© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Großbritannien steuert auf einen harten Brexit zu
Mehr Chance als Risiko
Thomas Kirchner

Nebel im Kanal – Kontinent abgeschnitten“ soll einst die Schlagzeile der Londoner Times gelautet haben, als eine mißliche Wetterlage den Schiffsverkehr zum Erliegen brachte. Ob wahr oder nicht, der Satz gilt bis heute als Zeichen britischen Inseldenkens. Wenn der Brexit wie erhofft verläuft, könnte das Inseldasein bald überaus attraktiv werden. Denn die Abwertung der Währung – das Pfund hat seit dem Votum rund 17 Prozent verloren – verschafft den Briten ein kleines Wirtschaftswunder.

Die Börse LSE erreicht neue Rekordwerte, während der Kontinent in Eurosklerose verharrt. Der monetäre Stimulus allein wird nicht lange anhalten, doch Optimisten auf der Insel hoffen, ohne EU auch langfristig besser zu fahren. Als Niedrigsteuerland mit starkem Finanzsektor, guten Bildungseinrichtungen und ohne Finanztransfers an die EU könnte Großbritannien weiter florieren. Die Infrastruktur und Mentalität für Innovation, Risikobereitschaft und Unternehmensgründungen sind jedenfalls gegeben.

Vielleicht um das zu verhindern, will die EU die Briten am Finanzsektor anpacken. Doch dabei vergißt Brüssel: London entwickelte sich als europäisches Finanzzentrum schon lange vor Maastricht. Banken könnten unter erschwertem Marktzugang leiden – was dann auch in die umgekehrte Richtung der Fall wäre – doch andere Bereiche der Finanzbranche werden kaum betroffen sein. Beispiel Börsennotierungen: Viele deutsche Dax-Konzerne haben eine doppelte Notierung mit der New Yorker Börse, obwohl sie nicht in der EU liegt. Einige deutsche Technologiefirmen sind an der US-Nasdaq notiert und in Deutschland nur im Freiverkehr gehandelt. Luxusfirmen wie Prada und L’Occitane zog es sogar an die Börse Hongkongs, ohne daß dies ihr Europageschäft beeinträchtigt hätte. Vermögensverwalter aus aller Welt haben Zugang zur EU, so daß auch hier Einschränkungen gegen Briten schwer durchzusetzen sind. Die britische Finanzbranche in den Brexitverhandlungen zu schwächen wird also nicht einfach sein. Und da die Exporte Großbritanniens ins Nicht-EU-Ausland höher sind als Importe aus der EU, sind die Dummen letztlich die EU-Länder selbst, allen voran Export- und Zahlmeister Deutschland.

Das wissen auch die Briten, was erklärt, weshalb sie die Angelegenheit mit traditioneller Kühle angehen. Doch ganz ohne Risiko ist diese Strategie nicht. Pessimisten sehen die EU am längeren Hebel sitzen, noch dazu mit tiefsitzender Rachsucht. Es wäre also denkbar, daß die EU schwere Sanktionen gegen Großbritannien erst im nachhinein verhängt. Das gibt dann jahrelange Prozesse vor der Welthandelorganisation WTO. Doch diese Gefahr bleibt gering. Margaret Thatcher träumte einst mit Blick auf die EU, Großbritannien könne das Singapur Europas werden, ein prosperierendes Offshorezentrum. Dies könnte mit dem Brexit Realität werden.