© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

In letzter Minute vereitelt
Terrorverdacht: Der festgenommene syrische Asylbewerber hatte offenbar Kontakt zum Islamischen Staat
Verena Inauen

Wochenlang bastelte der syrische Asylbewerber Jaber al-Bakr in Chemnitz bereits an den Sprengstoffen, die am Berliner Flughafen und in Zügen detonieren sollten. „Die Vorbereitungen in Chemnitz ähneln nach allem, was wir heute wissen, den Vorbereitungen zu den Anschlägen in Paris und Brüssel“, sagte auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Montag in Berlin. 

Als die Polizei den potentiellen Attentäter am vergangenen Freitag festnehmen wollte, konnte er jedoch fliehen und tauchte zwei Tage lang unter. Ermittler durchsuchten indes eine Wohnung und stellten über ein Kilo Sprengstoff sicher. Am Sonntag wurde der hochgefährliche Mann schließlich gefaßt. 

Seit September im Visier  des Verfassungsschutzes

Der 22jährige mutmaßliche Terrorist al-Bakr stammt aus der Gegend von Damaskus und reiste im Vorjahr illegal nach Deutschland ein. In Rosenheim wurde er von der Polizei aufgegriffen und nach seiner Registrierung als Flüchtling nach Chemnitz gebracht. Der dort gestellte Antrag auf Asyl wurde für die kommenden drei Jahre positiv beschieden, Jaber blieb in Nordsachsen. Dort eignete er sich über das Internet ausreichend Wissen über den Bau von hochgefährlichen Bomben und Sprengsätzen an. 

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz, das den Syrer schon seit September im Visier hatte, schrillten die Alarmglocken: Ab dem vergangenen Donnerstag observierten Beamte rund um die Uhr eine Wohnung in der Chemnitzer Fritz-Heckert-Siedlung, in der Jaber bei einem anderen Asylbewerber Unterschlupf gefunden hatte. Das Bundeskriminalamt hatte die Hinweise der Nachrichtendienste aus dem Internet als hochgefährlich eingestuft. Bis einen Tag vor der geplanten Festnahme am Freitag dauerten allerdings die Ermittlungen an. 

Als der verdächtige Asylbewerber kurz vor dem Wochenende noch einen Heißkleber kaufte, gingen die Ermittler davon aus, daß er nun alle Zutaten für seine tödlichen Waffen zur Verfügung hatte. Die Polizei rechnete mit einem „schädigenden Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit“, heißt es in einer Mitteilung der Sicherheitsbehörden. 

In dem Moment, in dem al-Bakr das Gebäude verließ, forderten ihn Ermittler auf stehenzubleiben, er habe allerdings nicht reagiert. Auch ein Warnschuß sei erfolglos gewesen. Eine „Schußabgabe auf den Fliehenden“ sei jedoch zu riskant gewesen, gibt das Landeskriminalamt in einem Lagebericht an, da nicht klar war, ob der mutmaßliche Terrorist einen Sprengsatz zünden könnte und Unbeteiligte gefährdet worden wären. Folgen konnte ihm niemand, weil alle Einsatzkräfte schwere Schutzausrüstungen trugen.

Nachdem der Islamist fliehen konnte, fanden Beamte in der Wohnung eineinhalb Kilo „hochgefährliche Sprengstoffe“. Ermittlungen zufolge habe der 22jährige vor allem Berliner Flughäfen und Zugverbindungen im Visier gehabt. Ausgerechnet am Bahnhof von Chemnitz konnte noch am gleichen Tag der mutmaßliche Komplize, ein 33 Jahre alter syrischer Asylbewerber, festgenommen werden. Er steht unter Verdacht, gemeinsam mit al-Bakr Sprengstoffe aus Triacetontriperoxid hergestellt zu haben. Dieser wurde auch bei den Terroranschlägen in Paris verwendet. Weil solche Sprengsätze extrem instabil sind, bestand auch eine große Gefahr für die 80 Bewohner des Plattenbaues. Das gefundene Material wurde darum noch vor Ort in ausgehobenen Erdlöchern kontrolliert gesprengt. Die Einsatzkräfte gingen von einer größtmöglichen Gefahr durch den flüchtigen al-Bakr aus und warnten die Bevölkerung. Aus polizeilicher Sicht agierte dieser hochprofessionell, und darum war auch bis zu seiner Festnahme am Sonntag unklar, wo er sich befinden könnte und ob er möglicherweise sogar Sprengsätze bei sich führte. Ganze 36 Stunden brauchte die sächsische Polizei, um den Fahndungsaufruf ins Arabische zu übersetzen. 

Ein syrischer Landsmann, den al-Bakr am Leipziger Bahnhof ansprach und um ein Quartier für die Nacht bat, erkannte den gesuchten Mann aufgrund der Fahndungshinweise schließlich. Er lud ihn zu sich in die Wohnung ein, überwältigte ihn und ließ ihn gefesselt auf die Polizei warten.





Islamistischer Terrorismus

April 2002

Festnahme von Anhängern der Gruppe Al-Tawhid, die Angriffe in Berlin und Düsseldorf planten

Juli 2006

Anschlagsversuche mit Kofferbomben in zwei Regionalzügen in Köln; Täter Jihad H. und Youssef H. festgenommen 

September 2007

Festnahme der „Sauerlandgruppe“

März 2011

Schüsse auf US-Soldaten am Flughafen Frankfurt/Main; zwei Tote und zwei Schwerverletzte

April/Dezember 2011

„Düsseldorfer Zelle“ ausgehoben; vier Festnahmen wegen Terrorplänen

März 2013

Geplantes Attentat auf den Pro NRW- Vorsitzenden Markus Beisicht; vier Verhaftungen

Februar 2016

Safia S. verletzt einen Bundespolizisten mit einem Messer schwer

April 2016

Bombenanschlag auf Sikh-Gebetshaus; drei Verletzte

Juni 2016

Verhaftung von IS-Anhängern, die Anschlag auf Düsseldorfer Altstadt geplant hatten

Juli 2016

Axt-Angriff in Regionalbahn bei Würzburg. Fünf Verletzte, Täter wird getötet

Juli 2016

Selbstmordattentat mit fünfzehn Verletzten auf Musikfestival in Ansbach 

September 2016

Festnahme mehrerer Terrorverdächtiger in Schleswig-Holstein und Nord-rhein-Westfalen