© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/16 / 04. November 2016

„Europa sollte sich ändern“
Wer wird am 8. November zum neuen US-Präsidenten gewählt? Welche Folgen wird das für unseren Kontinent haben? Der amerikanische Publizist und Bestsellerautor Victor D. Hanson warnt vor beiden Kandidaten
Moritz Schwarz

Herr Professor Hanson, wären Sie Europäer, auf wen würden Sie als neuen US-Präsidenten hoffen?

Victor D. Hanson: Wäre ich einer jener Europäer, die Massenzuwanderung für ein grundlegendes Problem des Kontinents halten, wäre Trump meine Wahl. Wäre ich für Merkel und offene Grenzen, würde ich auf Frau Clinton hoffen.

Schon klar, aber spielt es für die europäische Einwanderungskrise denn eine Rolle, wer in den USA Präsident ist?

Hanson: Nein, aber immerhin könnten Sie von einem Präsidenten Trump Verständnis für das Problem erwarten. Während Clinton die Lösung in der Öffnung von Märkten und Grenzen sieht – auch wenn sie das nicht zugibt.   

Die Frage bezieht sich eigentlich auf Ihre Kompetenz als Analytiker für Sicherheitspolitik. Welcher Kandidat wäre besser für das geopolitische Interesse Europas?

Hanson: Da muß ich ausholen. Sie wissen, daß von Trump mehr Isolationismus zu erwarten ist. Auch will er, daß die Europäer künftig einen wesentlich größeren Beitrag zur Verteidigung leisten. Zwar verlangt das auch Clinton, aber bei ihr hat das nicht die Konsequenz. Nun vermute ich, daß das in Ihren Ohren so klingt, als sei Clinton besser für Europa?     

Nun, kommt darauf an ... 

Hanson: Eben, die Sache hat eine Kehrseite: Bei der eher interventionistisch gesonnenen Clinton müßten die Europäer befürchten, eher in neue geopolitische Abenteuer verwickelt zu werden. Während sich andererseits aus Trumps stärkerem Rückzug aus Europa neue Tugenden entwickeln könnten. 

Nämlich?  

Hanson: Dann wären sie gezwungen, sich stärker selbst um ihre Verteidigung zu kümmern: Willkommen in der Welt der Selbstverantwortung! Das kann Europa nur guttun. Europa ist ein starker Kontinent, sein Bruttosozialprodukt übersteigt das der USA. Dennoch sind die Europäer, wohl wegen ihrer Vergangenheit, nicht willens oder in der Lage, sich so zu bewaffnen, daß sie sich verteidigen können. Das sollte sich ändern. 

Trump hat angekündigt, im Fall seiner Präsidentschaft die US-Truppen vollständig aus Europa abzuziehen und die Nato aufzulösen. Würde er das wirklich tun?

Hanson: Nein, diese Position vertritt Trump nicht. 

Aber so wird er in den deutschen Medien zitiert. 

Hanson: Er hat diese Aussage tatsächlich einmal gemacht. Aber erstens hat er sich inzwischen Dutzende Male anders geäußert, was die Medien auch berichten sollten. Zweitens handelt es sich dabei um einen rhetorischen Trick. 

Inwiefern?

Hanson: Trump hat seine Äußerung an Europäer und Japaner adressiert. Doch statt diese zurückzuweisen, haben beide mit einer Debatte reagiert, daß sie zuwenig Beitrag leisten und die USA künftig mehr von ihnen erwarten könnten. So haben sie Trumps Kritik bestätigt. Damit konnte er innenpolitisch punkten: Nun sehe man, daß er recht habe! Das war ein Trick aus seiner Praxis als Geschäftsmann; das Gegenüber mit einer Maximalforderung zu provozieren. Nicht um diese durchzusetzen, sondern um eine bestätigende Reaktion hervorzurufen. Außerdem: Trump wird im Amt seinen Isolationismus ebenso zügeln müssen, wie Clinton ihren Interventionismus. Denn tatsächlich haben wir bei den Republikanern einen Kandidaten, der isolationistischer – bei den Demokraten eine Kandidatin, die interventionistischer als die Parteibasis ist.  

Wäre Europa bei einem Abzug der US-Truppen wirklich bedroht?

Hanson: Was meinen Sie mit „bedroht“? Ein Szenario wie im Kalten Krieg, daß vierhundert russische Divisionen über Europa herfallen könnten? Dann nein. Aber Putin hat eine Art iranische oder gar nordkoreanische Mentalität entwickelt. Er will die Botschaft vermitteln, daß er in der Lage ist, zu destabilisieren, Grenzprovinzen zu bedrohen und Cyberattacken auszuführen. 

Sie haben 2014 vorausgesagt, Putin werde im Baltikum intervenieren. Bis jetzt hat sich das nicht bestätigt. 

