© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

„Deutschomanen“ im Visier
Die Islamlobbyistin Lamya Kaddor polemisiert gegen Multikulti-Kritiker und gibt ihnen die Schuld an einer Spaltung der Gesellschaft
Tilman Nagel

Wenn irgendwo auf der Welt ein von Muslimen begangener Anschlag Entsetzen auslöst, fällt meistens Frau Kaddor die Aufgabe zu, in einer Talkshow die Menschen zu beschwichtigen: „Mit dem Islam hat das nichts zu tun!“ Nachdem sie in einer Publikation dargelegt hat, daß Salafismus und Fremden- bzw. Islamfeindlichkeit die zwei Seiten ein und derselben Medaille seien, der Salafismus also nicht aus dem Islam heraus erklärt werden dürfe, erläutert sie nun, daß die „Deutschomanie“ und der durch sie erzeugte Haß die eigentliche Wurzel alles Übels sei.

Ein Riß geht durch Deutschland. Auf der einen Seite stehen die moralisch Guten. Sie sind allem Fremden aufgeschlossen, ja, sie können gar nicht genug davon bekommen. Auf der anderen Seite stehen die moralisch Bösen, die „Deutschomanen“, wie die Autorin sie nennt. Sie wagen es zum Beispiel, Frau Kaddor hartnäckig Fragen zu stellen, wenn sie einen Vortrag mit dem Thema „Was ist der Islam?“ hält, etwa: „Was sagt der Koran zu Frauen?“ „Wieso lehnen die Muslime die Scharia nicht ab?“ „Wir leben in einer Demokratie. Wer außer dem Islam macht denn sonst hier Probleme?“ 

Wer solche Fragen aufwerfe, bekunde eine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“; auch von Rassismus sei zu sprechen. Immerhin räumt die Autorin ein, daß es „Ängste von echten besorgten Bürgern“ gibt, „von Menschen (...), die Angst vor der zunehmenden Veränderung der Gesellschaft haben. (...) Jeder darf solche Sorgen haben. Nur muß man sich damit auseinandersetzen. Sachlich.“ In diesem Buch geschieht das freilich nicht.

Lamya Kaddor betont, sie sei eine liberale Muslimin, die die Scharia nicht über das Grundgesetz stelle. Schriften, die sich kritisch mit dem Islam befassen, lehnt sie gleichwohl ab. So hätten beispielsweise Ayaan Hirsi Ali und Mina Ahadi „schreckliche Erfahrungen mit der eigenen Familie oder dem eigenen familiären Umfeld gemacht“, aber es gehe nicht an, dafür den Islam verantwortlich zu machen und damit zugleich diejenigen, die dieser Religion anhängen. Was diese beiden Frauen geschrieben hätten, diene Menschen, die selber gar keine schlechten Erfahrungen mit Fremden gemacht hätten, als Vorlage für ihren Rassismus und ihre Fremdenfeindlichkeit – beides wird nicht klar unterschieden.

Diese beiden Merkmale der „Deutschomanen“ sind das Hauptthema des Buches. Sie seien die Ursache für den Haß, der eine friedliche Erörterung der anstehenden Probleme verhindere und dadurch die Demokratie gefährde. Zudem hat Frau Kaddor beobachtet, daß dieser Haß die überkommene Rechts-Links-Konfrontation der Bevölkerung aufzulösen beginne. Doch geschieht dies wirklich nur angesichts der Migrationsproblematik? Die Gefährdung der Demokratie hat viel tiefergehende Gründe. Große Teile der Bevölkerung, die übrigens zu mehr als vier Fünfteln keinen „Migrationhintergrund“ hat – und auch das verbleibende knappe Fünftel ist nicht durchweg muslimisch –, verlieren die Zuversicht, daß von „denen da oben“ noch die Sache des Bürgers betrieben wird. So nahmen sie im Falle der „Euro-Rettung“ mit Befremden wahr, wie der Bundestag zu einem Organ der Regierung herabgewürdigt wurde und Zahlungsverpflichtungen in gigantischer Höhe einging, deren Einforderung das Land ruinieren wird. Unter der Perspektive des Versagens der demokratischen Kontrolle erlebten die Bürger auch den im vergangenen Herbst von der Regierung ausgelösten Zustrom von Asylsuchenden und die Verniedlichung der damit verbundenen materiellen wie immateriellen Lasten.

Statt über den „Rassismus“ der „Deutschomanen“ zu lamentieren, sollte Frau Kaddor lieber die ihr gestellten Fragen sachgerecht beantworten. Jeder, der über den Islam spricht, wird immer wieder mit ihnen konfrontiert, und man sollte sie nicht mit einem „Das hat mit dem Islam nichts zu tun!“ abwehren. Inzwischen haben sich deutschsprachige Muslime zu einer Vereinigung zusammengeschlossen, die gerade auf den Feldern, auf die diese Fragen verweisen, einen dringenden Reformbedarf sehen, wie in der „Freiburger Deklaration“ nachzulesen ist: Der Islam soll mit der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft kompatibel werden, was Frau Kaddor als ein Eingehen auf die „Mehrheitsdiskurse“ ablehnt. Zu den Unterzeichnern gehört sie deshalb nicht. Mit ihrer Unterschrift würde sie nämlich ihrer öffentlichen Wirksamkeit, die sich in den politisch korrekten Schuldzuweisungen an die aufnehmende Gesellschaft erschöpft, den Boden entziehen.

Lamya Kaddor: Die Zerreißprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht, Rowohlt Verlag, Berlin 2016, gebunden, 238 Seiten, 16,99 Euro