramm die Probleme in Deutschland?

Stephan Mayer: Ganz und gar nicht. Wie kommen Sie darauf?

Das sagt die SPD. 

Mayer: Ach wissen Sie, tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Die CSU ist die erste Partei, die mit einem Leitantrag zum „politischen Islam“ eine differenzierte Analyse zur Lage des Islams bei uns ins Grundsatzprogramm mit aufgenommen hat.

Was steckt dann hinter dem Vorwurf?

Mayer: SPD, Linke, Grüne und manche Medien versuchen immer wieder, die CSU in eine islamfeindliche, wenn nicht sogar fremdenfeindliche oder rechtsradikale Ecke zu drängen. Sobald wir Defizite ansprechen, etwa bei der Integration von Muslimen, die jüngst in unser Land gekommen sind, wird uns eine Steigbügelhalterfunktion gegenüber der AfD unterstellt. Das gehört wohl zu den Stereotypen, die zwar falsch sind, aber dennoch gerne wiederholt werden. Um uns für einen Teil der bürgerlichen Wähler als unwählbar erscheinen zu lassen, will man uns den Stempel einer Anti-Islampartei aufdrücken.

Wollen Sie keine islamkritische Partei sein?

Mayer: Die CSU ist eine kritische Partei, wie ja gerade der von mir angesprochene Leitantrag beweist. Aber zu dieser kritischen Haltung gehört es ebenso zu differenzieren: zu differenzieren zwischen den etwa vier Millionen friedlichen Moslems in Deutschland und einer – allerdings leider wachsenden – Minderheit von radikalen Muslimen bei uns. 

Sie sprechen nur vom „politischen Islam“ als Problem. Steckt aber nicht im Islam an sich ein politisches Problem? 

Mayer: Nochmal: Differenzierung ist sehr, sehr wichtig! Der ganz überwiegende Teil der Moslems bei uns ist friedlich und rechtschaffen und macht sich in keiner Weise mit Islamisten oder Dschihadisten gemein. Die CSU bekennt sich – auch das möchte ich klar sagen – voll zur Religionsfreiheit dieser vier Millionen friedlichen Muslime, die Bestandteil unserer Gesellschaft sind. Allerdings weisen wir eben auch darauf hin, daß es ein wachsendes Problem mit dem politischen Islam gibt – sprich mit dessen Pervertierung durch Fundamentalisten. Und ebenso mit Menschen, die nicht anerkennen, daß unser Land über Jahrhunderte durch das Christentum geprägt wurde. Woraus auch Werte entspringen, die für unsere Gesellschaft identitätsstiftend sind – was der Islam nicht ist.

Die Unterscheidung zwischen friedlichen Moslems und Islamisten ist richtig und wichtig. Aber da sprechen wir über Menschen. Spricht man dagegen über die Lehre, weisen immer mehr Fachleute und Islamkritiker darauf hin, daß eben nicht einfach zwischen „friedlichem“ und „politischem“ Islam unterschieden werden kann, weil der Islam selbst eine Trennung von Politik und Religion nicht kenne. Geht also Ihre Problem-Formulierung vom „politischen Islam“ nicht an der Realität vorbei?  

Mayer: Ich bin natürlich kein Islamwissenschaftler. Aber den Islam nicht als eine Religion anzuerkennen, geht für meine Begriffe zu weit. Ihn in toto abzulehnen, wie etwa die AfD das tut, davon distanziert sich die CSU in aller Deutlichkeit. Wenngleich wir uns natürlich andererseits auch durchaus von den großen Islamverbänden ein deutlicheres Wort in puncto Distanzierung vom Islamismus wünschen würden.

Geht die Trennung von politischem und friedlichem Islam nicht auch noch in anderer Hinsicht an der Realität vorbei: nämlich, daß beides auch in der Einwanderungspraxis nicht zu trennen ist. Denn mit friedlichen Moslems wandert eben immer auch ein Anteil politischer Moslems mit ein – die man selbst mit den besten Grenzkontrollen nicht herausfiltern kann. Sei es, weil sich diese Leute verstellen. Sei es, weil sie sich erst nach ihrer Einwanderung radikalisieren.   

Mayer: Ich sehe das etwas anders. Denn schließlich ist der politische Islam nicht erst durch die Flüchtlingswelle 2015 in unser Land gekommen. So hatten wir etwa schon vor drei Jahren rund 4.000 Salafisten im Land. Zugegeben, heute sind es über 9.000. Dazu muß man allerdings auch sagen, daß nur die wenigsten dieser 9.000 im vergangenen Jahr als Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Und übrigens, auch etliche der Anschläge, die bei uns verübt beziehungsweise geplant und rechtzeitig aufgedeckt wurden, gehen auf Moslems zurück, die schon sehr viel länger, teilweise viele Jahre, bei uns sind. Ich denke da etwa an die Messerstecherin vom Hannoveraner Hauptbahnhof. Ja, einige wurden gar hier geboren und sind erst durch einen Bruch in ihrer Vita, falsche Freunde oder das Internet zum Islamismus gekommen.

