© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Die Probleme wurden nur verlagert
Frankreich: Nach der Räumung des „Dschungels von Calais“ suchen die illegalen Migranten Ausweichrouten
Friedrich- Thorsten Müller

Die französische Regierung hat nun also Ernst gemacht. Der „Dschungel von Calais“ ist bis auf weiteres Geschichte. Am Montag vergangener Woche rückten in der nordfranzösischen Hafenstadt Planierraupen an, um das slumähnliche Flüchtlingslager mit zuletzt etwa 10.000 Bewohnern nach eineinhalb – beziehungsweise mit Vorläufern 15 – Jahren Bestand dem Erdboden gleichzu machen.

Zuvor haben sich mehr als 7.000 der afrikanischen und asiatischen Migranten, die nur auf eine Gelegenheit zur illegalen Einwanderung nach Großbritannien hofften, in die Obhut des französischen Staates begeben. Sie wurden auf 451 „Empfangs- und Orientierungszentren“ in ganz Frankreich verteilt, wobei die Unterbringung von 1.932 Minderjährigen eine besondere Herausforderung darstellt. Mehrere Dutzend dieser Jugendlichen haben allerdings bereits ihre Quartiere wieder verlassen. Weitere sollen auch den 274 Minderjährigen folgen, denen Großbritannien die Einreise erlaubt hat, da sie belegen können, dort Verwandte zu haben, die für sie sorgen wollen.

Es ist zudem geplant, 1.700 der illegalen Einwanderer von Calais direkt abzuschieben, da sie, wie der französische Innenminister Bernard Cazeneuve am Freitag auf einer Pressekonferenz mitteilte, keinen Asylantrag gestellt haben. Etwa 3.000 weitere Einwanderer zogen es jedoch vor abzutauchen. Im nahe gelegenen Belgien werden seit Beginn der Maßnahme täglich 20 illegale Einwanderer aufgegriffen. Manche sollen aber auch nach Paris weitergezogen sein.

Ende vergangener Woche räumten entsprechend in Paris nahe der Metro-Station Stalingrad 600 Polizeibeamte ein wildes Camp mit 3.800 illegalen Einwanderern. Dessen Bewohner wurden ebenfalls auf die „Empfangs- und Orientierungszentren“ verteilt.

Hilfsorganisationen kritisieren Polizeieinsätze

Laut dem britischen Guardian verlief die Räumung des Dschungels von Calais weniger reibungslos als erhofft. Gewaltsame Proteste mußte die Polizei mit Hilfe von 20 Einsatzwagen und Tränengas beenden. Schon in den Wochen vor der Räumung hatte die Aggressivität im Lager deutlich zugenommen und mündete in die Vergewaltigung der 38jährigen Dolmetscherin eines Fernsehjournalisten.

Französische Hilfsorganisationen, wie das „Unterstützungskomitee für Exilierte“, kritisieren die Räumungen in Calais und Paris. So soll während der Lagerauflösung in Calais Anwälten und Journalisten unter Hinweis auf den Ausnahmezustand der Zugang zu den Einwanderern verwehrt worden sein. Zur Unterstützung der Migranten setzte sich am Wochenende darum in Tours ein Hilfskonvoi mit Lebensmitteln, Bekleidung, Matratzen, Decken und Hygieneartikeln in Gang.

Nicht nur diese Hilfsorganisationen gehen fest davon aus, daß der „Dschungel“ in der Umgebung von Calais wiederentstehen wird, ganz einfach weil sich an der Gesamtlage nichts geändert hat. Tausende illegale Einwanderer wollen aufgrund von Verwandten oder ihrer englischen Sprachkenntnisse fast um jeden Preis den Weg nach Großbritannien schaffen.

Foto: Polizisten räumen in Paris ein illegales Lager mit 3.800 Personen: Ob in Paris, Calais oder in Belgien, die Migranten zieht es nach Norden