Hanson: Ich halte es nach wie vor nicht für ausgeschlossen, daß Putin eines Tages eine Art Polizeiaktion im Baltikum befiehlt, um der dort angeblich bedrohten russischen Minderheit zur Hilfe zu kommen. Zunächst wäre die Operation sicher begrenzt, ob dann daraus mehr wird oder nicht, ob Putin auch den nächsten Schritt machen oder sich wieder zurückziehen würde – das hinge von der Reaktion der USA und der Europäer ab, die er genau beobachten würde. Putin ist es stets wichtig, zu Hause den Eindruck zu erwecken, er würde nur zur Hilfe eilen – 2008 in Georgien, 2014 in der Ukraine, 2015 in Syrien. Wenn es ihm gelänge, dieses Szenario auch im Baltikum zu erzeugen, würde er nach meiner Einschätzung die Gelegenheit nutzen. Dabei geht es ihm weniger – das muß man verstehen – um einen klassischen Krieg und die konventionelle Besetzung des Baltikums, als darum den Westen mit einer entsprechenden Operation in Schrecken zu versetzen und zu demütigen und dazu zu zwingen, Rußland als Macht anzuerkennen, indem er erneut seine Fähigkeit unter Beweis stellt, eine bestehende Ordnung zu destabilisieren. 

In Deutschland gilt ein Präsident Trump als außenpolitische Katastrophe schlechthin. Sie sagen, tatsächlich wäre das die Wahl Clintons. Warum? 

Hanson: Es heißt immer, anders als Trump sei Hillary Clinton so erfahren. Nun, von 2009 bis 2013 war sie Außenministerin der USA. Wie lautet das Fazit ihrer Amtszeit? Es läßt sich in zwei Aussagen zusammenfassen: Erstens, sie hat alle wichtigen politischen Fragen falsch eingeschätzt. Zweitens, sie hat mit zum Chaos im Nahen Osten beigetragen. 

Konkret?

Hanson: Zum Beispiel wandte sich Washington in ihrer Amtszeit in puncto Syrien hilfesuchend an Putin – und holte damit Rußland nach vierzigjähriger Unterbrechung zurück in den Nahen Osten! Zum Beispiel betrieb sie 2012 den Komplettabzug der US-Streitkräfte aus dem Irak – übrigens um die Wiederwahl Präsident Obamas zu sichern. Folge waren Machtvakuum, Zerfall und die Geburt des IS. Zum Beispiel unterstützte sie nach dem Arabischen Frühling in Ägypten die Muslimbrüder – die nach ihrem Wahlsieg sofort darangingen, den säkularen Staat zu beseitigen. Zum Beispiel beansprucht sie, maßgeblich zum Atomabkommen mit dem Iran beigetragen zu haben. Wir alle wissen aber, daß der Iran dennoch an der Bombe baut und die Frage nur ist, ob Teheran das undichte Abkommen schon jetzt im verborgenen oder später öffentlich brechen wird. Zum Beispiel drängte sie Präsident Obama zur Bombardierung Libyens. Dabei hatte Gaddafi inzwischen auf Massenvernichtungswaffen verzichtet. Seine Söhne verhandelten mit den Europäern über die Förderung von Öl- und Gasvorkommen, über politische Reformen und die Einrichtung von Sonderwirtschafstzonen. Ich war 2006 selbst in Libyen. In der Öffentlichkeit spürte man vorsichtigen Optimismus: Die Libyer hofften, der alternde Gaddafi werde die Macht Stück für Stück an seine reformbereiten Söhne übergeben. Dann fielen die US-Bomben, und heute herrscht Chaos im Land. Und ihre Verantwortung für den Tod des US-Konsuls und drei seiner Diplomaten 2012 in Bengasi wälzte Clinton auf andere ab.

Ist am „Chaos im Nahen Osten“ nicht eher Präsident George W. Bush schuld? Beziehungsweise der „Arabische Frühling“?

Hanson: Ich beziehe mich auf die Welt, wie sie Obama und Clinton bei ihrem Amtsantritt Anfang 2009 vorgefunden haben. Der Irak war damals vergleichsweise stabil. Dort fielen ein bis zwei unserer Soldaten pro Monat. Tatsächlich war es für einen Amerikaner zu der Zeit weniger gefährlich dort zu dienen als auf einem unserer Flugzeugträger. 2010 betrug die Zahl unserer Gefallenen im Irak dann aber bereits etwa 15 pro Monat. Und was den „Arabischen Frühling“ angeht: Sie haben nicht erkannt, wie gefährlich die damit einhergehende Islamisierung war und haben auf die Falschen gesetzt. Nehmen Sie Ägypten oder Libyen, wo sich heute alle Beteiligten von den USA verraten fühlen und uns hassen. Nein, der Orient ist definitiv chaotischer als 2009, und dies führt zu den enormen Migrationsströmen, die Europa nun erlebt. Aber unsere Elite versucht natürlich ihre Verantwortung dafür zu verschleiern. Ähnlich wie bei Ihnen, wo Kanzlerin Merkel auch nicht eingesteht, was sie mit ihrer Entscheidung von 2015 Europa angetan hat. 

Nämlich? 

