© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Abwehrzauber gegen Gesindel
Schwäbischer Gruß: Götz von Berlichingen, Goethe, Mozart und die deutsche Justiz
Wolfgang Kaufmann

Der fränkische Reichsritter Gottfried „Götz“ von Berlichingen zu Hornberg (um 1480–1562) war sicher ein tapferer Mann, aber kein Liebhaber höfischer Anstandsregeln, obwohl er in seiner Jugend sogar als Türhüter des Markgrafen Friedrich II. von Brandenburg-Ansbach gedient hatte. Für den Raufbold mit der „eisernen Hand“ (eine Prothese, die er seit einer Amputation im Jahre 1504 trug) rangierte das robuste Austragen von Konflikten deutlich vor dem Wechsel gedrechselter Artigkeiten. Deshalb verhängte Kaiser Maximilian I. 1512 zum ersten, jedoch nicht zum letzten Male die Reichsacht über Götz und dessen Spießgesellen. Trotzdem freilich brach der händelsüchtige Adlige 1516 eine weitere Fehde vom Zaun, in der es nun gegen das Mainzer Stift beziehungsweise Erzbischof Albrecht ging.

Während dieser Auseinandersetzung brannte Götz zunächst die Dörfer Ballenberg und Oberndorf nieder und zog dann zur Burg von Krautheim, wo der kurmainzische Amtmann Max Stumpf residierte, der einstmals zu den Freunden des Franken zählte, nun jedoch wegen seiner Loyalität gegenüber Albrecht als Verräter galt. Allerdings war die Gruppe der Angreifer lediglich sieben Mann stark und hatte somit wenig Chancen, die Burg einzunehmen. Also zündete man die Schafscheune am Fuße des Gemäuers an – in der Hoffnung, Kraut damit herauszulocken. Der jedoch dachte nicht im Traume daran, in eine solch plumpe Falle zu tappen und rief nur verächtlich von den Zinnen herab, Götz möge sich doch nach oben bemühen, wenn er etwas wolle. Was daraufhin passierte, beschrieb der Reichsritter in seinen stilistisch recht holprigen Memoiren mit folgenden Worten: „Da schriehe ich wider zu ihme hinauff, er solt mich hinden leckhenn.“

Goethes Schauspiel machte den Gruß bekannt

Diese Episode griff der junge und bis dahin noch kaum als Dichter hervorgetretene Advokat Johann Wolfgang Goethe in dem 1774 uraufgeführten Schauspiel „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“ auf. Jedoch fallen die Worte nun in der Burg Jagsthausen, in der Goethes aufmüpfiger Protagonist von einem übermächtigen Exekutionsheer des Reiches belagert wird, gegenüber dem Boten, der zur Kapitulation auffordert: „Mich ergeben! Auf Gnad und Ungnad! Mit wem redet ihr! Bin ich ein Räuber! Sag deinem Hauptmann: Vor Ihro Kaiserliche Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respekt. Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“

Hierdurch machte Goethe die ordinäre Offerte und auch sich selbst mit einem Schlag deutschlandweit bekannt, obwohl es an den Theatern schnell Usus wurde, den Hauptdarsteller das Fenster zuknallen zu lassen, während er den Spruch tat, welchen die Kritiker seinerzeit einhellig als „pöbelhaft niedrig“ monierten, wohingegen das Publikum jubelte. Dabei war der historisch-reale Reichsritter gar nicht der Erfinder der Zote, die bald die euphemistische Bezeichnung „Schwäbischer Gruß“ verpaßt bekam.

Wie Volkskundler sowie die Mitglieder des „Götz-Forschungsvereins Lemia“ und der „Götz-von-Berlichingen-Akademie zur Erforschung und Pflege des schwäbischen Grußes“ herausfanden, verweist die obszöne Äußerung auf einen uralten, wahrscheinlich sogar vorchristlichen Abwehrzauber. Ganz offensichtlich gehörte das Präsentieren des nackten Gesäßes zusammen mit Vorschlägen hinsichtlich möglicher Unterwürfigkeitsbezeugungen gegenüber dem selbigen zu den sogenannten apotropäischen Handlungen, mit denen die Menschen seinerzeit Dämonen, Hexen und anderes unerwünschtes Gesindel zu vertreiben suchten. Deshalb finden sich auch an zahlreichen Bauwerken des Mittelalters Darstellungen der Enthüllungspose, so zum Beispiel an der Schallaburg bei Melk, den Münstern von Ulm, Freiburg und Straßburg sowie diversen Gebäuden in Brünn, Bologna, Burgos, Tarragona und Salamanca. Ja, sogar außereuropäische Völkerschaften praktizierten den Brauch – allen voran die Maori in Neuseeland, die das Ganze „Whakapohane“ nennen und damit Elisabeth II. beziehungsweise Prinz Charles und Lady Diana anläßlich ihrer Staatsbesuche in der früheren britischen Kolonie provozierten.

