© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Verbot von Bargeld und der gläserne Bürger
Bargeld ist geprägte Freiheit
Alice Weidel

Walter Ulbricht hat den DDR-Bürgern einst versichert, daß niemand die Absicht hätte, eine Mauer zu bauen. Sie wurde gebaut. Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte uns: „Wir schaffen das!“ Wir schaffen es nicht. Die Politik der offenen Grenzen ist bereits jetzt gescheitert. Politiker der Einheitsparteien, wie etwa Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, versprechen, daß niemand die Absicht habe, das Bargeld abzuschaffen. Es wird schrittweise abgeschafft. Die Worte regierender Politiker sollte man nicht immer für bare Münze nehmen.

Für bare Münze nehmen sollte man da schon eher die Ideen führender Ökonomen, die oft großen Einfluß auf die politischen Entscheidungsträger ausüben. Einer der wirkmächtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts war John Maynard Keynes, dessen Einfluß leider größer war als der seines großen Widersachers Friedrich August von Hayek. Keynes war sich der Bedeutung seines Berufsstands bewußt: „Die Ideen der Nationalökonomen und der politischen Philosophen, gleichgültig, ob sie nun richtig oder falsch sind, sind von weit größerem Einfluß, als man gemeinhin annimmt. In Wirklichkeit wird die Welt von fast nichts anderem regiert. Praktiker, die sich frei von jeglichem intellektuellen Einfluß wähnen, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verstorbenen Nationalökonomen.“

Noch nicht verstorben, aber dennoch einflußreich ist Kenneth Rogoff, ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds und Autor des vor kurzem erschienenen Buches „The Curse of Cash“ (Fluch des Bargeldes). Im Jahre 2014 erregte er mit seiner Forderung nach der Abschaffung des Bargeldes großes Aufsehen. Beifall für diese Forderung erhielt er vom ehemaligen amerikanischen Finanzminister und Harvard-Ökonomen Larry Summers. Und auch hierzulande wurde das Lied des Bargeldverbots von wichtigen Ökonomen angestimmt, so etwa von Peter Bofinger, immerhin Berater der Bundesregierung und seit 2004 einer der fünf Wirtschaftsweisen. Für Bofinger stelle das Bargeld bei den heutigen technischen Möglichkeiten einen „Anachronismus“ dar.

Nun ist es unter normalen Umständen undenkbar und nicht konsensfähig, das Bargeld tatsächlich abzuschaffen. Und dennoch gewinnt die Debatte ums Bargeldverbot zunehmend an Intensität, was an der immer größer werdenden Schuldenlast der Staaten und Banken liegt. Die Abschaffung des Bargeldes wird von den Bargeldgegnern als valides Instrument zur Lösung vielfältiger Probleme präsentiert. So ließen sich Kriminalität, Terrorismus, Steuerflucht, Schwarzarbeit und Geldwäsche mit einem Bargeldverbot besser bekämpfen. Das mag zunächst vernünftig klingen. Andererseits: Sollte man auch Autos oder Handys verbieten, nur weil sie zum Inventar eines Bankräubers gehören? Wohl kaum!

Würden jetzt Negativzinsen eingeführt, würden die Menschen die Banken stürmen und ihr Geld, das dann als Wertspeicher viel attraktiver würde, abheben und verwahren. Mit einem Bargeldverbot gäbe es schlichtweg nichts mehr zum Abheben. 

In Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes: Zum einen geht es um eine noch bessere Kontrolle des Bürgers, der vom datensammelwütigen Staat unter Generalverdacht gestellt wird, noch mehr Informationen preisgeben und einen weiteren Verlust seiner Freiheit, Privatsphäre und Anonymität hinnehmen soll. Eine totale Überwachung, die vermutlich selbst George Orwell und Aldous Huxley nicht für möglich gehalten hätten. Unser Staat zieht einen gläsernen Bürger einem effektiven Grenzschutz vor. Das läßt tief blicken.

