© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Im Banne der Dampfplauderer
Der „Spiegel“-Journalist Peter Müller versucht in das interne Geflecht der CSU einzudringen und unterliegt dabei den Täuschungsmanövern der Protagonisten
Paul Rosen

Wer nördlich des „Weißwurst-Äquators“ (etwa die Mainlinie) lebt, für den ist Bayern etwas Rätselhaftes und Seltsames. Landschaft, Architektur und Menschen harmonieren zumeist, und wenn die Rede auf Politik kommt, fällt fast jedem nur die CSU ein. Sie ist ein deutscher Sonderfall: Die Schwesterpartei der CDU sonnt sich (mit einem Intermezzo) seit Jahrzehnten in der Alleinherrschaft. Mit allen Folgen, die das mit sich bringt: Höfische Intrigen sind an der Tagesordnung, und überall warten politische Heckenschützen. 

Spiegel-Redakteur Peter Müller hat es gewagt, in das für „Nordlichter“ (Franz Josef Strauß über Nicht-Bayern) undurchdringlich erscheinende Dickicht einzudringen. Mit seinem Buch „Der Machtkampf – Seehofer und die Zukunft der CSU“ ist er weit in dieses Unterholz vorgedrungen. Das Buch profitiert von Müllers zahlreichen Terminen als Spiegel-Journalist in Bayern. Er kennt die Akteure wenigstens oberflächlich, und er läßt deutlich Sympathien und Antipathien erkennen. Dabei verfällt er in einen alten Fehler des Spiegel, ausgerechnet jene Politiker positiver zu bewerten, die „medienkonform“ sind. Und „medienkonform“ ist Ministerpräsident Seehofer auf jeden Fall. Seehofer läßt Journalisten an sich herankommen, er witzelt mit ihnen und scheint sich in die Karten blicken zu lassen; das wäre einem Edmund Stoiber nie passiert.  

Seehofer nur mit seinem Wirken und Reden der letzten Jahre zu betrachten, führt zu einer gewissen Oberflächlichkeit. „Seehofer steht ja selbst so weit rechts, wie es der Rechtsstaat zuläßt“, schreibt Müller und unterliegt damit einem schweren Irrtum: Er verwechselt bayerische Dampframmen-Rhetorik mit bayerischer Politik, zu der auch schon zu Zeiten von Franz Josef Strauß die „libertas bavariae“ gehörte. 

In Wirklichkeit kommt Seehofer aus dem linken Arbeitnehmer-Flügel der CSU, ging bei Norbert Blüm „zur Schule“ und setzt eher auf staatliche als marktwirtschaftliche Lösungen. In der Koalition in Berlin haben Seehofer und seine CSU wenig bis nichts auszurichten; das wiederum kommt bei Müller gut zum Ausdruck, auch wenn er bei der Beschreibung des Stellungsspiels zwischen der Berliner CSU-Landesgruppe mit Chefin Gerda Hasselfeldt und den „Münchnern“ wieder nicht weit genug geht: Tatsächlich haben Teile der Landesgruppe und auch die Chefin Hasselfeldt Seehofer die Gefolgschaft gekündigt. Jüngere erwarten von Angela Merkel ein Stück von der Macht, Hasselfeldt ist zur Vertrauten der Kanzlerin avanciert. 

Der Machtkampf tobt zwischen Seehofer und dem Landesfinanzminister Markus Söder. Seehofer will sich nicht die Zügel vorzeitig aus der Hand nehmen lassen, der jüngere Söder drängt in dessen Ämter. Bei Müller fällt auf, daß er von Söder nichts hält, wenn er dem Finanzminister „beinahe völkische Rhetorik“ unterstellt, wenn dieser über Flüchtlinge rede. Er zitiert Söder: „Wir verschwenden das hart erarbeitete Vermögen unseres Volkes, weil wir uns nicht getraut haben, eine Obergrenze zu beschließen.“ Was bitte soll denn daran völkisch sein? 

Söder ist eben nicht Spiegel-affin, sondern schaut, wie Strauß zu sagen pflegte, dem Volk aufs Maul, ohne aber den Leuten nach dem Mund zu reden – ein wichtiger Unterschied. Auch wenn Müller andere Nachfolgebewerber wie die völlig überforderte Wirtschaftsministerin Ilse Aigner oder den weitgehend unbekannten Europapolitiker Manfred Weber (beide sehr presseaffin) besser als angebracht wegkommen läßt, muß Müller zugeben, daß das Rennen so gut wie gelaufen ist: „Unter allen möglichen Nachfolgekandidaten Seehofers ist Söder der einzige, der volle Wirtshäuser und Bierzelte garantieren kann.“ 

Ob sich die 70jährige Erfolgsgeschichte der CSU dem Ende zuneigt, wie Müller annimmt, soll dahingestellt bleiben. Tatsache ist, daß die Partei das von Müller vermißte „Wurzelgeflecht durchsetzungsstarker CSU-Leute“ hat: Neben Söder sind besonders Generalsekretär Andreas Scheuer und Verkehrsminister Alexander Dobrindt zu nennen. Die sind in der Lage, die CSU vom Abwärtssog, der die Schwesterpartei CDU erfaßt hat, noch wegzuhalten. Ein Stück weit und eine Zeitlang wenigstens. 

Peter Müller: Der Machtkampf. Seehofer und die Zukunft der CSU.Deutsche Verlagsanstalt, München 2016, gebunden, 304 Seiten, 19,99 Euro