© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Pazifische Träume
Chancen und Risiken der deutschen Rohstoffgewinnung / Technologieführerschaft im Tiefseebergbau?
Dirk Glaser

Wie die meisten Pauschalurteile geht auch die von panischen Untertönen nicht freie Behauptung „Deutschland ist ein rohstoffarmes Land“ an der Realität vorbei. Aber im Themenheft der Geographischen Rundschau (9/16) zur Rohstoffsicherheit Deutschlands bedarf es doch des geballten Sachverstands von mehr als einem Dutzend Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, um solcher und ähnlicher Legendenbildung zur nationalen und internationalen Rohstoffsituation mit Fakten entgegenzutreten.

Heimische Lagerstätten und wichtige Sekundärrohstoffe

Gleich zum Auftakt stellen die Geowissenschaftler klar: „Deutschland ist nicht rohstoffarm.“ Bis zu 80 Prozent der hierzulande benötigten nicht-metallischen Rohstoffe, wie Steine, Erden und Industrieminerale (Kali- und Steinsalz) werden aus heimischen Lagerstätten gewonnen. Bei der Braunkohlenförderung belegt Deutschland – mit seinem Abbau im Rheinischen Revier, bei Helmstedt, in Mitteldeutschland sowie der Lausitz (JF 40/16) – sogar Platz eins auf der Rangliste der Weltbergbauproduktion. Bei Stein- und Kalisalz steht man auf Platz vier und fünf, bei Quarzsand und dem für die Papier- und Keramik-Herstellung benötigten Kaolin (Porzellanerde) immerhin noch auf Platz acht.

Hinzu komme die deutsche Vorreiterrolle bei der Nutzung sekundärer Rohstoffe (Abfälle und Schrotte). Hier erziele man inzwischen weltweit unerreichte Spitzenwerte. 2014 stammten 42 Prozent des Kupfers, 45 Prozent des Rohstahls und 53 Prozent des Aluminiums in der deutschen Raffinade- und Rohstahlproduktion aus dem Metallrecycling. Auf den ersten Blick scheinen solche Statistiken sogar Illusionen über nationale Rohstoffautarkie zu nähren. Aber dem bauen die Hannoveraner mit nackten Zahlen und mit dem Verweis auf die unübersehbare Achillesferse des Hochtechnologiestandorts vor: „Deutschland ist bei Energierohstoffen und bei Metallrohstoffen zu einem sehr hohen Anteil von Importen abhängig.“

Die wertmäßige Gesamtrohstoffbilanz für 2014 offenbart daher recht ernüchternde Relationen. Darin stehen sich 23 Milliarden Euro für heimische Bergbauproduktion sowie für recycelte Rohstoffe und stattliche 123 Milliarden Euro für Importe gegenüber. Davon entfielen zwei Drittel auf Erdöl, Erdgas und Kohle, ein Drittel auf NE-Metalle, Eisen, Stahl und Hightech-Rohstoffe. Gerade bei letzteren sei die Importabhängigkeit so immens groß, daß ihre Verfügbarkeit ein wirtschaftsstrategisches Schlüsselproblem darstelle.

Denn vom Zugang zu Seltenen Erden, Indium, Gallium und Tellur, den unverzichtbaren Komponenten der Permanentmagneten in Windkraftanlagen und Elektrofahrzeugen wie für Solarmodule auf Dünnschichtbasis, hänge der Ausbau „Grüner Technologie“ und damit der Erfolg der Energiewende ab. Ausgerechnet auf diesem sensiblen Sektor seien jedoch erhöhte Preis- und Lieferrisiken zu registrieren, die aktuell bei 24 Metallen – neben den Seltenen Erden, Indium und Gallium unter anderem noch Wolfram, Wismut und Zinn – und zehn Industriemineralen bestehen. 