Zum anderen geht es um die Durchsetzung von Negativzinsen – Bargeld ist das letzte Hindernis zur weiteren Senkung der Zinsen in den Negativbereich; würden jetzt Negativzinsen eingeführt werden, würden die Menschen die Banken stürmen und ihr Bargeld, das dann als Wertspeicher enorm an Attraktivität gewinnen würde, abheben und unter das Kissen legen. Mit einem Bargeldverbot in Kombination mit Negativzinsen wird das durch minimale Mindestreservesätze verursachte Liquiditätsproblem der Banken schlagartig gelöst und Bank Runs werden unmöglich, da es schlichtweg nichts mehr zum Abheben gibt. Der Staat will den Bürgern jede Fluchtmöglichkeit aus dem kranken Bankkontensystem nehmen.

Möglich wird zudem eine schleichende Enteignung der Sparer, eine finanzielle Repression, denn: Wer bei Bargeldverbot und Negativzinsen spart, verliert, während die privaten Haushalte aus dem europäischen Süden profitieren, da sie ihre teuren Kredite nun umschulden und zu günstigen Konditionen zurückzahlen können. Anstatt Zinsen für ihre Schulden zahlen zu müssen, erhalten die überschuldeten Staaten Zinsen von den Sparern der Gläubigerstaaten. Es findet eine Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern statt, mit entsprechenden Verwerfungen für den sozialen Frieden, da es vor allem die kleinen Sparer und Altersvorsorger trifft, denen jede letzte Sicherheit auf das kleine Netto vom Brutto in diesem Steuer- und Abgabenstaat genommen wird. Sparen und Vorsorgen wird bestraft. Ein historisch einmaliger Vorgang.

Außerdem wirkt ein Bargeldverbot in Kombination mit Negativzinsen de facto wie eine Konsumverweigerungssteuer. Die Ökonomen Ulrich Horstmann und Gerald Mann sprechen von einem „bargeldlosen Konsumterrorsystem“, in dem der Bürger zum Konsumtrottel erzogen wird. Zudem belegen Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung, daß Menschen Bargeld nicht so leicht ausgeben wie Kartengeld. Das haptische Erlebnis des Zählens der Geldscheine übt eine disziplinierende Wirkung auf den Umgang mit Geld aus. Mit der Abschaffung des Bargeldes verschwindet die disziplinierende Wirkung des haptischen Erlebnisses.

Die Banken und den Staat würde das freuen: Wegen sinkender Zinsmargen verdienen die Banken mit Sparern immer weniger, und auch der Staat kassiert wegen des niedrigen Zinsniveaus weniger an Abgeltungssteuern. Klar, daß Banken und Staat daher ein starkes Interesse an einer Ausweitung des Konsums der Bürger haben.

Der durch das Bargeldverbot angeregte Konsum soll, so das vorgegaukelte Credo der Bargeldverbotshasardeure, eine stimulierende Wirkung auf die Konjunktur haben. Diese künstliche Form der Konjunkturbelebung wirkt höchstens kurzfristig – langfristig schadet sie der Wirtschaft, da die Zinsmanipulation und die beliebige Veränderung der Geldmenge auf Knopfdruck die Preisbildung verzerren, was wiederum zu einer Fehlleitung der Produktion bei gleichzeitiger massiver Kreditausweitung führt. Krisen sind damit programmiert, sie werden bloß auf die lange Bank geschoben und treten häufig erst dann zutage, wenn die sie verursachenden Banker und Politiker schon außer Dienst sind. Was schert schon den heute regierenden, mit einer hohen Zeitpräferenz ausgestatteten Politiker von heute das Wohl – oder besser: das Übel – der Leute von morgen?

Es wird höchste Zeit, die Sinne zu schärfen für Privatsphäre, für bürgerliche Freiheiten, für Eigentum, gegen finanzielle Repression und totale Überwachung. Freiheit verliert man scheibchenweise. Die Abschaffung des Bargelds führt in die digitale Knechtschaft. 

