© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

Bitte wählt uns nicht
Niederlage für Bundesvorstand: Der skandalumwitterte AfD-Landesverband Saarland wird nicht aufgelöst / Hessen nominieren ihre Bundestagskandidaten
Christian Vollradt / Martin Voigt

Das dürfte in der deutschen Parteiengeschichte einmalig sein: Der Bundesvorstand fordert einen Landesverband auf, nicht zur Wahl anzutreten. Ein solches Kuriosum mag schwer vorstellbar sein, ist im Falle der AfD und ihres Ablegers an der Saar aber sehr real. Am Sonntag nachmittag wandten sich die beiden AfD-Sprecher Frauke Petry und Jörg Meuthen namens des gesamten Bundesvorstands mit einer Rundmail an die „lieben Mitglieder und Förderer“ der Partei. Anlaß war das Urteil des Bundesschiedsgerichts, den Landesverband nicht aufzulösen. 

Die vom Bundesvorstand vorgetragenen Verfehlungen im Landesvorstand des Saarlandes seien zwar „in weiten Teilen sehr wohl als zutreffend und auch schwerwiegend“ erachtet, eine Auflösung gleichwohl „als nicht verhältnismäßig“ angesehen worden. Der Bundesvorstand bedauere diese Entscheidung, „sieht sich gleichzeitig aber in der politischen Einschätzung zentraler Sachverhalte bestätigt“. Hintergrund sind unter anderem Vorwürfe, Spitzenfunktionäre der Saar-AfD hätten politische Kontakte mit rechtsextremen Personen gepflegt (JF 14/16 und 40/16). 

Weil es also bei den „erheblichen Zweifeln an der Integrität von maßgeblichen Teilen des Landesvorstandes“ bleibt, rufen Petry, Meuthen und Co. die ungeliebten Parteifreunde an der Saar auf, „nicht an der Landtagswahl im Frühjahr 2017 teilzunehmen und bereits eingereichte Listen zurückzuziehen“. Dieser Schritt solle „mit Rücksicht auf die Gesamtpartei im wichtigen Wahljahr 2017 erfolgen“. 

Die Antwort aus dem kleinen Bundesland im Westen fiel eindeutig aus – und negativ: „Wir werden an der Landtagswahl teilnehmen und stehen zu den vier Listen, die wir aufgestellt haben“, stellt Parteisprecher Rudolf Müller aus Saarbrücken gegenüber der JUNGEN FREIHEIT klar. Die Behauptung, das Schiedsgericht habe den Vorwürfen des Bundesvorstands inhaltlich recht gegeben, weist Müller, der zugleich Spitzenkandidat der Saar-AfD ist, zurück. „Ich möchte erst einmal das schriftliche Urteil des Gerichts abwarten.“ Das Schlüsselwort in der mündlichen Urteilsbegründung sei das Wort „unverhältnismäßig“ gewesen. Die Vorwürfe, Mitglieder der Saar-AfD hätten Kontakt in rechtsextreme Kreise gesucht, seien widerlegt, betonte Müller. Den Wunsch der Parteispitze, auf ein Antreten bei der Landtagswahl zu verzichten, bewertet Müller als „komplett unsouverän“. 

„Sinnvoll wäre nur die      Auflösung gewesen“

Ungeachtet des Schiedsgerichtsurteils laufen gegen den Landesvorsitzenden Josef Dörr und seinen Stellvertreter Lutz Hecker noch Parteiausschlußverfahren. Das werde allerdings nichts bringen, äußern parteiinterne Kritiker. „Dörr und seine Leute haben den Landesverband komplett auf Kurs gebracht. Die Mitglieder stehen mehrheitlich voll dahinter, auch weil fast alle gemäßigten Leute längst ausgetreten sind“, beklagt einer, der noch geblieben ist, im Gespräch mit der JF. Sinnvoll wäre daher tatsächlich nur die Auflösung des kompletten Verbands gewesen. 

Daß der Bundesvorstand mehrheitlich auf ein schlechtes Wahlergebnis hofft, sei schon länger ein offenes Geheimnis. Offensichtlich plant man ein „Aushungern“: keine finanzielle oder logistische Unterstützung seitens des Bundes, keine Wahlkampfauftritte Prominenter ... Ob diese Rechnung allerdings aufgehen wird, sei dahingestellt. „In der momentanen Stimmungslage in Sachen Asyl erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß die Partei im Saarland trotzdem auf ein zweistelliges Ergebnis kommt“, unkt ein Mitglied.

Unterdessen stimmt sich die hessische AfD mit einem zweitägigen Mitgliederparteitag in Hofheim am kommenden Wochenende auf die Bundestagswahl ein. „Es wird sich im Herbst 2017 um eine Schicksalswahl handeln“, schrieb der Landesvorstand in einem Rundbrief an die Mitglieder. Weil politisch eine „echte Wende“ notwendig sei, „wäre ein Ergebnis in der Liga der kleineren Parteien unzureichend“, heißt es in dem Schreiben. Um eine schlagkräftige Opposition zu garantieren, setze man sich zum Ziel, „um die 25-Prozent-Marke zu kämpfen“. 

Offen bleibt, ob die Mitglieder ihrer Landesspitze folgen und sich für das vorgeschlagene Gruppenwahlverfahren entscheiden. Dabei werden die Listenplätze blockweise gewählt, zum Beispiel in einer Gruppe von je neun Plätzen. Dieses Verfahren habe sich in Hessen bewährt, so Landessprecher Albrecht Glaser gegenüber der jungen freiheit. Alternativ sei jedoch auch die Einzelwahl bei der Listenaufstellung möglich. Etwas enttäuscht zeigte er sich, daß die drei regionalen Kandidatenvorstellungstreffen im Vorfeld eher mäßig besucht worden waren.

Interessant dürfte am Wochenende vor allem die Frage sein, wer sich im Kampf um Platz eins durchsetzt. Daß sowohl Glaser als auch einer seiner Co-Vorsitzenden, der Bad Homburger Rechtsanwalt Peter Münch, um die Spitzenposition konkurrieren, ist kein Geheimnis. „Die haben ihre Netzwerke schon lange mobilisiert“, meint ein Insider. 

Auch dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann werden entsprechende Ambitionen nachgesagt. Hohmann selbst gibt sich gegenüber der JF zurückhaltend. Es gehe in erster Linie um die Frage, „wer vertritt uns am besten in Berlin“. Gern strebe er einen der ersten zehn Listenplätze an, gibt der Politiker aus Fulda zu. Er setzt jedoch auch auf einen Erfolg als Direktkandidat im Wahlkreis, den Hohmann früher als CDU-Mann mit Rekordergebnissen erobert hatte. 

Um einen aussichtsreichen Listenplatz wird sich auch AfD-Mitgründer Konrad Adam bewerben. Pikantes Detail am Rande: Landesvorstandsmitglied Karl-Ludwig Kunstein hatte behauptet, Adam sei im Jahr 2013 gegenüber Parteifreunden handgreiflich geworden. Sprecher Münch bestätigte den Vorwurf als Zeuge. Der Publizist wies die Behauptungen als „unwahr, töricht und ehrenrührig“ zurück und zog vor Gericht. Im März gab das Oberlandesgericht Frankfurt Adam recht und untersagte Parteifreund Kunstein solche Behauptungen.