© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Dahinter steckt ein größeres Kalkül
Mosaikstein: Die neue Initiative Offene Gesellschaft will den herrschenden Diskurs sichern
Thorsten Hinz

Am 22. September ist eine Initiative namens „Offene Gesellschaft“ gestartet. 365 Tage lang, bis zur Bundestagswahl im September 2017, will sie bundesweit Veranstaltungen organisieren sowie als Anlaufstelle und Koordinator tätig werden: „Vom Storytelling-Abend bis zur Parkplatz-Besetzung, von der Fahrrad-Tour bis zur Plenumsdebatte: wir laden Sie ein, mit uns in Aktion zu treten“, heißt es im Internetauftritt.

Ihr Kopf ist der 58jährige Harald Welzer, Soziologieprofessor an der Europa-Universität Flensburg, dessen Themenpalette von der Vergangenheitsbewältigung („Opa war kein Nazi“) über den Klimawandel und den nachhaltigen Lebensstil bis zur Kritik am Internet („Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit“) reicht. Ein typischer Repräsentant seines Fachs und des akademischen Milieus, der „ein Netzwerk von Privatpersonen, Aktionsgruppen, Bündnissen und Institutionen“ knüpfen will, das „Kräfte für eine machtvolle und kreative zivilgesellschaftliche Bewegung“ bündelt. Sie soll zu „einer außerparlamentarischen Opposition“ (APO) anschwellen, „die für eine offene Gesellschaft eintritt“. 

Wozu der Aufwand? In einem manifestartigen, auf Spiegel Online veröffentlichten Text zeigt Welzer sich besorgt darüber, daß die AfD, die Deutschland in ein „Dumpfbeutelmuseum einer ethnisch feinsortierten Welt“ verwandeln wolle und jenes „Fünftel der Bevölkerung moderner Gesellschaften“ repräsentiere, bei dem „menschenfeindliche Haltungen wie Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (...) stabil verankert sind“, dennoch „nicht mit dem Neonazi-Stigma“ behaftet sei. Diesem Milieu gelinge es vielmehr, seine Gedanken mittels sozialer Medien in den gesellschaftlichen Diskurs einzuspeisen und der Politik die Themen zu diktieren. Die „anderen 80 Prozent“ hingegen, die „ treu und brav demokratischen Parteien ihre Stimme geben“, würden von diesen im Stich gelassen. Deshalb müsse die neue APO den Parteien „die dringend nötige Nachhilfe in politischer Bildung zukommen“ lassen.

Zu den bisher rekrutierten Nachhilfelehrern gehören Theaterregisseure, Künstler, Politikwissenschaftler, auch der Chef der Diakonie ist mit von der Partie. Zu den bekannteren Namen zählen die Schauspielerin Katja Riemann und der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Angekündigt sind Podiumsdiskussionen, Theaterstücke, Lesungen. Einen ersten Höhepunkt wird am 20. Oktober die Vorstellung des Buches „Die offene Gesellschaft und ihre Freunde“ auf der Frankfurter Buchmesse bilden. Zu den Beiträgern zählen neben Welzer der frühere Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez, Springer-Chef Mathias Döpfner, die Soziologieprofessorin Naika Foroutan – die aus einer aktuellen Berufsausbildungsquote von 24 Prozent unter den Türken in Deutschland gegenüber drei Prozent in der ersten Einwande-rergeneration auf eine unschlagbare, bis zu 900prozentige Bildungsexplosion schloß! –, der Fernsehphilosoph Richard David Precht und der Schweizer Theaterregisseur und Autor Milo Rau. Er trat mit eigenwilligen Thesen zum islamistischen Terror („Gefährlich ist nicht, was Terroristen tun, sondern wie die Gesellschaft darauf reagiert“) hervor und empfahl Brüssel – die „erste Großstadt Europas, in der keine Nationalität, keine Ethnie, keine Kultur dominiert und die Mehrheit bildet. Das funktioniert ziemlich gut“ – als Modell für ganz Europa. Die üblichen Verdächtigen also.

Unter einer „offenen“ verstehen die Organisatoren „vor allem eine bunte, multiethnische und -kulturelle Gesellschaft“. Und sonst? Karl Poppers 1945 veröffentlichter Klassiker „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ war eine Reaktion auf die totalitäre Herausforderung der liberalen Demokratie durch den Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Weder konnte er damals die Völkerwanderung aus der südlichen in die nördliche Hemisphäre noch die Rückkehr einer kompakten Religion, des Islam, als politischen Machtfaktor voraussehen. Auch die Verbindung des (Neo-)Liberalismus mit dem Kulturmarxismus mit dem Ergebnis einer tendenziell neototalitären Praxis lag außerhalb des Horizonts.

Stiftungen unterstützen die Initiative

Welzer kann die Erkenntnislücke nicht füllen. Bis auf die Binsenwahrheit, daß die etablierten Parteien geistig ausgebrannt sind, ist sein Text ohne diagnostischen und analytischen Wert, und wenn er der Gegenseite „Wut und Haß“ unterstellt, ist das leicht als Projektion zu identifizieren. Sein aufgeregter Ton dementiert die selbstgewisse Überschrift „Wir sind’s, die Mehrheit“. Die Furcht treibt ihn um, die Mehrheit könnte nicht die verteufelten 20 Prozent, sondern Intellektuelle wie ihn als Mitverursacher gesellschaftlichen Unheils namhaft machen. Seine Aggressivität widerspiegelt den „klassischen Fall des in die Enge getriebenen Tiers, das Todesangst verspürt und gefährlich wird“. So jüngst der französische Schriftsteller Michel Houllebecq über die Linke in seinem Land.

