© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Wahrhafte Dunkelmänner der Ostküste
Der US-Publizist David Talbot über Geheimdienstoperationen aus der Zeit des Kalten Krieges und den Aufstieg der CIA zur heimlichen Nebenregierung der USA
Peter Seidel

Das Schachbrett des Teufels“ lautet der Titel des neuen Buches des US-Bestsellerautors David Talbot, der sich darin mit dem US-Auslandsgeheimdienst CIA, ihrem frühen Chef Allen Dulles und damit verbunden auch mit einem „Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung“ beschäftigt. Und wie der Untertitel schon anzeigt, handelt es sich dabei weder um eine Monographie noch eine Biographie, sondern um etwas dazwischen. Dazwischen liegt das Buch auch hinsichtlich nachgewiesener Aktionen und verschwörungstheoretischer Vermutungen, die der Autor durch detaillierte Beweisführung nicht unbegründet zu untermauern versucht. Das gelingt ihm allenfalls in einigen Fällen. Das Buch ist deshalb vor allem auch ein Beitrag zur Geschichte des sich entwickelnden Kalten Krieges und der ihn beherrschenden Atmosphäre, die eindrucksvoll beleuchtet wird.

Paradebeispiel dafür ist die Kuba-krise 1962, bei der die Welt so nah wie nie am Rande eines Atomkrieges stand, und in ihrem Vorfeld die fehlgeschlagene Landung von Exilkubanern mit US-Unterstützung in der Schweinebucht im Süden Kubas, die von Castro-Truppen zerschlagen wurde. Eine CIA-Operation, die den neu im Amt befindlichen Präsidenten John F. Kennedy offenbar gezielt zum direkten Eingreifen von US-Luftstreitkräften bis hin zur Invasion zwingen sollte. Doch Dulles’ Plan ging schief, Kennedy ließ sich nicht vor scheinbar vollendete Tatsachen stellen, weder hier noch später, als es um die sowjetischen Atomraketen auf der Insel ging, die die USA erstmals direkt bedrohen konnten – vor dem Aufbau des sowjetischen Interkontinentalraketenpotentials. Soviel zum Thema Regierung!

Die Schilderung der behandelten Vorgänge allerdings ist aufschlußreich und beleuchtet spannend die Rolle, die Männer wie der US-Geheimdienstchef und andere nicht nur in der CIA in dieser Phase der beginnenden amerikanisch-sowjetischen Großmachtauseinandersetzung und der damit verbundenen Hysterie spielten. Daraus dann zu schließen, es handele sich hierbei nicht nur um Nebenaußenpolitik der fünfziger und sechziger Jahre, sondern um den Aufstieg einer bis heute agierenden heimlichen Nebenregierung kann der Autor nicht nachweisen, zumal der Schilderungszeitraum mit der Ermordung Robert Kennedys, des Bruders des toten Präsidenten, im Präsidentschaftswahlkampf im Juni 1968 endet. 

Da überrascht es nicht, daß eine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema, wie ein Geheimdienst zur heimlichen Regierung werden und diese Macht bis heute nicht abgeben mußte, vom Autor nicht geführt werden kann. Einzelaktionen, und seien sie auch noch so zahlreich und noch so schmutzig, können dies nicht belegen, auch wenn der Autor durchaus nachdenkliche Bewertungen der CIA beispielsweise durch ihren Schöpfer, den früheren Präsidenten Harry S. Truman, präsentieren kann.

Im Zentrum stehen die Attentate auf die Brüder Kennedy, ein gerade in den USA beliebtes Thema für Verschwörungstheoretiker. Spannender sind die Schilderungen, in denen es um konkrete Aktionen geht, die tatsächlich als Stärke dieses Buches gewertet werden dürften. So etwa jene über die Beteiligung der CIA am gescheiterten Putsch französischer Fallschirmjäger gegen Präsident de Gaulle am Ende des Algerienkrieges oder die Darstellungen über die oft entscheidende Beeinflussung der italienischen Nachkriegswahlen, den Putsch 1953 gegen den iranischen Präsidenten Mohammad Mossadegh, aber auch grundsätzlich hinsichtlich der Verflechtungen zwischen US-Konzernen, insbesondere Ölfirmen, US-Lobbyisten und ihrer Stiftungen, Regierungsmitgliedern und Geheimdienstmitarbeitern. 

Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf die US-Oligarchie der Superreichen, deren Macht schon Kriegspräsident Franklin D. Roosevelt bekämpfte. Das gilt auch für die Heranziehung der amerikanischen Mafia, die der US-Armee bei der Invasion Siziliens im Zweiten Weltkrieg sehr half, und die von der CIA bei Attentatsversuchen beispielsweise gegen Castro beteiligt wurde. 

Nicht nachvollziehbar ist, was die Eheprobleme von Allen Dulles bis hin zu den auch erotischen Träumen von Frau, Geliebter oder Tochter wirklich zum Thema beitragen können, die immerhin zwei Kapitel einnehmen. Und die Schilderungen des CIA-Programms zur Gedankenlenkung, auch unter Zuhilfenahme von Drogen wie LSD, sind für Freunde der Jason-Bourne-Filme sicherlich nicht uninteressant, tragen für sich aber ebenfalls kaum etwas zur zentralen These von der heimlichen Regierung bei. 

Dies gilt auch für die über hundert Seiten einnehmende Schilderung der Teilkapitulationsverhandlungen mit SS-General Karl Wolff gegen Ende des Zweiten Weltkriegs für Italien, lange vor Gründung der CIA und sicherlich nicht der Auslöser des Kalten Krieges wenige Jahre später, auch wenn Stalin verständlicherweise stark irritiert war und die Situation politisch nutzte. Diese Informationen bringen nicht wirklich Neues, auch hier liegt die Spannung eher im Atmosphärischen. Und die Frage, wie die Alliierten mit hohen Nationalsozialisten umgingen, wenn sie nur für sie von Nutzen sein konnten, stellt sich nicht nur für die Amerikaner, für Dulles oder die Organisation Gehlen, sondern für beide Supermächte im aufkommenden Kalten Krieg, bis hin zur Separatstaatsgründung. Aber das ist nun wirklich ein anderes Thema.

Auf dem Klappentext wird der Boston Globe mit den Worten zitiert, „alle, die sich bisher über Verschwörungstheorien lustig gemacht haben, dürften ihre Meinung nach der Lektüre dieses Buches ändern“. Nun, alle vielleicht doch nicht, denn die Kriterien für schlüssige Beweisführung sind auch bei populärwissenschaftlichen Büchern in jedem Fall zu beachten. Und das gilt sowohl für die Reichweite und Begründbarkeit aufgestellter Thesen wie für die Rahmenbedingungen eines Themas. Indizien sind eben noch keine Beweise. Auch wenn der Nachweis für so weitführende Thesen beim Thema Geheimdienstgeschichte schwerfallen muß.

David Talbot: Das Schachbrett des Teufels. Die CIA, Allen Dulles und der Aufstieg Amerikas heimlicher Regierung. Westend Verlag, Frankfurt/Main 2016, gebunden, 704 Seiten, 28 Euro