© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Aufgeheizte Stimmung
Korsika: Ein brisantes Gemisch von Separatismus und zunehmender Islamkritik erschüttert die Insel
Friedrich-Thorsten Müller

Wenn der Präsident der Korsischen Nationalversammlung ein Gerichtsurteil gegen separatistische Terroristen für „konsternierend und ungerechtfertigt“ hält, ist klar, daß auf der „Insel der Schönheit“ etwas anders läuft als anderswo in Europa. Jean-Guy Talmoni hatte sich Anfang des Monats sogar extra anläßlich der Urteilsverkündung gegen die drei angeklagten jungen Separatisten nach Paris begeben. Sie wurden zu fünf bis acht Jahren Gefängnis verurteilt. Angeklagt waren sie wegen bereits 2012 verübter Sprengstoffanschläge auf das Umweltbüro und die Unter-Präfektur in Corte im Departement Haute Corse. 

Frankreichs Niedergang forciert Rufe nach Freiheit

Noch am Tag der Urteilsverkündung kam es in Corte zu Protesten, so daß sogar der Hauptangeklagte Nicolas Battini seine Unterstützer zur Mäßigung aufrief. Eine Befriedung konnte er indes nicht erreichen. So demonstrierten in Bastia am vergangenen Wochenende Tausende für die Unabhängigkeit. Vermummte Demonstranten gingen mit Molotowcocktails gegen die Polizei vor, mehrere Autos brannten dabei aus. Darüber hinaus traten fünf junge Nationalisten in den Hungerstreik.

Schon seit Jahrzehnten schwelt auf der durch einen Handel mit Genua seit 1769 zu Frankreich gehörenden eigentlich italienischsprachigen Insel ein Unabhängigkeitskampf. Dieser richtete sich traditionell nur zum Teil gegen den französischen Zentralstaat und Französisch als alleinige Amtssprache. Auch die Angst vor dem Ausverkauf der korsischen Küste analog Mallorcas durch französische und internationale Touristik-Konzerne spielt bis heute eine große Rolle und konnte dadurch bisher faktisch verhindert werden.

Eine neue Qualität bekam die korsischen Unabhängkeitsbestrebungen durch die Regionalwahlen 2015, als die Separatisten (Pè a Corsica) mit 35 Prozent erstmals stärkste Partei im Regionalparlament der Insel wurden und damit den Parlamentspräsendenten und die Regierung stellen durften. 

Durch den Niedergang von Wirtschaft und Staatsfinanzen in Frankreich steigt naturgemäß die Zahl derer, die glauben, daß Korsika ohne Paris besser dastünde. Damit saugen die Separatisten einen Gutteil der Protestwählerstimmen auf, die auf dem französischen Festland dem Front National zugute kommen.

Trotzdem kann sich Gilles Simeoni, der Präsident der korsischen Regionalregierung, keinesfalls auf dem guten Wahlergebnis von 2015 und der stabil schlechten Wirtschaftslage mit ihren 13 Prozent Arbeitslosen auch auf Korsika ausruhen. Zum einen ist er nun mit in der Pflicht, für Besserung zu sorgen. Zum anderen gibt es auf der Insel spätestens seit vergangenem Jahr massive Spannungen zwischen Einheimischen und arabischen Einwanderern. Die ausländerpolitisch gemäßigten, regierenden Nationalisten werden dabei durch eine neue Generation junger, islamkritischer, Separatisten unter Druck gesetzt. Trotz ihrer agrarischen Struktur haben sich auf der Insel in den letzten Jahrzehnten je nach Quelle nämlich dreißig- bis fünfzigtausend Muslime angesiedelt, was bis zu einem Sechstel der Bevölkerung der eher armen Region entspricht.

Der erste Höhepunkt des sich inzwischen immer mehr aufschaukelnden Konflikts trug sich am 26. Dezember letzten Jahres im südkorsischen Ajaccio zu. Junge Einwanderer lockten dort im Einwandererviertel Jardins de l’Empereur die Feuerwehr in eine Falle und bewarfen sie mit Steinen. Daraufhin zogen mehrere hundert korsische Nationalisten mit „Araber raus“-Parolen durch das Viertel. Ende April brannte – wohl als Revanche – in Ajaccio dann ein muslimischer Gebetssaal nach einem mutmaßlich durch Separatisten erfolgten Einbruch aus.

Aufgebrachte Korsen fordern „Araber raus“

Junge, vor allem auch durch ihre Internetaktivitäten sehr populäre Nationalisten – wie Arnaud Seassari – befassen sich inzwischen mehr mit der Frage der islamischen als mit der der französischen „Überfremdung“. Ein Generationskonflikt, der manchem älteren Politiker und Intellektuellen Kopfzerbrechen bereitet. 

Jean Biancucci – früher ein Aktivist der korsischen Befreiungsfront Frontu di Liberazione Naziunale Corsu (FLNC) und heute Fraktionsvorsitzender der Autonomisten – würde die Auseinandersetzung mit dem Islam liebend gern vermeiden, will er Korsika doch zu einem toleranten Vorzeigeland machen. Wie beim Brexit in Großbritannien, werden beim angestrebten Austritt Korsikas aus Frankreich rassistisch empfundene Untertöne als für die Sache überaus schädlich erachtet. 

Parallel dazu unterstrich die 54jährige korsische Schriftstellerin Marie Ferranti im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, daß das Blut-und-Boden-Denken den weltoffenen Korsen fremd sei und eigentlich „jeder Korse werden“ könne. 

Dennoch kam es Mitte August zu einem weiteren dramatischen Zwischenfall: In Sisco, zehn Kilometer nördlich von Bastia, griffen maghrebinische Einwanderer an einem Strand andere Badegäste mit Harpunen an, weil diese Fotos von Burkinitragenden Frauen machten. Etwa hundert aufgebrachte Einheimische gingen daraufhin auf die Araber los und zündeten deren drei Autos an. Nur mit Mühe konnten siebzig herbeigerufene Polizisten noch Schlimmeres verhindern.

Im Gegensatz zur korsischen Unabhängigkeitsfrage vermag „Appeasement“ der Politik im Alltag des Zusammenlebens mit dem auch durch immer mehr Kopftuchträgerinnen augenfälligen Islam wenig auszurichten. Während die Pariser Zentralregierung Korsika in Sachen Autonomie zunehmend entgegenkommt, heizt jeder kleine Alltagskonflikt und jeder islamistische Terrorakt in Frankreich und Europa die Stimmung der Korsen, die für ihr „heißes Blut“ bekannt sind, von neuem an.

 Doch die neue Generation von Nationalisten weist die Vorwürfe, „Rassisten“ zu sein, zurück, unterstreicht stattdesssen, daß auf Korsika Menschen aus 85 Nationen lebten und man ausschließlich die Ausreise der Araber fordere, da diese sich nicht an die Spielregeln hielten. 

Manifestiert wird diese Haltung durch die Parole „I Arabi Fora“ („Araber raus“), wie sie im September an den muslimischen Gebetsraum von Ghisonaccia gesprüht wurde. Auch die letzten militanten Separatisten des „Geheimen FLNC“ springen auf diesen Zug auf und äußerten jüngst keine Drohungen gegen Frankreich, sondern kündigten Vergeltung an, sollten Islamisten auf Korsika – wie auf dem französischen Festland – Attentate verüben.