© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Wie bei den Affen
Die Psychologen Cacilda Jethá und Christopher Ryan meinen, daß Familie oder Monogamie nur überkommene soziale Konstrukte seien
Birgit Kelle

Monogamie ist von der Natur nicht vorgesehen. Ein Traum muß diese These sein in einer Welt, in der Sex die neue Währung darstellt. Sollte es tatsächlich, endlich, wissenschaftlich, wasserfest und fundiert in einem Buch aufgeschlüsselt sein, was Millionen untreuer Ehemänner schon immer ahnten? Nur mit einer Frau zu schlafen, entspricht einfach nicht meiner Natur? Laßt uns wild durcheinander paaren, das tun die Bonobos auch, und die Affenart ist uns sowieso am nächsten. Ungefähr so könnte man „Sex – Die wahre Geschichte“ von Christopher Ryan und Cacilda Jethá zusammenfassen, ein Bestseller des Psychologenpaares aus Spanien, der nun auch in deutscher Sprache erschienen ist.

Feindbilder gibt es in dem Buch entsprechend genug und klar benannt: allen voran die katholische Kirche mit ihrer Sexualmoral, die „17 Jahrhunderte Leid“ über uns gebracht hat und wegen der wir angeblich in großer „Heuchelei“ gegenüber unseren Sehnsüchten leben. Auch Nichtkatholiken. Doch selbst die etablierte Wissenschaft, die mit dem sogenannten „Standardnarrativ“ der Menschheitsgeschichte unser Sexualverhalten durch Vorurteile und Falschdeutungen von ihren Ursprüngen abgebracht haben soll, steht mit am Pranger.  Dieses Standardnarrativ besagt, daß Sex der Fortpflanzung dient, Männer mehr davon wollen als Frauen und das Ganze ein Handel zwischen Weibchen und Männchen ist: Ich gebe dir meine Eizellen, und du beschützt dafür mich und die Brut. Männer machen sich zum Affen, um die Frau zu werben, und Frauen sind wählerisch. 

Dazwischen wachen beide eifersüchtig, daß der Partner nicht fremdgeht. Der Mann, weil er wissen will, wer seine Nachkommen sind, und die Frau, weil er seinen Samen und seine Aufmerksamkeit nicht auf mehrere Frauen verteilen soll. Der geneigte Leser wird rufen: Aber so ist es doch. Die Autoren würden sagen: Das denkt ihr nur. Laut Theorie der Autoren lebten wir bis vor der Seßhaftwerdung und der Etablierung der Landwirtschaft als Jäger und Sammler in promiskuitiven und glücklichen Horden, aber vor 100.000 Jahren nahm das Drama seinen Lauf. 

Es ist ein Ankündigungsbuch, nach zwei Vorworten und zwei Kapiteln dominiert immer noch der Satz „Wir werden zeigen, daß …“ oder auch „Wir sind der Überzeugung, daß“, und man möchte nach Spanien rufen: Dann zeig doch endlich. Es wird eine Ankündigung bleiben, denn Beweise oder wissenschaftlich Fundiertes findet sich nicht viel. Stattdessen werden lieber etablierte Evolutionsforscher gerne auch nur rhetorisch hinterfragt. Hobbes, Malthus, Rousseau, alle hatten unrecht, am schlimmsten ist Darwin, der war auch nur Opfer seiner Zeit, seiner Lebensumstände. Genüßlich baden die Autoren in der angeblichen sexuellen Verklemmtheit und seelischen Depression Darwins, die als Erklärung dient, warum er unrecht hatte in manchen Dingen. Armselig ist dafür noch ein freundliches Wort.

Interessant sind vor allem die Fragen, die das Buch aufwirft, dann aber nicht beantwortet, was nicht verwundert, weil die Autoren auf das meiste keine Antwort haben, sondern selbst nur Fragen stellen. Betrachtet man den Eifer, mit dem Ryan und Jethá uns Menschen hier zu einer zügellosen und „unkultivierten“ Sexualität quasi „back to the roots“ zurückbringen wollen, dann wäre natürlich die Frage spannend, ob die kulturelle Eindämmung von Inzest, Pädophilie oder Vergewaltigung auch rückgängig gemacht werden sollte? Es ist nämlich nicht wirklich schlüssig, warum das Verlangen nach Gruppensex aus prähistorischen Zeiten eine andere Qualität haben sollte als die Dinge, die wir heute aus gutem Grund für überwunden, kultiviert oder strafbar halten. Wer argumentiert, alles sei gut gewesen, als wir noch auf Bäumen schwangen, versagt in sexuellen Problembereichen. 

Doch das Buch bietet noch mehr steile Thesen. „Originell ausgelegte Familienfreundlichkeit“ nennt es ein anderer Sex-Papst, Ulrich Clement, im Vorwort. Wir sollen uns alle mal locker machen und Familie nicht so eng sehen. Untreue und sexuelle Großzügigkeit paßten viel besser zu einer modernen Gesellschaft. Die Autoren gehen noch weiter und stellen selbstredend das Konzept der Ehe und Familie inklusive das Wissen um die eigene Abstammung oder solche Lächerlichkeiten wie die Frage, wer eigentlich der Vater eines Kindes ist, mit auf den Index. Stattdessen ist „Child-Sharing“ in der Gruppe doch auch eine Idee. Ist doch bei den Bonobos auch egal, und weil es jeder mit jedem tut, ziehen alle gemeinsam die Kinder groß, die Frauen stillen auch fremde Kinder, die Männchen versorgen die ganze Horde, denn jedes Kind könnte ja auch ihres sein und alle haben sich lieb. Selbst die Autoren gestehen ein, daß die menschliche Eifersucht hier irgendwie ein ungelöstes Problem bleibt und haben selbstredend keine Lösung dafür parat, aber das haben sie für alle anderen Probleme ja auch nicht.

Ein amüsant zu lesendes Buch, wenn man nicht vorhat, es ernst zu nehmen. Wir sind Affen und triebgesteuerte Nachkommen hypersexueller Vorfahren. Angesichts von Männern wie Donald Trump ist die These nicht verkehrt, aber warum verteufelt man ihn dann? 

Christopher Ryan, Cacilda Jethá: Sex. Die wahre Geschichte.Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2016, gebunden, 430 Seiten,  24,95 Euro