© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Ein Schiff wird kommen
Bundeswehr: Bei der Rüstung deutet sich eine Trendwende an / Vergangene Versäumnisse werden allerdings noch nicht wettgemacht
Peter Möller

Bei Rüstungsprojekten wird in Deutschland nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten gerechnet. So reicht die Entwicklung des Schützenpanzers Puma, der mit reichlich Verspätung seit vergangenem Jahr in die Truppe eingeführt wird, bis 1996 zurück. Um so überraschender mutet der Plan an, den die Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (SPD) und Eckhardt Rehberg (CDU) Mitte Oktober präsentierten. 

Da sich die Entwicklung des geplanten und von der Marine dringend benötigten neuen Mehrzweckkampfschiffs MKS 180 verzögert, schlugen die beiden Politiker – und nicht etwa Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) – vor, zur Überbrückung fünf zusätzliche Korvetten des Typs K 130 zu beschaffen. Der Vorteil: Da die Marine bereits über fünf Schiffe dieses Typs verfügt, entfällt die langwierige Konstruktions- und Entwicklungsphase. Mit dem Bau der zusätzlichen Korvetten könnte zeitnah begonnen werden. Ziel sei es, „daß bereits 2019 zwei Korvetten und 2023 die restlichen Korvetten in Dienst gestellt werden können“, teilten Kahrs und Rehberg mit. Ein ambitionierter Zeitplan. Bereits in der zweiten Novemberwoche wollen die Politiker das rund 1,5 Milliarden Euro teure Projekt zur Beratung in den Bundestag einbringen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), so heißt es in Berlin, habe bereits zusätzliche Mittel für das Rüstungsprojekt bewilligt.

Experten staunen über das Tempo und die Geräuschlosigkeit, mit der das Korvetten-Projekt auf den Weg gebracht wurde. Es wird als ein weiteres Zeichen dafür gedeutet, daß sich in der deutschen Verteidigungspolitik langsam, aber stetig ein Wechsel weg vom jahrzehntelangen Sparkurs vollzieht. Dazu passen die zeitgleich zum Korvetten-Coup bekanntgewordenen Äußerungen Bundeskanzlerin Angela Merkels, Deutschland habe den Vereinigten Staaten zugesagt, den Verteidigungsetat von 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf den Nato-Standard von zwei Prozent zu erhöhen. 

Das würde bedeuten, daß der Bundeswehr künftig nicht wie derzeit jährlich rund 34 Milliarden Euro zur Verfügung stünden, sondern mehr als 60 Milliarden Euro. Noch vor wenigen Jahren hätte eine solch massive Steigerung der Verteidigungsausgaben zu lautstarken Protesten geführt. Bislang waren die Reaktionen auf die Ankündigung Merkels jedoch bemerkenswert verhalten.

Geplante Personalstärke wird deutlich verfehlt

Doch die derzeit diskutierten Rüstungsprojekte bedeuten zunächst keine quantitative Aufrüstung der Bundeswehr. So handelt es sich etwa bei den zusätzlichen Korvetten – ursprünglich sollte die Marine mit bis zu 20 Schiffen dieses Typs ausgestattet werden – lediglich um eine dringend benötigte Ersatzbeschaffung für die Schnellbote der Marine, deren letzte Exemplare im November außer Dienst gestellt werden. 

Ähnlich sieht es bei den zwei zusätzlichen U-Booten aus, deren Beschaffung bis 2030 ebenfalls Anfang Oktober vom Verteidigungsministerium verkündet wurde, und die die Lücke füllen sollen, die durch die Ausmusterung älterer Einheiten entstanden ist. Und bei der zeitgleich angekündigten Beschaffung einiger Transportmaschinen vom Typ Hercules C-130J zusätzlich zum Militär-Airbus A400M handelt es sich lediglich um den Versuch, Fehlplanungen beim Anforderungsprofil des A400M auszugleichen.

Zurück zu den Korvetten. So kühn die Ankündigung, möglichst rasch fünf zusätzliche Schiffe zu beschaffen, auch wirkt, so ungewiß erscheint die Umsetzbarkeit. Denn bei den Korvetten handelt es sich wie bei den meisten modernen Rüstungsprojekten um hochkomplexe Systeme, die sich nicht einfach beliebig nachbauen lassen, zumal seit der Indienststellung des Typschiffs „Braunschweig“ 2008 bereits fast ein Jahrzehnt ins Land gegangen ist. In der Rüstungspolitik ist das eine halbe Ewigkeit. Mittlerweile haben sich diverse technische Anforderungen geändert, was zumindest partielle technische Anpassungen bei den neuen Korvetten erforderlich machen dürfte – und das wäre nicht nur finanziell, sondern vor allem auch zeitlich ein nur schwer zu kalkulierendes Risiko.

Hinzu kommt: Auch wenn sich in den kommenden Jahren tatsächlich die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr und damit langfristig auch die Quantität der Ausrüstung deutlich verbessern sollte, bleibt ein grundlegendes Problem: Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 leiden die Streitkräfte unter Personalmangel. Die in der vergangenen Woche veröffentlichte Statistik über die militärische Personalstärke weist 167.752 Zeit- und Berufssoldaten aus. Die vom Verteidigungsministerium geplante Erhöhung auf 170.000 Zeit- und Berufssoldaten bis Ende des Jahres wird damit deutlich verfehlt. Der Armee gelingt es ganz offensichtlich nicht, ihren Bedarf durch die Werbung von Freiwilligen zu decken – an einen weiteren Aufwuchs der Streitkräfte ist daher kaum zu denken. 

Und an einer Diskussion über die Wiederbelebung der Wehrpflicht dürfte angesichts der Bundestagswahl im kommenden Jahr derzeit kaum jemand in Berlin ein Interesse haben. Verteidigungsexperten haben mit Blick auf die geplanten neuen Korvetten daher zu Recht die Frage aufgeworfen, wie diese Schiffe überhaupt bemannt werden sollten.