© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

„Ich habe acht Jahre meinen Dienst getan“
Zaghaft selbstkritisch, liberal in Kirchensteuerfragen und zudem ein Putinversteher: Der Journalist Peter Seewald entlockt Papst a. D. Benedikt XVI. Überraschendes
Gernot Facius

Laut Albert Einstein ist es bekanntlich leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil. Ob es dem Ratzinger-Vertrauten Peter Seewald also gelingen wird, mit seinem jüngsten Interviewband („Letzte Gespräche“) ein Zerrbild, an dem zwei Generationen von Kritikern des emeritierten Papstes aus Deutschland systematisch gearbeitet haben, zu zerstören, ist sehr die Frage. 

Der Buchtitel ist spektakulär, auf die 286 Seiten trifft das nur bedingt zu. Der Journalist Seewald hört seinem Gegenüber bewundernd zu, ohne ihn zu „grillen“, wie das heute von investigativen Medienleuten erwartet wird, und bekommt von Benedikt XVI. Antworten, die durch „eine ganz eigene und neue Intensität überraschen“ (Erzbischof Georg Gänswein). Der Befragte, einst als „Panzerkardinal“ geschmäht, als er die mächtige römische Glaubenskongregation leitete, gibt sich gütig und leutselig wie ein bayerischer Landpfarrer, der bei einem guten Tropfen zwanglos über Gott, die Welt und alte Weggefährten plaudert. 

Der ewige Widersacher Hans Küng, erfährt man, hat ein „großes Mundwerk“, den Münchnern bescheinigt ihr ehemaliger Metropolit (1977–1982) „ein bisserl Größenwahnsinn“. Gut, das verschafft dem Buch einen Schuß Unterhaltungswert. Es ist ja richtig: Nie zuvor hat der inzwischen 89jährige so persönlich über seine bayerische Herkunft, über prägende Ereignisse in seinem Leben und über Wegmarken seines acht Jahre währenden Pontifikats gesprochen. 

Noch immer beschäftigt ihn die Frage, ob er mit seiner Rücktrittsankündigung am Rosenmontag 2013 einer „funktionalistischen“ Umdeutung des Papstamtes Vorschub geleistet hat. Einen freiwilligen Amtsverzicht à la Benedikt hatte es seit sieben Jahrhunderten nicht gegeben. Daß dem Rätselraten über Hintergründe der Demission nicht so schnell Einhalt zu gebieten war, liegt deshalb nahe. Die Spekulationen wurden erst dieser Tage noch einmal angeheizt, ausgerechnet durch den dubiosen Geheimagenten Werner Mauss, dem wegen vermuteter Steuerhinterziehung der Prozeß gemacht wird. Der Rücktritt von Benedeikt XVI. stehe in Zusammengang mit Attentatsabsichten der sizilianisch-kolumbianischen Drogenmafia, ließ Mauss verlauten. Der Pontifex habe Ende 2012 vergiftet werden sollen, dieser Plan sei aber rechtzeitig vereitelt worden. „Reine Fiktion“, sagt Ratzinger-Privatsekretär Gänswein. Im übrigen: Hatte nicht Benedikt bereits in einem früheren Buch („Licht der Welt“)  zum Ausdruck gebracht, wenn ein Papst physisch oder psychisch nicht mehr in der Lage sei, sein Amt auszuüben, habe er das Recht und mitunter sogar die Pflicht, zurückzutreten?

Selbstkritische Töne hatte der „Diener der Wahrheit“ bislang kaum angeschlagen. Immerhin gibt er bei Seewald zu, daß Menschenkenntnis nicht seine größte Stärke sei. Er scheut sich auch nicht, wenngleich dosiert, über Schwächen seines Pontifikats zu reden. Als Gescheiterten betrachtet Benedikt sich aber nicht: „Ich habe acht Jahre meinen Dienst getan. Da war viel Schweres in der Zeit, wenn man etwa den Pädiophilie-Skandal bedenkt, den blödsinnigen Fall Williamson oder eben auch Vatileaks. Aber im ganzen war es doch auch eine Zeit, in der viele Menschen zum Glauben gefunden haben und eine große positive Bewegung da war.“ 

Historisches war geschehen. Erstmals hatte ein Papst an einem protestantischen Gottesdienst teilgenommen und Wirkungsstätten Martin Luthers besucht. Ein Protestant wurde zum Vorsitzenden des päpstlichen Rates der Wissenschaft ernannt, ein Moslem als Professor an die päpstliche Universität berufen. Ratzinger-Skeptiker oder Gegner, zumal in seiner Heimat, werden sich dennoch nicht in ihrer „sprungbereiten Feindseligkeit“ (Gänswein) beirren lassen. Sie beißen sich an den Passagen über die Kirche in Deutschland fest. Seit Jahrzehnten spricht der „einfache Arbeiter im Weinberg des Herrn“ im Ton der Verbitterung über seine Kirche in der Heimat. Darin ist er sich treu geblieben.

„In Deutschland“, sagt Benedikt XVI. seinem Interviewer, „haben wir diesen etablierten und hochbezahlten Katholizismus, vielfach mit angestellten Katholiken, die dann der Kirche in einer Gewerkschaftsmentalität gegenüberstehen. Kirche ist für sie nur der Arbeitgeber, gegen den man kritisch steht. Sie kommen nicht aus der Dynamik des Glaubens.“ Ihn betrübe diese Situation, dieser „Überhang an Geld, das dann doch wieder zuwenig ist, und die Bitterkeit, die daraus erwächst, die Häme, die in deutschen Intelektuellen-kreisen da ist“. 

Die deutschen Oberhirten haben diese Schelte zähneknirschend vernommen, ebenso die von ihrem ehemaligen Münchner Amtsbruder geäußerten Zweifel, ob das etablierte Kirchensteuersystem richtig ist. Benedikt meint damit nicht, daß es überhaupt keine Kirchensteuer geben soll: „Aber die automatische Exkommunikation derer, die nicht zahlen, ist meiner Meinung nach nicht haltbar.“ Diese Haltung liegt quer zur Mehrheit in der Deutschen Bischofskonferenz.

Wie „Papa Benedetto“ Wladimir Puton beurteilt, das wird auch nicht jedem gefallen. Benedikt und Putin haben bei ihrer Begegnung auf deutsch miteinander gesprochen. „Wir sind nicht tief gegangen, aber ich glaube schon, daß er (Putin) ein Mensch – der Macht natürlich –, irgendwie von der Notwendigkeit des Glaubens berührt ist.“ Putin sei ein Realist. „Er sieht, wie Rußland unter der Zerstörung der Moral leidet. Auch als Patriot, als jemand, der Rußland wieder zur Großmacht machen will, sieht er, daß die Zerstörung des Christentums Rußland zu zerstören droht. Der Mensch braucht Gott, das sieht er ganz evident, und davon ist er sicherlich auch innerlich berührt.“

Benedikt XVI., Peter Seewald: Letzte Gespräche. Droemer Verlag, München 2016, gebunden, 286 Seiten, 19,99 Euro