© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

„Der Wald schaut aus wie vor hundert Jahren“
Interview: Der oberbayerische Gutsbesitzer Florian von Schilcher über die Zukunft der Holzbranche und die Alternative „Ruheforst“
Wolfhard H. A. Schmid

Herr von Schilcher, ein Drittel Deutschlands ist bewaldet. Fast die Hälfte davon ist in Privathand – Sie sind einer dieser Waldbesitzer. In den achtziger Jahren sprach man vom Waldsterben, der Begriff fand – wie Kindergarten oder Bratwurst – sogar Eingang ins Englische. Laut Waldzustandsbericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums hat sich vieles verbessert, aber noch immer seien über zwei Drittel des deutschen Waldes geschädigt. Wie steht es um Ihre 250 Hektar Mischwaldfläche?

Schilcher: Der Wald schaut aus wie vor hundert Jahren. Vom Waldsterben habe ich noch nie etwas gesehen. Professor Reinhard Hüttl, Vorstandssprecher des Geoforschungszentrums Potsdam, sieht in den Schwefeldioxiden in der Luft und dem sauren Regen nur einen Grund für die Verfärbungen der Nadeln und den Laubverlust – aber bei weitem nicht den einzigen. Eine weltweite Untersuchung über das Waldwachstum hat gezeigt, daß es mit dem Wald besser geht als je zuvor.

Hüttl sagt sogar, der Klimawandel habe dafür gesorgt, daß der Wald – durch die gestiegenen Temperaturen und mehr Niederschläge – schneller wachse und sich die Vegetationsperioden verlängert haben ... 

Schilcher: Ja, und heute hat die TU München Leute herumlaufen, die damit glänzen wollen, daß sie das Waldsterben verhindert hätten.

Können Sie allein durch Ihre Forstwirtschaft leben, oder sind Sie noch anderweitig unternehmerisch aktiv?

Schilcher: Ich habe zusätzlich Häuser übernommen, die für Schulungszwecke vermietet werden, darunter befindet sich ein großer Hof. Ich habe einen Hausmeister und zwei Angestellte, dazu eine kleine Gaststätte, die nur für private Festlichkeiten wie Jubiläumsfeiern oder Hochzeiten geöffnet wird. Für die saisonbedingten Arbeiten in der Forstwirtschaft habe ich Leiharbeiter.

Finden Sie genügend Waldarbeiter?

Schilcher: Die meisten kennt man von der jahrelangen Zusammenarbeit. Sie wissen genau, was sie zu tun haben. War man zufrieden, werden sie gerne wieder für erneute Waldarbeit genommen. Voraussetzung sind natürlich Leute mit geeignetem Maschinenpark.

Gibt es in der privaten Forstwirtschaft eine Tarifvereinbarung für Arbeitnehmer?

Schilcher: Ja, die gibt es. Bei mir wird allerdings eine pauschale Zahlung vereinbart, die auf der zu bearbeitenden Holzmenge und Schwierigkeit des Geländes und damit der Arbeit beruht.

Wären Flüchtlinge eine mittelfristige Alternative als Forstmitarbeiter?

Schilcher: Wegen der potentiellen Gefahren der Waldarbeit sind Arbeitskräfte ohne Vorbildung ungeeignet. Die Handarbeit mit der Motorsäge ist immer dabei und erfordert immer große Sorgfalt.

Die Weltmarktpreise für Holz schwankten in den vergangenen zehn Jahren stark: Von 2006 bis 2009 sind sie um zwei Drittel eingebrochen. Seit 2010 geht es wieder stetig aufwärts. Wie sehen sie die zukünftige Preisentwicklung für die Forstwirtschaft?

Schilcher: Das Hauptproblem ist in unseren „naturnah“ bewirtschafteten Wäldern die Naturverjüngung. Das massiv nachwachsende Laubholz bedingt einen massiven Rückgang des Anteils der Fichte. Die Vegetationsgutachten weisen das eindeutig aus. Die Fichte kann sich vielerorts nicht mehr behaupten. Ihr Holz ist aber das für die Bauwirtschaft mit Abstand am besten geeignete. In zirka fünfzig Jahren werden wir durch die Naturverjüngung in Deutschland zu wenig Bauholz im Wald stehen haben.

Wäre das wirklich so schlimm?

Schilcher: Dies birgt die Gefahr, daß sich die holzverarbeitenden Betriebe bei uns zurückziehen. Die wirtschaftlichen Aussichten für Fichtenbetriebe werden sich verschlechtern. Laubholz bietet, trotz zahlreicher Versuche der Holzindustrie, die Tauglichkeit zu verbessern, keine Alternative. Und: Laubholz wächst auch langsamer und weniger dicht, ist pflegebedürftiger und krankheitsanfälliger und produziert durchschnittlich deutlich weniger brauchbares Sägeholz. Daß einzelne Eichen sagenhafte Spitzenpreise erzielen, ändert daran gar nichts. 

