© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Grüße aus Paris
Die Nerven liegen blank
Albrecht Rothacher

Ich marschiere nichtsahnend, nachdem ich meine Lieblingszeitung, den Figaro, am Kiosk erstanden habe, am Seineufer in eine Polizeikette hinein. „Wohin des Wegs?“ fragt ein Uniformträger und schiebt mir die Mündung seiner Maschinenpistole in den Bauch. Wie jeder Reservist weiß, ist das nicht so lustig, weil das Ding leicht losgehen kann. Ich weise mich als braven französischen Beamten aus, der nur zu seinem Arbeitsplatz will. Gut, ich werde freundlich eingewiesen und verlasse zügig den Gefahrenbereich des roten Teppichs, der für einen der unzähligen Staatsgäste am  Quai d’Orsay, dem Sitz des Außenministeriums ausgelegt wurde.

Vor allem fühlen sich die französischen Polizisten von der Justiz im Stich gelassen.

Tatsache ist, die französische Polizei ist völlig überlastet. Hunderte Polizisten demonstrierten nun spontan mit ihren Dienstfahrzeugen auf den Champs-Élysées. Zuvor hatten sie vor dem Krankenhaus St. Louis Station gemacht, wo einer ihrer Kollegen im Koma liegt, der in den Vorstädten mit Molotowcocktails angegriffen, an Händen und im Gesicht schwer verbrannt wurde. 

„Poulet roti“, Brathähnchen also, wird als Graffiti in den Vorstädten neben „Etat islamique“ überall versprüht. Das scheint unschuldig genug. In Wirklichkeit ist es ein Aufruf zum Mord. „Poulet“ das ist der französische Kosename für unseren „Bullen“. Zwei Streifen wurden in Pariser Vorstädten in Hinterhalte gelockt, um demolierte Überwachungskameras zu reparieren, und dann mit „Mollis“ und Steinen in einer Bandenstärke von bis zu hundert Mann angegriffen, um zu zeigen, wer der Herr des Terrains ist. Auch wurden in den vergangenen Tagen sechs Berufsschullehrer in den gesetzlosen Vorstädten zusammengeschlagen.

Die Nerven liegen blank. Ein Polizistenehepaar wurde in seinem Haus von einem frisch radikalisierten Pizzaboten, der Wochen zuvor noch wegen seiner guten Laune beliebt war und sich „Dr. Food“ nannte, mit dem Messer abgeschlachtet. Seitdem dürfen Polizisten ihre Dienstwaffen mit nach Hause nehmen. Ein aus Deutschland eingereister Syrer versuchte mit einer Axt in Paris ein Polizeirevier zu stürmen. Die Gewalttaten multiplizieren sich, nicht nur jene des islamistischen Terrors, sondern auch jene der alltäglichen Kriminalität in den Vorstädten. 

Vor allem aber fühlen sich die Polizisten von der Justiz im Stich gelassen. In flagranti gefaßte Täter werden laufengelassen. Niemand wird abgeschoben. Berufskriminelle bekommen nur Bewährungsstrafen.