© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Schon die Atmosphäre ist Rendite
Oldtimer-Markt: Die Motorworld Classics Berlin ist mehr als eine Messe für Autoliebhaber und Sammler
Peter Dettnert

Achtung! Achtung! Hier spricht Berlin! Willkommen in der Motorworld Classics.“ Es folgt ein Jazz-Jingle, dröhnend durch die Hallenlautsprecher. Die neue Oldtimer-Messe, die 2015 in den historischen Messehallen und im Sommergarten unterm Berliner Funkturm Premiere feierte, ging voriges Wochenende in die zweite Runde. Bei durchwachsenem Wetter war die Teilnahme von Besucherfahrzeugen etwas gebremst. Dennoch wurden die Erwartungen übertroffen, so der Veranstalter. Initiator ist Marc Baumüller, Unternehmer aus Darmstadt. Er will kurz gesagt die Faszination Oldtimer kommerziell erschließen. Das geht nicht ohne Passion. Baumüller sagt, er habe sie. Und was in den letzten beiden Jahren unterm Funkturm entstanden ist, kann sich wirklich sehen lassen – Baumüller gibt richtig Gas. Damit stößt er in einen blühenden Markt und in eine Stadt vor, die es auch verdient.

Schon 1921 schrieben die Berliner Messehallen automobile Geschichte, beherbergten sie die noch junge Deutsche Automobilausstellung, welche heute als IAA in Frankfurt stattfindet. Die Automesse schließt hier an die zwanziger Jahre an, und das Messekonzept mit durchgestyltem Rahmenprogramm meint es ernst und bot in den Hallen und im Freien volle Unterhaltung. Statt der üblichen Messehostess begegnet man einem hübschen Fräulein im roten Etuikleid und passendem Make-up. Auch Besucher werfen sich in Schale: Tweet-Sakkos mit Lederschoner auf den Ellenbogen und Knickerbocker sind nicht selten oder waren das eben die „Die Drei von der Tankstelle“?

Erstmals dabei waren renommierte Namen wie BMW Classic und Porsche, Ferrari Eberlein und Rosier. Ebenso gab es mehr Platz für Krafträder, womit auf den Besucherwunsch des Vorjahres reagiert wurde. Technik-Spezialisten für Automobilraritäten, Zubehör- und Accessoire-Anbieter, engagierte Clubs der Szene und private Verkäufer präsentierten ihre Produkte und Dienstleistungen. Das Showprogramm sorgte zusätzlich für gute Unterhaltung: Musike zum Fingerschnipsen, Picknick im Sommergarten, Ausfahrten und zwei Sonderschauen. Damit ist die Messe ein Erlebnis nicht nur für Fahrzeugliebhaber und Sammler, Auto-Clubs und Szenefans. Denn wer in eine ganze Welt im Stil der guten alten Zeiten eintauchen möchte, ist hier goldrichtig und die Sehnsucht danach wächst.

Derzeit kommen Fahrzeuge auf den Markt, die über Jahrzehnte nicht zu kaufen waren. Grund ist, daß ihre Eigner versterben, die Erben verkaufen sie. Auf der anderen Seite ist – meist ebenfalls durch Erbschaft – viel Geld im Markt. Hier erfüllen sich dann manche ihren Kindheitstraum. Andere betreiben das Geschäft hochprofessionell. Kaufen Fahrzeuge mit hoher Renditeerwartung. „Der Markt in Fernost öffnet sich langsam. Wer Autogeschichte sammelt, kommt am 911er nicht vorbei“, so ein Marktinsider, der eigene Lagerhallen hat und seine Scouts losschickt, den Anzeigenmarkt zu durchkämmen. „Gute Chance auf einen günstigen Preis hat man bei Erben, die schätzen die Wagen geringer als ein Eigner, dem der Wagen oft ein großes Stück Lebensgeschichte bedeutet.“

Große Autohersteller folgen dem Trend

Der Marktentwicklung folgen auch die großen Autohersteller und setzen Spitzenpersonal und Marketingmillionen ein. Ihre Klassik-Sparten dienten klar der Marken-Identität und dem Neuwagenverkauf. Doch so manches Porsche-Zentrum verdient mit dem Verkauf der Klassiker mehr als mit den Neufahrzeugen von der Stange. 

Was im internationalen Geschäft und im englischsprachigen Ausland nichts Besonderes ist, entwickelt sich nun auch hierzulande, der Kauf und Verkauf per Auktion. Ebay hat es dem breiten Markt vorgemacht. So war und gilt eine Auktion als Messehöhepunkt, besonders wenn spektakuläre Fahrzeuge unter den Hammer kommen. In Kooperation mit der jungen Berliner Online-Auktionsplattform Auctionata fand eine Live-Übertragung einer Classic Car- and Bike-Versteigerung statt. Ersteigert wurden etwa ein 97er Porsche 933 für 92.000 Euro (Startpreis 50.000 Euro) und ein 72er Alfa Romeo Montreal für 46.000 Euro (15.000 Euro).

Die erzielten Preise sind immer Gradmesser der Marktentwicklung. Weitere wichtige Orientierung bildet neben Marktindizes die Techno Classica in Essen – die Weltmesse für klassische Prestigeautomobile und Mutter aller Oldtimer-Messen. Hier wurde im Frühjahr ein Besucherrekord mit 200.000 Gästen aus 41 Nationen erzielt. Über die Preise der Kundenlieblinge schüttelt manch einer schon den Kopf und Auto, Motor und Sport stellte voriges Jahr die Frage: Wann platzt die Blase? Doch auch 2016 sind mehr als 100.000 Euro für einen VW-Bus Samba, einen Mercedes Pagode oder den Porsche 911 (F-Modell oder 993) real, auch wenn Fahrzeuge in der Regel zehn Prozent unter der Gutachtensumme verkauft werden. Auch der Käfer, mit Abstand Deutschlands beliebtester Oldtimer, spürt den Preisanstieg. Stärker ist der Anstieg bei Trabant, Wartburg oder Ente, dem Citroën 2CV, deren Preise pro Jahr nahezu um 50 Prozent steigen. Das liegt an der geringen Stückzahl und der Nachfrage. Günstige Alternativen für den Einstieg gibt es dennoch. Als Tip gelten Renault R4, Citroën Dyane oder das brasilianische Sportcoupé VW SP2. Oder man schaut sich bei Youngtimern um. Oder denen, die das Zeug dazu haben, Klassiker zu werden. Der Jaguar XK8 ist hier ein offenes Geheimnis. Viel Spaß für kleines Geld bietet auch der Smart Roadster oder der Mercedes SLK (erste Serie). Wer den Treibstoff der Szene kennenlernen will, sollte eine Messe in seiner Umgebung besuchen, aber auch mal eine der großen Veranstaltungen. Schon die Atmosphäre ist Rendite.

Oldtimer-Messe Motorworld Classics Berlin:  www.motorworld-classics.de

29. Techno-Classica vom 5. bis 9. April 2017 in den Hallen der Messe Essen :  www.siha.de/