© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/16 / 11. November 2016

Subsidiär wird ziemlich schwer
Asylrecht: Immer mehr Syrer klagen erfolgreich gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Besserer Schutzstatus
Martina Meckelein

Die Verwaltungsgerichte Deutschlands stehen einer Klagewelle unvorstellbaren Ausmaßes gegenüber. Immer mehr Asylbewerber ziehen vor Gericht. Sie klagen gegen die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), ihnen nur noch subsidiären Schutz zu gewähren und damit den Familiennachzug zu unterbinden. Und die Richter geben ihnen meistens recht. 

In der Behörde liegen aktuell 19.500 Klagen vor, berichtete Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im Oktober. Die Kläger, meist Syrer, wollen dadurch den höheren Schutzstatus gemäß Genfer Konvention erreichen. In 1.900 Fällen hätten die Gerichte entschieden. 1.400mal entschieden sie zugunsten der klagenden Flüchtlinge. Ihre Urteilsbegründungen sind wiederum Material für Anwälte, Flüchtlingsräte und Menschenrechtsorganisationen. 

Pro Asyl: Instrument  der Abschreckung

Jüngstes Beispiel: Am 7. Oktober hatte das Verwaltungsgericht Trier einen ablehnenden Bamf-Bescheid kassiert und dem Kläger recht gegeben. Die Verwaltungsrichter zogen für ihr Urteil unter anderem Stellungnahmen des UNHCR, Verfassungsschutzberichte, Erkenntnisse des amerikanischen Außenministeriums und einen Bericht der Generalversammlung der Vereinten Nationen heran. Die Lobbyorganisation Pro Asyl kommentiert das Urteil folgendermaßen: „Beeindruckend ist der argumentative Tiefgang des Urteils und die Fülle von Quellenmaterial, das für vergleichbare Klagen genutzt werden kann.“

Rückblick: Vor genau einem Jahr herrschte helle Aufregung in der Bundeshauptstadt. Am 6. November 2015 hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Exklusivbericht behauptet: Innenminister de Maizière plane, syrischen Flüchtlingen den Familiennachzug zu verweigern. Syrische Flüchtlinge genossen bis dato primären Schutz und damit das Recht auf einen dreijährigen Aufenthalt sowie Familiennachzug. Die Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sprachen für sich: Im August 2015 wurde 38.650 Syrern der Status als Flüchtling nach Genfer Konvention zuerkannt, nur 53 syrischen Staatsbürgern wurde er verweigert, sie wurden unter den nachrangigen subsidiären Schutz gestellt, bekamen weder einen Asyl- noch einen Flüchtlingsstatus. Die Schutzquote nach Genfer Konvention betrug im gesamten Jahr rund 99 Prozent. 

Der Innenminister wies noch am Abend den Bericht zurück. Kein Wunder, denn in der Koalition rauchte es. Die Zeit schrieb damals: „SPD ist empört.“ Parteivize Ralf Stegner (SPD) sagte, derartige Verschärfungen bekämen nicht die Unterstützung seiner Partei. Heute wissen wir, daß der Artikel der Wahrheit entsprach. Am 17. März dieses Jahres trat das Asylpaket II in Kraft. „Die SPD hatte dem Entwurf zugestimmt, mit der Begründung, es beträfe nur wenige“, sagt Andelka Krizanovic, Pressesprecherin von Pro Asyl in Frankfurt am Main der JUNGEN FREIHEIT. Was sie von dem Paket hält? „Die Bundesregierung benutzt das Instrument des subsidiären Schutzes für Flüchtlinge nur als Instrument der Abschreckung“, meint sie. Und aus ihrer Sicht hat Krizanovic recht, wenn sie fragt: „Hat sich denn seit März 2016 etwas grundlegend in den Herkunftsländern geändert? Es ist doch nicht besser, eher schlechter in Syrien, im Irak oder in Eritrea geworden. Denn auch bei den letztgenannten Ländern kippen die Flüchtlingszahlen zugunsten des subsidiären Schutzes.“

Die Rechnung begleicht     so oder so der Steuerzahler

In Zahlen sieht das dann so aus, daß im September dieses Jahres 70 Prozent der syrischen Staatsangehörigen nur noch subsidiärer Schutz zuerkannt wurde. Das heißt: Nach einem Jahr wird ihr Aufenthalt hier neu geprüft, Familiennachzug kann frühestens offiziell am 17. März 2018 beantragt werden. Doch der Chef des Bamf, Frank-Jürgen Weise, bleibt unverdrossen. Er legt fleißig weiter Rechtsmittel gegen die Urteile der Verwaltungsgerichte ein. Das kann dann über die Oberverwaltungsgerichte bis vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gehen. Bundesweit die erste Berufungsverhandlung gegen einen durchs Verwaltungsgericht kassierten Bescheid wird es am 23. November vor dem Oberverwaltungsgericht in Schleswig-Holstein geben.

Warum wird so häufig gegen die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge geurteilt? Die Richter sind der Ansicht, den Klagenden sei allein schon deshalb der Flüchtlingsstatus nach Genfer Konvention zuzugestehen, weil sie einen Asylantrag gestellt haben: Das Stellen eines Asylantrags gefährde ihr Leben im Heimatland. Was im Umkehrschluß das gesamte Asylverfahren im Grund obsolet macht. Die Bundesregierung argumentiert, daß nicht davon auszugehen sei, daß syrische Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr einer Verfolgung durch die Assad-Regierung ausgesetzt seien. „Nahezu jede Klage am Verwaltungsgericht muß zwangsläufig zum Erfolg führen“, stellt unterdessen ein desillusionierter Beamter, der anonym bleiben möchte, gegenüber der jungen freiheit fest. „Die Akten sind so dilettantisch und chaotisch geführt, daß jeder Richter sie dem Bamf um die Ohren hauen müßte.“

Ein durchschnittlicher Fall beschäftigt den Richter einen Arbeitstag, schreibt der Bayernkurier. Es ginge auch nicht nur darum, die vorgebrachten Asylgründe, sondern den Gesundheitszustand des Klägers und die aktuell herrschenden Zustände in seinem Herkunftsland zu bewerten.

Es gibt bereits Musterklagen im Internet – zum Beispiel von der Diakonie – verbunden mit dem Hinweis, auch gleich Prozeßkostenhilfe zu beantragen. Ein Verfahren kostet rund 1.600 Euro. Verliert das Bamf, muß der Bund zahlen, verliert der Kläger, also Asylbewerber, das Land. Egal wie die Entscheidung ausfällt, die Rechnung muß in jedem Fall der Steuerzahler begleichen. 

Foto: Syrische Familie im Verwaltungsgericht Trier: „Die Akten sind so dilettantisch geführt, daß sie der Richter dem Bamf um die Ohren hauen müßte“