Es ist ja völlig richtig, nicht alles in einen Topf zu werfen. Aber Ihre säuberliche Trennung ist doch auch nicht möglich. Nochmal: Einwanderung eines friedlichen Islams ohne immer auch einen Anteil politischen Islams gibt es nicht. Demnach ist diese Trennung, die etwa die Union in der Debatte postuliert, Fiktion. Über diesen Umstand wird in der etablierten Diskussion seit Jahren geschwiegen. Stattdessen hören wir immer wieder die Formel „politischer Islam“, die das Problem einfach nicht vollständig erfaßt.

Mayer: Ich verstehe, was Sie meinen. Allerdings braucht Deutschland Zuwanderung, auch aus moslemischen Ländern, davon bin ich fest überzeugt. Entscheidend ist daher, daß wir eine klare Erwartungshaltung gegenüber Einwanderern formulieren – egal übrigens ob sie Moslems, Jesiden, Juden oder Christen sind. Nämlich, daß sie sich an Recht und Gesetz halten. Daß sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Daß sie anerkennen, daß Deutschland ein geschichtlich christlich geprägtes Land ist und daß es bei uns Werte gibt, die unbedingt respektiert werden müssen – etwa die Gleichbehandlung von Mann und Frau oder die Achtung der sexuellen Integrität. Wer diese Werte nicht anerkennt, der hat in unserem Land nichts verloren. Allerdings, Sie haben insoweit recht, als sich das Problem des Islamismus in der Tat auch durch die Flüchtlingskrise verstärkt hat. Wer also so tut, als habe diese überhaupt nichts mit Islamismus und Terror zu tun, der liegt falsch.

Fazit: Wir nehmen also den mit der friedlichen moslemischen Einwanderung untrennbar verbundenen Zulauf für den politischen Islam weiterhin in Kauf? 

Mayer: Nein, keineswegs. Aber dennoch wird Deutschland – auch wenn wir nach meiner Ansicht nach kein klassisches Einwanderungsland sind – weiter Zuwanderung benötigen, und zwar auch aus dem nichteuropäischen Ausland. 

Müßte die CSU nicht sagen: Wir lösen die Probleme, statt durch Einwanderung, aus eigener Kraft?

Mayer: Das eine schließt das andere nicht aus. Natürlich müssen wir erst die eigenen Potentiale nutzen. So haben wir etwa immer noch über zwei Millionen Arbeitslose. Sicher ist nicht jeder davon in Arbeit zu bringen, aber ein Großteil schon. Allerdings, nur mit den in Deutschland vorhandenen Arbeitskräften werden wir die Bedürfnisse unseres Arbeitsmarktes nicht befriedigen können, so daß wir auf eine gewisse Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften angewiesen sind. Und darunter werden sich eben auch Moslems befinden. Was aber nach meiner Meinung nebensächlich ist, wenn die Einwanderer die vorhin genannten Anforderungen erfüllen. Insgesamt brauchen wir eine wesentlich bessere Kontrolle und Steuerung der Zuwanderung. Ebenso wie einen viel effektiveren Schutz der EU-Grenzen und – wie die USA – ein Eintritt/Austritt-System, damit wir genau wissen, wer nach Europa ein- und ausreist. Ich sage klar: Ohne solch ein System können wir künftig nicht auf die jetzigen Binnengrenzkontrollen verzichten. 

Die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte ist ja nicht das Problem, sondern die verdeckte Einwanderung über das Asylsystem. Warum bekommt das eine Bundesregierung mit CSU-Beteiligung nicht in den Griff? Warum nicht ein CSU-regiertes Land wie der Freistaat Bayern? 

Mayer: Bayern ist wohl am allerwenigsten als Negativbeispiel geeignet, denn nirgendwo wird das Asylrecht – inklusive Abschiebungen – so konsequent umgesetzt wie dort. Man sollte einmal daran denken, wie defizitär dagegen der Umgang mit Migranten im größten Bundesland NRW ist. Oder daß die neue rot-rot-grüne Landeregierung in Berlin derzeit ganz auf Abschiebungen verzichten will. Tatsächlich wären die meisten Bundesländer gut beraten, sich da stärker an Bayern zu orientieren. Dennoch sage ich auch, daß wir noch mehr tun müssen. Etwa künftig zwischen jenen zu unterscheiden, die ausreisepflichtig sind, unser Land aber unverschuldet nicht verlassen können, und jenen, die der Ausreise vorsätzlich nicht nachkommen. Wir brauchen also eine Art Duldung „light“. Ebenso brauchen wir einen neuen juristischen Haftgrund für ausreisepflichtige Personen – insbesondere wenn von ihnen eine Gefahr ausgeht. Und wir müssen eine härtere Gangart gegenüber Herkunftsländern einlegen, die sich weigern, an der Feststellung der Identität ihrer Staatsangehörigen mitzuwirken und diese auch nicht zurücknehmen – gleichzeitig aber mitunter umfangreiche Entwicklungshilfe von uns erhalten. Wobei ich noch einmal daran erinnern möchte, daß wir in den letzten zwölf Monaten so viel Gesetzgebung im Bereich des Zuwanderungsrechts geschaffen haben, wie seit über zwanzig Jahren nicht mehr! 