Man könnte nun einwerfen, daß dies Schwarzmalerei sei, zumal es gegenwärtig noch kein Bargeldverbot gibt. Dennoch: Erste Schritte in eine bargeldlose Gesellschaft wurden bereits unternommen. EU-weite Obergrenzen für Bargeldzahlungen werden von EU-Finanzministern diskutiert, in vielen EU-Staaten sind sie bereits Realität: In Frankreich und Italien dürfen nur noch Beträge bis 1.000 Euro und in Griechenland nur noch bis 1.500 Euro in bar gezahlt werden. Auch in Belgien und Spanien wird der Bargeldverkehr zunehmend eingeschränkt. Am weitesten fortgeschritten auf dem Weg in eine bargeldlose Gesellschaft ist Schweden. In Deutschland wird derweil über eine Bargeldobergrenze von zunächst 5.000 Euro diskutiert. Das mag hoch angesetzt sein, vermutlich um Bürgerproteste zu vermeiden. Es ist allerdings recht wahrscheinlich, daß man im Fall der Fälle diese Bargeldobergrenze zwecks sogenannter EU-Harmonisierung schrittweise senken wird – Freiheit verliert man scheibchenweise.

Das zeigt sich auch bei der Abschaffung der Banknoten: Im Euroraum wird mit Ende 2018 die 500-Euro-Banknote aus dem Verkehr gezogen. Für Kenneth Rogoff ist dies nicht genug: Er fordert umgehend auch die Abschaffung der 200- und der 100-Euro-Scheine und Negativzinsen von bis zu sechs Prozent.

Die in einigen EU-Staaten schon jetzt eingeführten und bei uns diskutierten Bargeldobergrenzen sowie die schrittweise Abschaffung von Banknoten stellen einen drastischen Eingriff in das Eigentumsrecht der Bürger dar. Solche Einschnitte in die Privatautonomie und in die finanziellen Eigentums- und Freiheitsrechte führen letztlich zwingend zu einem nicht wünschenswerten Machtzuwachs des Staates und des Finanzsektors.

So undenkbar ein Bargeldverbot mit all seinen verheerenden Folgen erscheinen mag, so realistisch ist seine bereits im Gange befindliche Durchsetzung. Jean-Claude Juncker, einer der mächtigsten Eurokraten, hat den politischen Durchsetzungsprozeß auf EU-Ebene schon beschrieben, als er noch Premierminister von Luxemburg war: Zunächst wird die Idee eines umstrittenen, aussichtslosen und undenkbaren politischen Vorhabens an die Öffentlichkeit getragen und die Reaktion der Bürger darauf abgewartet. Fällt die Reaktion ablehnend aus, wird die Idee vorübergehend zurückgezogen, bis man sie erneut in die Debatte bringt usw. (Der Spiegel, 27. Dezember 1999). Es findet ein Prozeß des permanenten Vorfühlens statt. Auf diese Weise sinkt nach und nach die Aufmerksamkeit der Menschen, bis schließlich der Punkt erreicht ist, an dem ihr Widerstand gebrochen ist, da sie schließlich Besseres zu tun haben, als sich ständig den Gängelungen der Brüsseler Eurokraten entgegenzustellen. In puncto Bargeld ist der Prozeß des Vorfühlens mit Hilfe von Kenneth Rogoff, Larry Summers, Peter Bofinger und Konsorten schon längst erfolgt. Der gesellschaftliche Widerstand blieb bisher bescheiden.

Es wird höchste Zeit, die Sinne zu schärfen – für Privatsphäre, für bürgerliche Freiheiten, für Eigentum, gegen finanzielle Repression und gegen totale Überwachung. Bargeld ist geprägte Freiheit. Seine Abschaffung führt in die digitale Knechtschaft.






Dr. Alice Weidel, Jahrgang 1979, ist Diplomkauffrau und Volkswirtin. Sie amtiert als Beisitzerin im Bundesvorstand der AfD und leitete bis Januar 2016 die Bundesprogrammkommission der Partei.