© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Auch nach Dienst im Dienst
Zehn exemplarische Biographien offenbaren unterschiedliche Spionagekarrieren zwischen den Systemen im Deutschland des 20. Jahrhunderts
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Helmut Müller-Enbergs und Armin Wagner sind durch einschlägige Bücher bekannt. Indes können sie aufgrund ihres Alters kaum den seelisch-moralischen Zusammenbruch, die Verwirrungen und Verstrickungen vieler Deutscher nach 1945 ermessen. Nicht wenige standen vor einem Neuanfang, vielen fehlte eine zivile Berufsausbildung. Personen, die im Weltkrieg in der Spionage oder der Abwehr eingesetzt waren, kam indes die Politik der Westmächte im beginnenden Kalten Krieg zugute: Etliche von ihnen setzten ihre frühere Tätigkeit nunmehr für deren Spionage in der Organisation Gehlen fort, später für den Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt für Verfassungsschutz oder das Bundeskriminalamt. 

Ihr Buch beinhaltet zehn Biographien von Personen, die damals in jener Welt an zweiter Stelle, im Schatten standen; sie bleiben daher zumeist unbekannt, hatten dennoch größeren Einfluß. Eine Sonderrolle nahm dabei der Präsident des Bundesdisziplinarhofes Kurt Behnke ein, der fast Leiter des Verfassungsschutzes geworden wäre; hinter seiner sittenstrengen Fassade fiel er jedoch durch zu viele „Weibergeschichten“ auf, eine seiner Sekretärinnen besaß ganz offenbar engere Beziehungen zum MfS. Beging er deshalb Selbstmord? 

Josef Urban schickten NS-Stellen mit Aufträgen ins Sudentenland und nach Budapest. Nach Kriegsende arbeitete er für die Spionage der USA, aber auch für die CSSR, später für Italien und sogar für den Mossad – es waren insgesamt zehn Nachrichtendienste. Ob er auch für das KGB tätig war, kann nicht direkt bewiesen werden.

Der Ministerialrat Ewert von Dellingshausen im Gesamtdeutschen Ministerium war weder Spion noch Nachrichtenhändler. Geprägt durch grausame Kindheitserinnerungen bei der bolschewistischen Besetzung des Baltikums 1918, war er überzeugter Gegner des Kommunismus. Er war die „graue Eminenz“ im Ministerium mit sehr guten Verbindungen zu allen westlichen Diensten, er war auch der geistige Motor der westlichen Aufklärungsarbeit gegen die DDR und gegen Stasi-Unterwanderungsbemühungen in der Bundesrepublik. 

Die Motive eines Menschen zur Spionage waren vielschichtig. Die Besten arbeiteten aus politischer Überzeugung. Viele arbeiteten wegen finanzieller Anreize. In den ersten Nachkriegsjahren zwangen recht oft Erpressungen mit der NS-Vergangenheit zur Mitarbeit für fremde Geheimdienste.

Ein schicksalhafter Fall besonderer Art, der selbst Spionage-Kennern unbekannt ist, war Hildegard Zickmann: Sie war SED-Mitglied, FDGB-Mitglied sowie Stadtverordnete, später verantwortlich für die Lebensmittelversorgung der „Sonderbedarfsträger“, also der 9.700 Sowjetsoldaten in Dresden und der insgesamt 57.000 in Sachsen. Als ihr Antrag abgelehnt wurde, ihren in den Westen geflohenen Sohn nach einem lebensgefährlichen Unfall besuchen zu können, entfremdete sie sich von der DDR. Die Kenntnis über diese Irritationen veranlaßte die CIA, Zickmann zur Mitarbeit zu gewinnen, wobei die Honorare (33.400 D-Mark) dem Sohn für dessen Krankenbehandlung ausbezahlt wurden. Ihr Wissen über die Sowjetarmee in Sachsen, die Namen von Offizieren, Waffen und Anlagen wurden für die US-Spionage ein offenes Buch.

Ein gern verschwiegener wunder Punkt der Bundeswehr ist der Oberst i. G. Joachim Krase, der stellvertretende Leiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Er hatte sich 1969 der DDR-Spionage selber angeboten; Motiv waren unter anderem seine Geldprobleme angesichts seiner häufigen Spielkasino-Besuche – die HVA zahlte ihm insgesamt 200.000 D-Mark. Er verriet über zehn Jahre lang der Stasi Namen von MAD-Angehörigen, DDR-Spione, die im Westen in Verdacht geraten waren und – was die Autoren offenbar nicht wissen – Stationierungsorte der US-Atomwaffen in der Bundesrepublik. Dabei hätte Krase wiederholt enttarnt werden können, wenn die Abwehr-Offiziere auf Warnungen gehört hätten. So aber erhielt Krase sogar das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. 

Helmut Müller-Enbergs, Armin Wagner: Spione und Nachrichtenhändler. Geheimdienstkarrieren in Deutschland 1939–1989. Ch. Links Verlag, Berlin 2016, gebunden, 375 Seiten, 25 Euro