Hanson: Nun, sie destabilisiert die viertgrößte Ökonomie der Welt und die Führungsnation der EU. Viele Amerikaner empfinden ihr Verhalten als das, was die deutsche Rechte früher getan hat – nur jetzt von links. Nämlich, daß Deutschland anderen Vorschriften macht, sich rücksichtslos und fordernd und damit antidemokratisch gegenüber seinen Nachbarn verhält. Frau Merkel hat ja nicht nur Deutschland mit Einwanderern geflutet, sondern erwartet, daß die anderen Europäer diese Politik übernehmen. Wie kann sie verlangen, die Politik zu bestimmen und alle ihr zu folgen haben? Und dann diese Vorstellung von Multikulturalismus, das Fehlen des Anspruchs, Einwanderer kulturell zu integrieren, weil das als unkorrekt gilt. Dabei genügt ein Blick in die Geschichte: Gibt eine Gesellschaft den Anspruch auf, besser zu sein als die Konkurrenz, kann das für sie fatale Folgen haben.     

Trump der Unhold, Clinton der System-Zombie. Was ist daran Wahrheit, was Medien- oder Wahlkampfpropaganda? 

Hanson: Na ja, wissen Sie, wenn Sie etwa die gehackten Clinton-E-Mails lesen, realisieren Sie, daß diese Leute in der Tat Teil einer Elite sind, die an nichts glaubt – außer an den Status quo, von dem sie profitieren. Öffentlich geben sie diese liberalen Platitüden von sich – Klimarettung, Antirassismus, offene Grenzen –, privat aber sind sie Anpasser, streben nach Reichtum, vorteilhaften gesellschaftlichen Verbindungen und pflegen den Zynismus. Das ist der Grund, warum Trump für viele so attraktiv ist, weil sie sich dieser Politischen Klasse sozial fremd fühlen. Was die Europäer nicht verstehen ist, daß diese Wahl sehr stark eine Klassenfrage ist. Zu meiner Jugendzeit repräsentierten die Republikaner noch die Elite, heute dagegen eher die Mittelschicht, während die Elite sich bei den Demokraten wiederfindet.

Und was ist mit Trump?

Hanson: Der Grund, warum viele Konservative Trump nicht trauen, ist weil sie spüren, daß er sozial kein Konservativer, vielmehr eine Kreatur Manhattans ist. Und der Grund, warum sich die Elite durch ihn so provoziert fühlt, ist weil er ihre Heuchelei anspricht. Dabei ist er selbst nicht besser – aber in den Augen seiner Anhänger ist er wenigstens ehrlich. Trump ist das Spiegelbild der Politischen Klasse – nur unverstellt und unverkleidet, so wie diese hinter dem ganzen liberalen Getue tatsächlich aussieht. Und das schockt diese Leute so, bringt sie auf die Palme. Ich halte den Unterschied zwischen Trump und Clinton letztlich lediglich für eine Frage des Stils. Beide verhalten sich unethisch, sind verstrickt in Machenschaften und servieren Lügen und Betrug. Die Frage an die Wähler ist lediglich, wie sie dieses Gericht angerichtet wünschen? Roh und deftig im Stile Trumps, oder dezent und raffiniert nach dem Rezept Clintons? Sehen Sie, das ist bei uns nicht anders als etwa bei den französischen Eliten: Diese tun und lassen, was ihnen paßt – aber sie tun es auf eine bestimmte Art und Weise, ohne die Bürger zu schocken. Und eben das ist es, was sie tatsächlich von Le Pen unterscheidet, bei der der Schock zum Programm gehört. Und vermutlich ist es in Deutschland auch nicht anders, mit Ihren Etablierten und Populisten – ich weiß es nicht, sagen Sie es mir. 






Prof. Dr. Victor D. Hanson, der Publizist und Bestsellerautor ist Historiker an der Universität von Stanford. Zuvor lehrte er an der California State Universität und war Gastdozent an der US-Marine-Akademie in Annapolis. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter durch Präsident George W. Bush die National Humanities Medal, in dessen Amtszeit er auch in eine Historikerkommission der US-Regierung berufen wurde. Außerdem war Hanson Kolumnist des US-Nachrichtenmagazins National Review und publizierte in zahlreichen Zeitungen wie New York Times, Wall Street Journal, American Spectator, Weekly Standard, aber auch im Times Literary Supplement, dem Daily Telegraph oder der Weltwoche. Hanson veröffentlichte zahlreiche Bücher. Für Diskussionen sorgten vor allem sein einwanderungskritischer Band „Mexifornia. A State of Becoming“ (2003) sowie sein US-Bestseller „Carnage and Culture. Landmark Battles in the Rise of Western Powers“ (2001). Geboren wurde Hanson 1953 in Kalifornien. 

Foto: Figuren der Präsidentschaftskandidaten Trump und Clinton vor einer US-Flagge: „Der Unterschied zwischen ihnen ist letzlich eine Frage des Stils. Beide sind verstrickt in Machenschaften, servieren Lügen und Betrug. Die Frage ist lediglich, wie der Wähler das Gericht angerichtet wünscht? Roh und deftig im Stile Trumps, oder raffiniert nach dem Rezept Clintons“   

 

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