Gut, aber die Frage war: Warum läßt es eine Bundesregierung mit CSU-Beteiligung über Jahre und sogar Jahrzehnte zu, daß über das Asylsystem eine verdeckte Einwanderung stattgefunden hat? Hätten all diese Maßnahmen, und noch mehr, nicht schon vor langer Zeit ergriffen werden müssen?

Mayer: Wissen Sie, ich pflege nach vorne zu schauen, weil „Vergangenheitsbewältigung“ zur Lösung aktueller Probleme nichts bringt. Dennoch eine klare Antwort auf Ihre Frage: Es war doch zum Beispiel die Regierung Kohl, die unser Asylrecht 1992 grundlegend reformiert hat. Und infolge dessen – da müssen Sie bitte ehrlich sein – sanken die Asylzugangszahlen auf ein sehr niedriges Niveau. So hatten wir etwa 2008 gerade mal 28.000 Asylbewerber. 2007 waren es sogar unter 20.000. Zur Erinnerung: Das ist etwa die Zahl, die wir im Herbst 2015 fast an einem Wochenende hatten! Angesichts dieser Daten war der Handlungsdruck damals natürlich gering. Das hat sich nun geändert. Daher haben wir aber auch mit einer wirklich umfangreichen und restriktiven Gesetzgebung reagiert. Und wir werden infolge dessen 2016 eine Rekordzahl an Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen erreichen. Und dennoch verhehle ich nicht, daß der Zustand immer noch nicht zufriedenstellend ist. Denn auch wenn in diesem Jahr etwa 100.000 Personen wieder gehen, bleibt die Frage: Was ist, angesichts der knapp 900.000 Menschen, die letztes Jahr gekommen sind, mit dem Rest? Das heißt: Alle gemeinsam, Bund wie Länder, müssen ihre Anstrengungen noch intensivieren! Und ich kann nur hoffen, daß es etwa gelingt, das Land Berlin von dem unsäglichen Vorhaben, in den nächsten Monaten auf Abschiebungen zu verzichten, abzubringen! Das Berliner Vorhaben zeigt allerdings auch, wie unterschiedlich der politische Wille ausgeprägt ist. 

Herr Mayer, die „Qualität“ des Islams – der Fundamentalismus – ist eine Sache. Eine andere ist die Quantität. Haben Sie, wie zum Beispiel der frühere Berliner SPD-Bezirksbürgermeister Heinz Buchschkowsky, Verständnis für Bürger, die sagen: Ich habe vielleicht nie schlechte Erfahrungen mit Moslems gemacht, aber durch die massive Verwandlung meines Viertels durch sie fühle ich mich hier einfach nicht mehr zu Hause? 

Mayer: Ich spüre in der Bevölkerung in der Tat sehr viel Verunsicherung und sogar Angst, daß sich unser Land negativ verändert. Das nehme ich ernst. Und wer so tut, als gäbe es diese Emotionen unter den Bürgern nicht, der befördert nur den künftigen Erfolg der Rechtspopulisten. Ich bin der Überzeugung, daß unsere Bevölkerung dennoch trotz allem weiter weltoffen eingestellt ist und einer qualifizierten Arbeitsmigration und einem gewissen Quantum an humanitärer Einwanderung zustimmt. Dennoch dürfen wir die Bürger nicht überfordern. Sonst sehe ich die Gefahr, daß sich unser Volk bald eine andere Regierung wählt.

Kritiker unterstellen der CSU genau das: Sie handele nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor der AfD, und einige Teile des neuen Grundsatzprogrammes wirkten wie bei dieser abgeschrieben.

Mayer: Diese Behauptung ist meilenweit von der Realität entfernt. Es ist vielmehr die natürliche Aufgabe der CSU, Wähler davon abzuhalten, auf die AfD hereinzufallen. Dazu müssen wir den Wählern ein fundiertes Angebot machen. Aber auf der anderen Seite auch klarmachen, was uns von der AfD unterscheidet. Die AfD ist keine Alternative für unser Land, weil sie keine wirklich funktionierenden Rezepte anzubieten hat. Folglich ist auch der Vorwurf des „Abschreibens“ abwegig, schon weil es da nichts abzuschreiben gibt. Ich bin sicher, ein seriöses wie fundiertes Angebot wie bei der CSU finden die Bürger anderswo nicht. 






Stephan Mayer, der Rechtsanwalt, geboren 1973 in Oberbayern, ist innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mitglied des Fraktions- und des CSU-Parteivorstands. 

Foto: Abstimmung auf dem CSU-Parteitag in München: „SPD, Linke, Grüne und manche Medien versuchen immer wieder, uns in eine islamfeindliche, wenn nicht rechtsradikale Ecke zu drängen ... (Dabei) sind wir die erste Partei, die mit einem Leitantrag zum ‘politischen Islam‘ eine differenzierte Analyse zur Lage des Islams im Land ins Grundsatzprogramm aufgenommen hat.“ 

 

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