© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Seebestatter mit Herz
Letzte Ruhe für Mensch und Tier: Kapitän Horst Hahn schippert Urnen aufs Meer hinaus
Martina Meckelein

Lübecker Bucht. 54 Grad 2 Minuten Nord und 10 Grad 56 Minuten Ost. Graue Wolken, schwarzes Meer. Am Horizont sind Himmel und Erde für das bloße Auge nicht mehr unterscheidbar. Sie werden eins. Hier, in zehn Metern Tiefe, erhebt sich ein grauschwarzer Kegel über dem Meeresgrund, nicht größer als ein kleiner Maulwurfshügel. Es ist ein Grab. Ein Doppelgrab – von Herrchen und Hund. Mensch und Tier gemeinsam bestattet. Das ist kein Spleen, kein neumodischer Trend, sondern im Grunde eine sehr alte Bestattungsform. Nur eben im Meer und nicht an Land. Denn der See sind keine Grenzen gesetzt. Wobei das natürlich so auch nicht ganz stimmt, aber die Geschichte erzählt der Hamburger Seebestatter Kapitän Horst Hahn (84) am besten selbst.

„Ich bin ein Hundefreund“, sagt Hahn mit unverkennbarem norddeutschen Idiom. „Als meine Cockerspaniel-Dame Lucky sterben wollte, da fragte ich mich, wieso sollte ich Lucky bei Nacht und Nebel im Garten verbuddeln? Das tut man doch nicht.“

Hahn, Kapitän und Bestatter in Personalunion, spezialisiert auf Seebestattungen, ließ seine alte Cocker-Hündin einäschern. „Dann habe ich sie mit dem eigenen Motorboot raus auf die Lübecker Bucht gefahren.“

Der Tod des eigenen Tieres war der Beginn für Überlegungen, nicht nur Menschen, sondern auch ihre Haustiere gemeinsam auf See zu bestatten. Und Hahn ist erfahren im Umgang mit deutschen Behörden. „Schließlich war ich es, der die ersten gewerblichen Seebestattungen überhaupt in Deutschland durchführte“, hält er stolz gegenüber der JUNGEN FREIHEIT fest. Das war 1972.

Hahn, der als Kapitän für die Hansa-Linie Schwergutfrachter von Bremen nach Dubai fuhr, hatte 1968 abgemustert und das Bestattungsinstitut seiner Tante Else übernommen. „Das Leben auf See ist doch nur ein halbes Leben. Sie können abends nur Wände ansehen, an Land dagegen mit dem Hund spazierengehen, ins Kino, in die Kneipe. Und außerdem hatte ich Familie.“

Hahn begann seine Bestatterkarriere im Stresemann und mit Zylinder. So trug er die Urnen zu den Gräbern in Hamburg-Ohlsdorf. „Warum in die Erde, warum nicht in die See?“ fragte er sich.

Obwohl in Deutschland seit 1934 erlaubt, waren Seebestattungen damals unüblich. Seegräber sind nur auf rauhem Grund möglich. So nennt man Seegebiete, in denen weder gefischt noch Wassersport getrieben wird. Die Urne muß aus einem Material bestehen, das sich im Wasser schnell, vollständig und ungiftig auflöst. All das bedenkend, meldete sich Hahn mit seiner Idee einer gewerblichen Seebestattung bei der Ethik-Kommission in Kiel. „Denn das Sagen über die Gewässer und Meere innerhalb der Zwölf-Meilen-Grenze hat nicht der Bund, sondern das anliegende Bundesland. Das waren damals, vor der Wende, eben nur Schleswig-Holstein und Niedersachsen.“

Die Kieler gaben grünes Licht. „Und dann rief ich in Hannover an, sagte denen, daß Kiel schon alles abgesegnet hätte. Na, da haben die Niedersachsen gesagt, wenn Kiel das richtig findet, wird es schon seine Ordnung haben.“

Die erste Seebestattung wollte ein Hamburger. Heute sind es 8.000 Bestattungen pro Jahr. „Da gibt es wahre Familiengräber, Oma, Opa, Tante, Bruder, Vater, Mutter – alle liegen zusammen.“

Vor zehn Jahren, als die Cockerspanielhündin starb, begann Hahn wieder Gesetzesbücher zu wälzen, mit Behörden zu telefonieren. Seebestattungen für Tiere, schon seltsam. Schließlich dürfen auf Hoher See nur Menschen und Baggerschüttgut ausgebracht werden. „‘Was für Tiere wollen Sie denn bestatten? Elefanten?’ fragte mich ein Beamter“, erinnert sich Hahn. „‘Nein, Hunde, Katzen, Vögel, etwas in der Größe.’“ „‘Wieviel Asche macht das denn so aus pro Tier?’“ „‘Also, ein Pferd wäre ein ganzer Sack voll. Ein Hund vielleicht 200 Gramm.’“

Kiel fand die Idee gut und bewilligte die Tierbeisetzung. Elefanten und Pferde sind allerdings ausgeschlossen.

Hahns eigener Kater Max starb vor einiger Zeit, wurde im Tierkrematorium eingeäschert. „Egal, wer zuerst geht, meine Frau oder ich, Max geht dann mit, bis dahin muß er noch im Kleiderschrank warten, in der Urne.“

„Vor kurzem hatte ich allerdings eine Bestattung, eigens für einen Hund.“ Ein dreiviertel Jahr zuvor hatte Hahn den Großvater einer Familie aus Berlin beigesetzt. Ein Drama für dessen sechsjährigen Enkel. „Der Opa, sein Enkel und der Hund des alten Mannes waren ein Herz und eine Seele“, sagt Hahn. Nun war der Hund gestorben. Der Junge war untröstlich und weinte bitterlich. Also rief die Mutter an und bat um eine einzelne Tierbestattung. Sie wollte gemeinsam mit ihrem Kind die Urne des Tieres zum Opa begleiten. „Wir fuhren gemeinsam raus. Die Trauer dieses Kindes hat mich erschüttert. Wenn ich heute noch daran denke, wie der kleine Mann da schluchzend an der Reling stand, kommen mir beim Erzählen die Tränen.“ Einige Tage später rief der Vater, ein Flugkapitän an, er bedankte sich bei Hahn. „Dem Jungen geht es jetzt viel besser. Opa und Hund sind vereint, so soll es doch sein.“