Wie hoch die Risiken einzuschätzen sind, läßt sich aus der seit Jahren geführten Debatte um Chinas monopolartige Stellung als Lieferant von High-Tech-Metallen ablesen. Allein bei Gallium gebietet das asiatische Riesenreich über 79 Prozent der weltweiten Produktionskapazität. Angesichts der globalen Rohstoffsituation, die weiterhin durch rasantes Wirtschaftswachstum in Schwellenländern wie Indien und China gekennzeichnet sei, entstehe daraus für Deutschland eine prekäre Lage. Zumal China, das etwa seinen Anteil am Weltverbrauch von Buntmetallen (Blei, Zink, Kupfer, Nickel) seit 2005 auf 50 Prozent verdoppelt hat, auch mittelfristig der größte Rohstoffkonsument bleibe und zunehmend unter Berufung auf „Eigenbedarf“ den Export drosseln könnte.

Anders als bei Basismetallen hülfe Recycling aus einer etwaigen Klemme dann nicht heraus. Denn für die Rückgewinnung von Gallium und Co. lasse sich nur auf geringste Mengen zurückgreifen, die überdies zumeist in komplexen Legierungen gebunden sind. Um sie daraus zu „befreien“, fehlt es an praxistauglicher Technologie. Im Labor erprobtes Recycling von High-Tech-Rohstoffen hätte einen extrem hohen energetischen Aufwand erfordert, so daß dieses Verfahren weder wirtschaftlich rentabel noch ökologisch sinnvoll sei.

Großräumige Auswirkungen des Unterwasserbergbaus

Zwar stehe die Forschung hier erst am Anfang. Aber selbst wenn die laufenden, vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekte zur Untersuchung von Recyclingpotentialen „strategischer Metalle“ alle Erwartungen erfüllten, werde dies nur wenig an dem Befund ändern, daß die „in den kommenden Jahrzehnten benötigten Rohstoffmengen nur zu einem kleinen Teil aus dem Recycling zur Verfügung gestellt werden“.

Um überhaupt die Lieferrisiken bei Metallrohstoffen zu minimieren, haben Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ihre Fühler seit geraumer Zeit in Richtung Tiefsee ausgestreckt (JF 7/15). In bis zu 5.000 Metern Wassertiefe ist im Pazifik und im Indischen Ozean ein breites, kräftige Anteile an Nickel, Kobalt und Kupfer, aber auch für Hochtechnologieprodukte unentbehrliche Spurenmetalle wie Tellur, Titan, Molybdän, Wolfram, Lithium und Seltene Erden umfassendes Spektrum von Metallen zu finden, das sich in Millionen von Jahren in Man­ganknollen, kobaltreichen Eisen-Mangan-Krusten und Massivsulfiden gebildet hat. Um den Abbau dieser marinen mineralischen Rohstoffe vorzubereiten, erkunden Geowissenschaftler der Bundesanstalt seit 2006 ein zwischen Hawaii und Mexiko erworbenes deutsches Lizenzgebiet.

Die Ergiebigkeit des Unterwasserbodens steht mittlerweile zwar außer Frage, aber die Fördertechnologie steckt noch in der Testphase. Dabei hapert es weniger an der Konstruktion von „Kollektoren“, raupenähnlichen Fahrzeugen, die die Manganknollen am Meeresboden einsammeln, reinigen, zerkleinern und auf eine Plattform an der Wasseroberfläche transportieren sollen. Die entscheidende, noch ungelöste technische Herausforderung ist vielmehr, wie der Abbau mit möglichst geringer Beeinträchtigung der Biodiversität des marinen Ökosystems zu bewerkstelligen ist.

Diese großräumigen Auswirkungen des Unterwasserbergbaus seien bisher nur „ansatzweise“ erforscht. Trotzdem geben sich die Hannoveraner betont optimistisch: Im östlichen Pazifik wie im zweiten, im südwestlichen Indischen Ozean gelegenen Lizenzgebiet biete sich der deutschen Industrie die Chance, „die Technologieführerschaft im Tiefseebergbau zu erlangen und internationale Maßstäbe bei der umweltverträglichen Gewinnung mariner Rohstoffe zu setzen“.

Bundesanstalt für Geowissenschaften:  www.bgr.bund.de

Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel:  www.geomar.de/

„Rohstoffversorgung Deutschlands“, Sonderheft der Geographischen Rundschau 9/16:  www.geographischerundschau.de

Statistiken zur Braunkohleförderung:  braunkohle.de