© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Bestenfalls Zünglein an der Waage
US-Präsidentschaftswahlkampf: Der libertäre Gary Johnson, die grüne Jill Stein und der konservative Darrell Castle als Joker in Swing States
Manfred Friedrich

Trump wird ganz offensichtlich nicht gewinnen.“ Keiner wollte es so deutlich sagen wie der evangelikale Senator Ben Sasse aus Nebraska. Auch eine gute Leistung in der zweiten TV-Debatte wird Donald Trump nach Meinung vieler Republikaner nicht mehr retten können. Dutzende Kongreßabgeordnete und Gouverneure der Grand Old Party haben sich nach Bekanntwerden eines elf Jahre alten Videos, in dem Trump sich in Macho-Manier über Frauen äußert, von ihm distanziert. Repräsentantenhaus-Sprecher Paul Ryan will keinen Wahlkampf mehr mit ihm machen. In der jüngsten NBC/Wall-Street-Journal-Umfrage liegt er elf Prozentpunkte hinter der weithin unbeliebten Hillary Clinton.

Kampf um die enttäusche Wählerklientel der Ränder

Noch stärker ins Zentrum rücken damit Drittparteienkandidaten, die frustrierten Republikanern oder Demokraten, die im Vorwahlkampf Bernie Sanders unterstützten, eine Alternative bieten. Selten sind sie bei Präsidentschaftswahlen das Zünglein an der Waage, nur vereinzelt schafft es dabei ein Kandidat, der nicht einer der beiden Großparteien angehört, überhaupt in allen Bundesstaaten auf die Wahlzettel. Erfolgreichster Außenseiter war 1992 Ross Perot, der landesweit 18,9 Prozent erreichte, George Bush die Wiederwahl kostete und Bill Clinton ins Amt hievte – ohne auch nur einen einzigen Wahlmann zu gewinnen. Dies schaffte zuletzt George Wallace, ein Südstaaten-Demokrat und Ex-Gouverneur von Alabama, der sich für die Rassentrennung einsetzte. Für die rechte American Independent Party gewann er 1968 fünf Bundesstaaten.

Nach Trumps Fauxpas ist aber unklar, welche Kandidaten von „republikanischen“ Leihstimmen profitieren könnten. Ideologisch wäre Darrell Castle, Kandidat der Constitution Party, in der Pole-position. Seine Standpunkte unterscheiden sich kaum von denen konservativer Republikaner: Stopp illegaler Einwanderung, ein klares Nein zur Abtreibung oder ein Bekenntnis zum Recht auf Waffenbesitz. Castle steht für das, was im Heartland Amerikas gut ankommt – seine Forderung nach UN- und Nato-Austritt ist aber für Neocons ein rotes Tuch. Auf dem Stimmzettel steht Castle in 24 Staaten. In Texas, Virginia oder Ohio bleibt Trump-Enttäuschten nur die Möglichkeit, Castle handschriftlich auf dem Stimmzettel einzutragen.

Auf der Linken bemüht sich die Grünen-Kandidatin Jill Stein, die 2012 auf 0,4 Prozent kam, vor allem um enttäuschte Sanders-Wähler. Diesmal tritt sie in 45 Staaten an und steht in Umfragen momentan bei zwei Prozent. Sie setzt sich für 15 Dollar Mindestlohn ein und will die USA bis 2030 völlig auf erneuerbare Energien umstellen – das scheint illusorisch, aber ein Grünen-Kandidat verhinderte 2000 den Einzug eines Demokraten ins Weiße Haus: Ralph Nader holte drei Millionen Stimmen (2,74 Prozent), verhinderte mindestens in den Swing States Florida und New Hampshire den Sieg von Al Gore, so daß sich George W. Bush durchsetzen konnte.

Sowohl enttäuschte Demokraten als auch frustrierte Republikaner kann derzeit Gary Johnson, der Kandidat der Libertären, auf seine Seite ziehen. In Umfragen erreicht der 63jährige Lutheraner neun Prozent. Damit könnte der bekennende Cannabis-Konsument nicht nur in einigen Bundesstaaten das Zünglein an der Waage spielen und sowohl Clinton als auch Trump wichtige Stimmen kosten.

In mindestens einem Bundesstaat ist Johnson sogar konkurrenzfähig. Nach Meinung des US-Wahlforschers Nate Silver könnte es dem Ex-Gouverneur von New Mexiko gelingen, seinen Heimatstaat mitsamt dessen fünf Wahlmännern zu gewinnen. Vor allem, weil nach Trumps Macho-Video die bei Republikanern beliebte Gouverneurin des Bundesstaates, Susanna Martinez, bekundete, dem New Yorker Milliardär ihre Stimme zu verweigern. Und sollte es zu einem knappen Wahlausgang kommen, könnte ein Sieg Johnsons in New Mexiko alles durcheinanderwirbeln. Um zum Präsidenten zu werden, braucht ein Kandidat keine Wählermehrheit, sondern eine absolute Mehrheit im Electoral College. Diese liegt bei 270 Stimmen. Erreicht kein Kandidat diese Wahlmänneranzahl, muß das Repräsentantenhaus über den nächsten US-Präsidenten entscheiden. Dort hätte dann jede Bundesstaatendelegation nur eine Stimme: der „demokratische“ 39-Millionen-Einwohner-Staat Kalifornien genauso wie das lediglich 750.000 Einwohner zählende „republikanische“ Nord-Dakota.