© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler


Mehrfach besuchte der Schriftsteller Martin Mosebach in Bogotá den kolumbianischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila, und wiederholt hat er über diese Besuche mit großer Sympathie berichtet. Gómez Dávila (1913–1994) bezeichnete sich selbst als „Reaktionär“. Er habe diesen Begriff gewählt, „weil er bei keiner Partei Prestige genießt“, zitiert Mosebach ihn. Vor allem aber wollte Gómez Dávila kein Konservativer sein. „Ein Reaktionär wird nur zu solchen Zeiten ein Konservativer, in denen es etwas zu bewahren gibt.“ Und: „Die Konservativen der Gegenwart sind nichts anderes als von der Demokratie mißhandelte Liberale.“ Nun gilt reaktionäres Denken heutzutage als schwer verpönt. Gemeinhin wird es mit rückschrittlich und fortschrittsfeindlich gleichgesetzt. Reaktionäre hielten am Überkommenen fest, seien Ewiggestrige. Nur wenige Intellektuelle nennen ihre Haltung noch selbst „reaktionär“ oder widersprechen zumindest einer solchen Fremdzuschreibung nicht. Günter Maschke gehört dazu, Botho Strauß ebenso, auch Martin Mosebach kann damit leben. Vor allem ihm (und dem Wiener Karolinger-Verlag) ist es zu danken, daß das verstreute Werk von Nicolás Gómez Dávila Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auch in Deutschland bekannt wurde. Seither bietet es einem „versprengten Häuflein von inspirierten Nichteinverstandenen“ (B. Strauß) eine wahre Fundgrube, in die hinabzusteigen und in ihren Verästelungen zu schürfen sich allein schon deswegen immer wieder lohnt, weil sich – neben vielem anderen – nachdenklich stimmende Trouvaillen zum Glutkern einer reaktionären Existenz zutage fördern lassen. Hier eine kleine Auswahl:


Die Reaktionäre bereiten den Dummköpfen das Vergnügen, sich als verwegene Denker der Avantgarde zu fühlen.


Reaktionär zu sein heißt, begriffen zu haben, daß man von einer Wahrheit nicht absehen kann, bloß weil sie keine Möglichkeiten hat zu triumphieren.


Die unvergleichliche Hellsichtigkeit des reaktionären Denkens ist nur mit seiner praktischen Unfruchtbarkeit vergleichbar.


Wer in der reaktionären Haltung konstruktive Kritik vermißt, vergißt die noble Funktion, die die klare Verkündigung unseres Widerwillens hat.


Einstweilen fällt uns nur die Aufgabe zu, zu verhindern, daß man die Graffiti löscht, die unsere Vorgänger an den Wänden dieses Kerkers hinterlassen haben.