© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Das letzte Zucken der alten Kolonialmächte
Die Suezkrise 1956 – ein militärischer Erfolg, aber eine politische Niederlage der Westmächte

Martin Grosch

Am 15. Mai 1948 endete das britische Mandat über Palästina, aber bereits am 14. Mai war von David Ben Gurion der Staat Israel proklamiert worden, der sofort von den USA, der UdSSR und der Uno (33 zu 13 Stimmen) anerkannt wurde. Am 15. Mai griff eine Koalition von Ägypten, Transjordanien, Syrien, Libanon und Irak den jungen Staat an: der sogenannte Unabhängigkeitskrieg, der erste von fünf Kriegen hatte begonnen und zog sich bis Juli 1949 hin. 

Israel konnte aber seine Position gegenüber einem zahlenmäßig weit überlegenen Gegner nicht nur verteidigen, sondern erheblich ausbauen; sein nun zusammenhängendes Staatsgebiet umfaßte 20.700 Quadratkilometer, wies allerdings nach wie vor strategisch ungünstige Grenzen auf. Zu einem Friedensschluß oder gar einer Anerkennung Israels durch seine Nachbarn kam es jedoch nicht, dafür wurde der neue Staat aber im Mai 1949 in die Uno aufgenommen. 

Grenzverletzungen seitens der arabischen Nachbarn waren dennoch künftig an der Tagesordnung. Bewaffnete palästinensische Selbstmordkommandos (Fedajin) drangen vom ägyptischen Gaza-Streifen und Jordanien nach Israel ein und überfielen zahlreiche jüdische Siedler mit insgesamt 443 Todesopfern. Zudem organisierten die arabischen Nachbarn einen Handelsboykott gegenüber Israel. 

Mit der Machtübernahme Gamal Abdel Nassers in Ägypten 1952 verschärfte sich die Lage im Nahen Osten noch weiter. Die Straße von Tiran, der Ausgang des Golfes von Akaba zum Roten Meer, wurde für israelische Schiffe gesperrt (jeder Einspruchsversuch des UN-Sicherheitsrates wurde durch das sowjetische Veto blockiert), ebenso der Suezkanal, der am 26. Juli 1956 durch Nasser verstaatlicht wurde. 

Für ihn stand seine Aktion nicht nur ganz im Zeichen des Antikolonialismus, vielmehr stilisierte er sie zu einer antiimperialistischen Demonstration. Mit Hilfe der Kanalgebühren wollte er das Projekt „Assuan-Staudamm“ nun ohne US-amerikanische Hilfe finanzieren. In weiten Teilen der Dritten Welt wurde seine Entscheidung entsprechend frenetisch gefeiert. 

Nachdem Nasser am 25. Oktober 1956 mit Syrien und Jordanien auch noch ein militärisches Bündnis abgeschlossen, seine mit modernen sowjetischen Waffen ausgerüsteten Truppen im Sinai zusammengezogen und damit einen massiven Angriff auf Israel vorbereitet hatte, war dessen unmittelbare Bedrohung unübersehbar geworden. Großbritannien und Frankreich als Hauptteilhaber der Suezkanal-Gesellschaft sahen sich mit der Verstaatlichung des Kanals ebenfalls herausgefordert. Zudem hoffte Frankreich durch eine Militäraktion Nasser so zu beeindrucken, daß er aufhören würde, die Aufständischen in der französischen Kolonie Algerien zu unterstützen. 

Somit waren beide Staaten für Israel in diesem Konflikt quasi natürliche Verbündete. Nach geheimen Absprachen mit Frankreich und Großbritannien antwortete Israel auf diese Bedrohung mit einer präventiven Invasion ab dem 29. Oktober auf dem Sinai. Und ganz im alten Kolonialstil landeten britische und französische Truppen dann am 31. Oktober von Zypern und Malta aus in Port Said, um am Kanal die alten Machtverhältnisse wiederherzustellen; allerdings gelang es den schwachen Landetruppen nicht, die gesamte Kanalzone in einem Überraschungsangriff zu besetzen. 

Zuvor hatten beide Westmächte Nasser (und pro forma auch Israel) ein Ultimatum gestellt, die eigenen Truppen je 16 Kilometer vom Suezkanal zurückzuziehen und einer englisch-französischen Besetzung längs des Kanals zuzustimmen, die der ägyptische Präsident erwartungsgemäß strikt zurückwies. Israelische Fallschirmjäger hatten bis dato allerdings schon am 29. Oktober den nur 72 Kilometer vom Suezkanal entfernten strategisch bedeutenden Mitlapaß als Brückenkopf besetzt, so daß rasch israelische Panzerverbände bis zum 5. November nach Sharm el-Sheik an die Südspitze der Sinaihalbinsel vorstießen, die dann nach nur acht Tagen komplett von israelischen Truppen erobert wurde. 

Nasser war quasi politisch der Sieger der Suezkrise

Ein gleichzeitiges Ultimatum der USA über die UN-Vollversammlung und der UdSSR mit der Drohung eines eigenen militärischen Eigreifens zwang jedoch die drei Staaten am 6. November zur Aufgabe ihrer Intervention. Somit ging Nasser politisch – nicht militärisch – als Quasi-Sieger aus dieser Krise hervor. 

Für die beiden alten Kolonialmächte wurde ihre Intervention zu einem Fiasko: Sie mußten eine verfehlte Operation, die auch von ihrer parlamentarischen Opposition massiv kritisiert worden war, aufgrund des internationalen Drucks aufgeben. Ihr Scheitern enthüllte die Grenzen ihrer Macht, ihre Abhängigkeit von den USA und damit faktisch das Ende ihres Status als Kolonialmächte. Englands Premier Eden trat zurück, die algerische Unabhängigkeitsbewegung nahm an Intensität zu, und der Einfluß der Sowjetunion im arabischen Raum breitete sich von nun an immer stärker aus. 

Auch Israel zog sich zwar bis März 1957 vom Sinai zurück. Der Beschluß, UN-Truppen entlang der ägyptisch-israelischen Grenze zu stationieren und die Garantie Kairos, auf künftige Seeblockaden zu verzichten, erleichterte ihm jedoch den Rückzug. Auch wenn sich durch diese Militäraktion für die Araber das Bild Israels als „Vorposten und Komplize der westlichen Kolonialmächte“ manifestierte, brachte der Sinaifeldzug Israel einige Jahre verhältnismäßiger außenpolitischer Stabilität. 

Der Golf von Akaba war nun frei für israelische Schiffe, und Eilat wurde zu einem modernen israelischen Hafen ausgebaut. Daß es zu keinem dauerhaften Frieden kommen sollte, lag dann nicht mehr in der Verantwortung des aufstrebenden jüdischen Staates.