© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Ländersache
Dit is Berlin
Ronald Berthold

Berliner Tempo – das war einmal. Ein gutes Vierteljahr wollen sich SPD, Grüne und Linke Zeit lassen, um eine Regierung zu bilden. Vorher finden in den Koalitionsgesprächen Themen wie „Gutes Regieren“ und „Politische Kultur“ ihre Würdigung. Aber es dringt auch schon nach außen, wie die drei Parteien die Hauptstadt entschleunigen – Autofahrer sagen: lahmlegen – wollen.

Tempo 30 auf allen Hauptstraßen möchten Grüne und Linke durchsetzen, auch ein großer Teil der Sozialdemokraten ist dafür. Stattdessen sollen Rad- und Fußgängerverkehr den Vorrang bekommen. Wie das aussieht, weiß jeder Autofahrer, wenn er nach 22 Uhr über die dann oft ziemlich leeren Magistralen fährt. Denn dann gilt bereits das Schneckentempo. Viel schneller als im gefürchteten Berliner Berufsverkehr ist niemand am Ziel.

Auch den bereits angefangenen und mit Bundesgeldern finanzierten Weiterbau der Stadtautobahn zum Treptower Park wollen die neuen Koalitionspolitiker abbrechen. Schon an der Neuköllner Sonnenallee soll nun Schluß sein. Die langfristige Planung bis zur Frankfurter Allee, die den Osten von seinem Verkehrsinfarkt befreien würde, soll endgültig vom Tisch. 

Grüne und Linke, die gemeinsam stärker sind als die SPD, verlangen auch eine Zwangsabgabe – wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk – auf die öffentlichen Verkehrsmittel. Jeder soll ein Monatsticket bezahlen müssen, auch wenn er Bus, U-, S- und Straßenbahn nicht nutzt. Befreit davon wären alle Sozialhilfeempfänger, Asylbewerber und Arbeitslose. Ihre Fahrscheine würden dann von den Autofahrern bezahlt. Auch der linke Flügel der SPD findet das gut. Schwarzfahren gäbe es dann nicht mehr. Am drängendsten Problem allerdings, der zunehmenden Gewalt junger, meist eingewanderter Männer in den Bahnen, wird sich in dieser ticketfreien Welt nichts ändern. 

Auch für den Großflughafen gibt es neue Ziele. Nein, nicht wann der BER endlich eröffnet werden soll. Inzwischen ist die Rede von 2018, aber so genau will sich da niemand festlegen. Bei den Koalitionsverhandlungen geht es darum, die Zahl der Flüge zu verringern. Das Nachtflugverbot zwischen 0 und 5 Uhr wollen die Politiker ausdehnen.

Wie es in der Integrationspolitik weitergehen soll, hat der Türkische Bund öffentlich durchblicken lassen. Die drei linken Parteien hätten ihm versprochen, daß es demnächst verboten wird, wenn Schulen Deutsch zur alleinigen Umgangssprache erklären (JF 42/16). Bisher hatten sich einige Bildungseinrichtungen für diese Option entschieden und damit große Erfolge gefeiert. Die Leistungen wurden besser, und die Zahl der Anmeldungen stieg. 

Bevor das alles auf rot-rot-grünes Papier gedruckt wird, gönnt sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) allerdings erst einmal ein paar Tage auf einem „Siedlungsgipfel“ in Südamerika. Seine kurz nach der Wahl mit gerade 37 Jahren in den einstweiligen Ruhestand vesetzte Ex-Sprecherin Daniela Augenstein mußte er unterdessen nun doch entlassen; sie hatte noch keine fünf Jahre im öffentlichen Dienst gearbeitet. So spart der künftige Senat immerhin einen Teil der etwa 8.900 Euro, die der Sozialdemokratin sonst an Altersbezügen monatlich zugestanden hätten.