© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Der Flaneur
Herbert Knebel lebt in echt
Bernd Rademacher

Ich habe schon manchmal über Herbert Knebel geschmunzelt, den ewig nörgelnden Ruhrgebiets-Rentner, der stets mit „Boah, glaubse – ich sach’ et Sie!“ die Bühne betritt. Bisher hielt ich Herbert Knebel für eine Kunstfigur des Duisburger Komikers Uwe Lyko. Jetzt weiß ich: Herbert Knebel lebt! Ich habe ihn im Supermarkt getroffen!

Als ich mit dem Einkaufswagen in den Konservengang biege, steht er auf seinen Rollator gebeugt: Graue Hose, braune Strickjacke, beige Schiebermütze, dickes Kassengestell – Klischee pur. Er scheint einen Disput mit einem Verkäufer zu haben, der sein Enkel sein könnte.

„Näää, dat kannze selber fressen! Da eß ich lieber trocken Brot, hömma! Ker’, nä do!“

Offenbar sucht er ein bestimmtes Produkt, der Markt-Mitarbeiter zeigt auf den übernächsten Gang. Der Oldtimer kurvt schimpfend an mir vorbei: „Alles scheiße – deine Elli! Joseph und Maria, hömma, wo is dat denn jetz hier?!“ Verblüffend, sogar die Stimme klingt original wie Herbert Knebel.

Der junge Verkäufer möchte ihm ein Alternativprodukt empfehlen, da dreht „Herbert“ auf: „Näää, dat kannze selber fressen! Da eß ich lieber trocken Brot, hömma! Ker’, nä do!“ Ich überlege ernsthaft, ob das eine Art „Guerilla-Performance“ des Westdeutschen Rundfunks ist, aber es sind keine Marketingfritzen zu erkennen.

Jetzt ist die Kassiererin dran. Oppa Knebel haut einen frivolen Kalauer nach dem anderen raus. Sie lacht hilflos. Seine Anzüglichkeiten wirken ob seiner Gestalt so grotesk, daß sie nicht böse wird. Der Alte läuft zur Hochform auf und unterhält die ganze Kassenschlange.

Mit einem „Gute Nacht, ihr Pflaumen!“ verschwindet er aus der Automatik-Schiebetür in die Mittagssonne. Das Band fährt weiter; ich bin an der Reihe. Ich sage: „Der Typ ist ja großartig!“ Sie antwortet lächelnd: „Ja, schon – aber wenn er oft kommt, nervt’s auch.“