© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

An der Beliebigkeit erstickt die Freiheit: 20 Jahre Rechtschreibchaos
Später Triumph linker Kulturrevolutionäre
(wm)

Als sich im vergangenen Sommer das unrühmliche „Jubiläum“ der Rechtschreibreform zum zwanzigsten Mal jährte, schrieb die für Bildungspolitik zuständige FAZ-Redakteurin Heike Schmoll verächtlich von einem beispiellosen „Desaster“. Hoffnung auf eine Rolle rückwärts hielt sie aber angesichts der Beratungsresistenz der kulturpolitischen Nomenklatura für naiv. Die nach vielerlei Protesten 2006 eingeleitete „Reform der Reform“ hatte die Unordnung nur verschlimmert. Dem resignativen Urteil kann der Lyriker und Essayist Hans Krieger, der schon in den frühen neunziger Jahren als Kulturredakteur der Bayerischen Staatszeitung an vorderster Front der Reform-Gegner focht, in seiner knappen Abrechnung mit diesem „Angriff auf die Sprachkultur“ (Sinn und Form, 5/2016) nur beipflichten. Krieger sieht darin einen späten Triumph linker Kulturrevolutionäre aus 68er Zeiten, die mit der überlieferten, „hochdifferenzierten“ deutschen Sprachkultur ein „Herrschaftsinstrument der Privilegierten zur ‘Diskriminierung’ der ‘Ungebildeten’“ abschaffen wollten. Entstanden sei eine „Chaotisierung“ der Schreibpraxis, die von ihren Verursachern immer noch als „Freiheitsgewinn“ verkauft werde. Tatsächlich ersticke die Freiheit an solcher Beliebigkeit, getreu Goethes Diktum: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ 


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