Ebenso wurde die Aufforderung, das Gegenüber möge einen doch „am Arse lecken“, schon 1454 als Beleidigung aktenkundig. Damals notierte der Schreiber des Bamberger Stadtgerichts voll empörter Akribie, die Gärtnersfrau Agnes Schwanfelder habe dies zu einem „geistlichen Herrn“ gesagt und dann auch noch höchst unverschämt hinzugefügt, sie würde dem Mann der Kirche gerne auf die „Platten scheißen“, daß die „Brühe über die Backen in sein Maul rinne“.

Justiz muß prüfen, ob eine Beleidigung vorliegt

Als Goethe den „Schwäbischen Gruß“ in die Welt des Theaters einführte, inspirierte er damit aber keineswegs nur Streitlustige jedweder Couleur, das „alte Kulturgut“ wiederzubeleben, sondern auch ernsthafte Künstler. Bestes Beispiel hierfür ist Wolfgang Amadeus Mozart, der 1782 mit dem ihm eigenen Übermut den Kanon „Leck mich am Arsch“ (KV 231) komponierte. Zudem wurde das unfeine Ansinnen Teil des politischen Diskurses. So verabschiedete sich Paul Hegelmaier, der Bürgermeister von Heilbronn, wo Götz von Berlichingen einstmals jahrelang in „ritterlicher Haft“ gesessen hatte, Ende 1903 mit dem berühmten Zitat an die Adresse sämtlicher „Krämerseelen“ der württembergischen Kommune aus dem Amt.

Weniger polemisch und eher scherzhaft gemeint war hingegen ein Gedicht des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg reimte: 

„Unser großer Landsmann Götz 

sprach: jetzt geht die Sache letz,

aber – eh ich soll verrecken,

könnt ihr mich am Arsche lecken.

Goethe hört dies große Wort,

gibt ihm einen Dichterhort,

und er schafft mit dieser Tat

Deutschlands häufigstes Zitat.“

Diese Verse aus der Feder des damaligen Chefredakteurs der Neckar-Zeitung standen auf einer Tafel am Bankhaus Gumbel in der Heilbronner Kaiserstraße 34, das ab 1906 am Platze des abgerissenen Gasthofes „Zur Krone“ errichtet wurde, in dem Götz von Berlichingen von 1519 bis 1522 als Gefangener des Schwäbischen Bundes „geschmachtet“ haben soll. Allerdings fiel das Gebäude mitsamt der Gedenkplatte am Abend des 4. Dezember 1944 dem verheerenden Luftangriff der No. 5 Bomber Group der Royal Air Force auf die historische Innenstadt Heilbronns zum Opfer.

Heute beschäftigt die angebliche Götzsche Wortkreation vor allem die Justiz, die nun stets gewissenhaft prüfen muß, ob das zur Klage führende „Leck mich …“ eher aus dem Umstand resultierte, daß der vor Gericht Gezerrte einfach bloß seine Überraschung angesichts eines unerwarteten Ereignisses kundtun wollte, oder aber tatsächlich als Beleidigung im Sinne des Paragraphen 185 Strafgesetzbuch gedacht war. Dann sind schon mal zwischen 20 und 40 Tagessätze fällig – oder gar Haft von bis zu einem Jahr, wenn einschlägige Vorstrafen existieren. Es sei denn natürlich, es handelt sich um Kunst, wie im Falle von Frank Castorfs Inszenierung von Horváths „Kasimir und Karoline“ am Residenztheater München. In diesem schrillen Szenenpotpourri von 2011 durfte einer der Schauspieler ohne jede Angst vor Strafverfolgung von der Bühne herabrufen: „Leck mich doch du am Arsch, Frau Merkel!“

Johann Wolfgang von Goethe: Götz von Berlichingen. Anaconda Verlag, Köln 2014, gebunden, 128 Seiten, 3,95 Euro