© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Mann, nimm dir Zeit für dich!
Maskulin vom Scheitel bis zum Kinnbart: Der Barbier fürs Leben pflegt Bart und Gemüt
Heiko Urbanzyk

Der Friseur schneidet Frauenhaare … und kann auch Männerhaare schneiden. Und ich finde, der Barbier schneidet nur Männerhaare und führt klassische Rasuren durch.“ Klare Ansage von Alex Torreto, dem Inhaber des Torreto Barbershop in Frankfurt. Da Bärte momentan in Mode seien, „ist es nicht verkehrt, mal jemanden zu haben, der sich gerade darum kümmert“. Alles dreht sich um klassische Männerfrisuren, die nie außer Mode waren. Und auch nie außer Mode kommen werden.

Keine Glanzkataloge,      acht Frisuren im Angebot

Wer sich in der wachsenden Barbier-Szene umschaut, sieht altes Handwerk mit junger Mode verschmelzen. Trendig wirken die jungen Kerls auf und hinter dem Frisierstuhl, trotz Urgroßvaters Pomade im Haar. Schwerst tätowiert, auch mit Piercings im Gesicht könnte so mancher von ihnen ohne aufzufallen in der ersten Reihe auf dem Wacken Open Air stehen; hätte er nicht gerade den Barbierkittel um. Modemarken wie Dr. Martens und Vans gehören zum Stil dazu. Wer sich hier einseifen läßt, muß ohnehin nicht aufs Kleingeld sehen.

Leen und Bertus von den „Schorem Barbiers“ aus Rotterdam sind die unbestrittenen Vorreiter des neu erwachten Handwerks auf mitteleuropäischem Boden. Nur Rock’n’Roll, nur Männer und nur eine kleine Zahl klassischer Barbier-Frisuren beziehungsweise Bartpflege – so stellten sie sich ihr Gründungskonzept im Jahr 2010 vor. „Schorem“ bedeutet „Drecksäcke“ auf niederländisch, genauso gut aber auch „Ich habe ihn geschoren“. Es war die richtige Idee zur richtigen Zeit. Vor „Schorem“ stehen Warteschlangen mit Kundschaft aus aller Welt. Bis heute gilt das Prinzip „Keine Termine! Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!“. Und sie kommen und sie warten – oft einen ganzen Tag lang. Nicht einmal Stammkunden werden bevorzugt. Der männlichen Entscheidungsfindung zur richtigen Frisur hilft in Schorem ein Plakat mit Schwarzweiß-Abbildungen der acht angebotenen Frisuren. Männer mögen keine Glanzkataloge mit Dutzenden Frisuren und keine Extravaganz. So einfach ist das. Der nächste, bitte!

Wer in Deutschland einen Barbier sucht, wird beim Internetblog „Barber Shop Guide für Deutschland“ fündig. „Soweit wir wissen, der erste übrigens“, wirbt Mat­thias Heinekamp vom federführenden „Herren Mode Blog & Männermagazin für den modernen Gentleman“ namens SNBTP (www.snobtop.com). Hier findet Mann den Barbier fürs Leben nicht nur in Trendhochburgen wie Berlin, Hamburg, Düsseldorf und München. Nein, auch Modeprovinzen wie Bochum, Chemnitz, Cottbus und Paderborn bieten Anlaufstellen, die laut Heinekamp „für die Kunst der Männerpflege stehen“. Der Barbier, so Heinekamp, war im Mittelalter als Baderknecht mit medizinischen Aufgaben und der Rasur beauftragt. Mit dem Aufkommen der Ärzteschaft im 19. Jahrhundert kam die Spezialisierung auf die Bartrasur.

Die Schorem-Pioniere brauchen Konkurrenz nicht zu fürchten. Daher bilden sie selbst Barbiere aus. Für 5.500 Euro können Freunde der Bart- und Haarpflege sich in 40 Wochen die Grundkenntnisse des Barbier-Handwerks aneignen. Wer ungeduldig ist, kann es zum selben Preis innerhalb 20 Wochen erlernen – in zwei Tagen pro Woche, statt nur einem. Der zweitägige Bartschneidekurs (475 Euro) und der dreitägige Fortgeschrittenenkurs (675 Euro) kosten extra. Wer noch die Handwerkzeuge des Barbiers benötigt, kann diese für knapp 1.000 Euro gleich mitbuchen. Sämtliche Kurse für 2016 und 2017 sind ausgebucht.

Tabakrauch und       Schmuddelheftchen

Einen Ausbildungsberuf stellt der Barbier in Deutschland nicht dar. Vielleicht ganz gut so, wäre doch die spannende Frage zu klären, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) anspringt, wenn sich die ersten Azubinen zu bewerben wagten. In einem Geschäftsfeld, in dem Frauen nicht einmal das Ladenlokal betreten dürfen, um für den Ehemann die Pomade einzukaufen. Manch Studentenverbindung handhabt Frauen auf dem Haus sicherlich liberaler. Die in 40 Minuten auszuführenden 14 Schritte der Barbierbehandlung sollen hingegen klare Männersache bleiben. Ohne Verweichlichungstendenz. Wer sich unter den deutschen Barbershops umsieht, findet durchaus gelernte Friseurmeister, die die männlichen Bedürfnisse wiederentdeckt haben.

Der Barbier ist antiliberaler Trend, hat etwas gegen den Zeitgeist Gerichtetes: Frauenverbot, Bier und Schnaps im Ausschank, Tabakrauch, freizügige Männermagazine. Hier darf der Mann noch Mann sein. Die Zeit, in der es noch hieß „Wir Männer haben einfach nix!“ (Alex Torreto) ist längst vorbei – wenn Mann den Barbier-Stil mag.