Um eine APO zu entfachen, reicht der Gruppenegoismus einer abgehalfterten Schicht natürlich nicht aus. Welzer stützt sich deshalb auf andere Kräfte, wie ein Blick auf die Liste der Partner und Finanziers seiner Initiative zeigt. Grüppchen wie „Gesicht zeigen“ sind bloß lächerliche Garnierungen. Politisch-strategische Bedeutung besitzt hingegen die Unterstützung durch die Bertelsmann-Stiftung, die ein wichtiger Knotenpunkt im internationalen Netzwerk der Globalisierer ist und stets die passenden Statistiken, Studien und Gutachten zur Verfügung stellt, wenn es darum geht, etwa die Vorzüge des Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP oder der Zuwanderung („Migrantenunternehmen sind Jobmotor für Deutschland“) zu belegen.

Auch die Robert-Bosch-Stiftung ist als Unterstützer einschlägiger Unternehmungen bekannt. Sie finanzierte bereits das „Denkwerk-“Projekt „Lassma Sprache erforschen“, mit dem versucht wurde, den funktionalen Analphabetismus von Ausländerkindern als „Kiezdeutsch“ aufzuwerten. Wissenschaftlich belanglos, politisch aber hochbedeutsam, wurde die Studie mehrmals durch alle großen Zeitungen und die Bundeszentrale für politische Bildung lanciert. Die Stoßrichtung entlarvt sich durch die Behauptung, das „Standarddeutsch“ sei lediglich eine „Varietät“ von vielen und als „die Sprache der bildungsbürgerlichen Mittelschicht“ entstanden, die andere Schichten „von Anfang an ausgrenzt“ und sozial diskriminiere. Für die Initiative „Offene Gesellschaft“ hat die Robert-Bosch-Stiftung einen Fonds eingerichtet, aus dem Aktionen mit bis zu 3.000 Euro gefördert werden können. Auch die Vodafone-Stiftung, laut Selbstauskunft ein „Think Tank“, der sich insbesondere Fragen der Bildung und Migration widmet, ist dabei.

US-Spekulant Soros gehört zu den Geldgebern

Zu den Geldgebern gehören weiterhin die Open Society Foundations, das Stiftungsnetzwerk des US-Multimilliardärs und Spekulanten George Soros, der nach eigenen Angaben jedes Jahr rund eine Milliarde Dollar für sogenannte gute Zwecke spendet. Auf keine demokratische Legitimation, nur auf sein Geld gestützt, wirkt er auf die Willensbildung und Politik anderer Staaten ein. Den Massenzustrom nach Europa hat er nicht nur propagandistisch mit der Forderung  begleitet, die EU müsse reguläre Korridore eröffnen und pro Jahr eine Million Migranten akzeptieren, sondern auch logistisch. Wie Friederike Beck in ihrem Buch „Die geheime Migrationsagenda“ schreibt, rief Soros eine Internationale Migrationsinitiative ins Leben, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, „Ausbeutung, Diskriminierung und Gewalt gegen Migranten auf jeder Etappe ihrer Migrationsreise (migration journey) zu verhindern“ und ihnen „verstärkten Zugang zu ihren Rechten“ zu verschaffen.

Im Juli 2015 erklärte die „Open Society Initative for Europe“, sie wolle „den Abstand zwischen dem Protyp einer offenen Gesellschaft und der Realität“ verkleinern. Dazu kümmert sie sich „um die Herausforderungen der Migration und bekämpft Diskriminierung – einschließlich Islamophobie und die strukturelle Diskriminierung der Roma“. Darüber hinaus soll die Flüchtlingskrise den Katalysator zu einem europäischen Einheitsstaat bilden. Die Aussicht auf einen Stimmungsumschwung in Deutschland muß Soros alarmieren.

In dem Zusammenhang sticht eine Personalie der Initiative „Offene Gesellschaft“ besonders hervor. Eines der vier Vorstandsmitglieder, der Politikwissenschaftler Andre Wilkens, hat laut Fischer-Verlag viele Jahre in Brüssel, London, Turin und Genf gelebt und dort für die EU, Stiftungen und die Uno gearbeitet. Davor leitete er das Open Society Institute (OSI) der Soros-Stiftung in Brüssel und koordinierte die Aktivitäten von Soros in Europa. Weitere berufliche Stationen waren die European Training Foundation in Turin sowie Positionen bei der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament in Brüssel.

Ist die angekündigte neue APO eine Soros-Simulation, co-finanziert von Bosch und Bertelsmann? Jedenfalls ist sie ein Mosaiksteinchen in einem größeren Kalkül, in dem die sich als Akteure aufspielenden Intellektuellen der „Offenen Gesellschaft“ wie unwissende Statisten, Marionetten und Handpuppen erscheinen.

Harald Welzer (Hrsg.) u. a.: Die offene Gesellschaft und ihre Freunde. S. Fischer, Frankfurt/Main 2016, broschiert, 240 Seiten, 9,99 Euro