Mit 2,6 Millionen Hektar liegt fast ein Viertel der deutschen Waldfläche in Bayern. Etwa 55 Prozent davon sind im Freistaat in Privathand. Der Bayerische Waldbesitzerverband vertritt seit 1918 deren Interessen. Wie sehen Sie dessen Arbeit?

Schilcher: Der BWV ist bis auf die Jagdfrage gut aufgestellt. Aber der Streit zwischen Jagd und Forstwirtschaft ist nach wie vor ein Problem. Der Staat fordert eine höhere Abschußquote, während der Jagdverband einen Ausgleich zwischen Wildhege und Abschußquote beibehalten möchte. Hier lehnt sich unser Verband leider an den Staat an.

Die „Zeit“ (10/16) berichtete über einen weiteren Konflikt: dem zwischen Waldschützern und Waldnutzern. Unter dem Titel „Ein Herz und eine Säge“ wird Ihre Auffassung von Forstwirtschaft der romantischen Sicht von Peter Wohlleben aus der Eifel gegenübergestellt, der mit seinem Erfolgsbuch „Das geheime Leben der Bäume“ offenbar einen deutschen Nerv getroffen hat. Ist dies nicht eine Bestätigung für die Errichtung eines weiteren Nationalparks, wie er jetzt für den Spessart geplant wird?

Schilcher: Dieser Förster muß kein Geld mit Forstwirtschaft verdienen. Sein Einkommen beruht in seinen Buchveröffentlichungen und auf Waldbestattungen, die er in seinem naturbelassenen Wald als Ruheforst anbietet. Er ist sehr geschickt in seiner Öffentlichkeitsarbeit, und sein Schreibstil ist sehr flüssig und kommt bei einem großen Leserkreis sehr gut an. Auch mir hat er gefallen.

Wäre Windkraft ein neues Standbein?

Schilcher: Auch ich hatte Windstrom in Erwägung gezogen, habe jedoch festgestellt, daß die Windstärke in unserem bayerischen Oberland für einen wirtschaftlichen Betrieb nicht ausreicht. Die „10H“-Regelung ist in Bayern verfassungsgemäß. Demnach muß der Abstand eines Windrads von Wohnungen mindestens zehnmal so weit sein wie die Anlage hoch ist. Bei einem 200-Meter-Rad – das ist heutzutage Standard – wären das 2.000 Meter. Laut Windenergiebefürwortern ist das der Tod für derartige Investitionen in Bayern. Dazu will die Bundesregierung ab nächstes Jahr die Windkraft an Land weniger fördern. Bis auf die fünf Windräder im Kreis Starnberg ist der Windstrom bei uns im bayrischen Oberland schon tot. 

Waldbesitzer in sechster Generation. Wie sieht es bei Ihnen mit dem Nachwuchs aus?

Schilcher: Schaut ganz gut aus. Mein ältester Sohn ist Informatiker und unterstützt schon jetzt aus der Ferne unser Unternehmen. Wenn es soweit ist, wird er sicher mein Nachfolger werden und dann hierher ziehen. Ich werde dann mein Domizil nicht mehr hier haben.





Florian von Schilchers Wald- und Wildblog: www.schilcher-dietramszell.de

Sonnenhof Gasterei der Gutsverwaltung: www.sonnenhof-gasterei.de

Schilchersche Gutsverwaltung Dietramszell

Im Mittelalter gegründet, gehörte das Kloster Dietramszell bis zur Auflösung während der Säkularisation 1803 den Augustiner Chorherren. Bei der damaligen Versteigerung erwarb der Vorfahr von Florian von Schilcher, der Münchner Oberforstrat Mathias Egid Schilcher große Teile des Klosters nebst den beiden landwirtschaftlichen Betrieben Sonnen- und Nordhof, der Ziegelei, dem Kalkofen, der Brauerei und der Schenke sowie 160 Hektar Land und 730 Hektar Wald. 1814 erhielt der Vorfahr vom bayerischen König Maximilian I. den erblichen Adel. In drei Flügel des Klosters zogen die Klarissinnen aus dem Angerkloster in München vorübergehend ein. 1831 folgten ihnen die Salesianerinnen vom nordwestlich von München gelegenen Indersdorf mit ihren Institutszöglingen. Die Mädchenschule, früher vorwiegend von Töchtern aus Adels- oder Offiziersfamilien besucht, mußte während der nationalsozialistischen Diktatur vorübergehend geschlossen werden. 1958 kauften die Salesianerinnen die versteigerten Teile des Klosters von der Familie Schilcher zurück und führten seit dem eine Mädchenrealschule mit Internat, die bis zum Jahre 1990 bestand. In den Räumlichkeiten sind jetzt eine Montessori-Schule und ein gemeindlicher Kindergarten untergebracht. Heute bewohnen nur noch wenige Schwestern das Kloster. 2014 wurde Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerschaft aberkannt. Der letzte Reichspräsident hatte jahrzehntelang bei den Schilchers in der Sommerfrische geweilt. Im Zuge der Aberkennung wurde auch die an der Klostermauer befindliche Denkmal-Büste Hindenburgs demontiert. Sie befindet sich jetzt in den Kellerräumen der Familie von Schilcher.

 

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