© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Doktor Schiwago und die Doppel-Null-Agenten
Eine interessante Geheimdienststudie über das Ringen um Boris Pasternaks Revolutionsroman zwischen Ost und West im Kalten Krieg
Wolfgang Kaufmann

Der Begriff „Verschwörungstheorie“ wird heutzutage allzu gern auch als Killerphrase verwendet, um das kritische Nachdenken über die Machenschaften der Herrschenden ins Lächerliche zu ziehen. Die Idee hierzu stammte vom US-Geheimdienst CIA, der damit 1967 auf die massiven Zweifel am Wahrheitsgehalt des Warren-Reports bezüglich der Hintergründe der Ermordung von Präsident John F. Kennedy reagierte. Dabei steckte die CIA selbst hinter vielen größeren und kleineren Verschwörungen – dies zeigen nicht zuletzt die Vorgänge um die Veröffentlichung des Romans „Doktor Schiwago“ aus der Feder des Sowjetschriftstellers Boris Leonidowitsch Pasternak, welche jetzt durch das Autorenduo Peter Finn und Petra Couvée rekonstruiert wurden.

Pasternaks semiautobiographisches Buch, das zwischen 1945 und 1955 entstand, schildert das Leben des Arztes und Dichters Juri Schiwago vor und nach dem bolschewistischen Umsturz von 1917 – und zwar mit ungeschminkter Verachtung für die kommunistische Ideologie. Das führte dazu, daß sich die Verlage der Sowjetunion rundheraus weigerten, das Werk zu drucken. Es sei „minderwertig“ und „leblos“ sowie „im Geiste der Nichtakzeptanz der sozialistischen Revolution geschrieben“, lauteten die entsprechenden Begründungen.

CIA wollte Doktor Schiwago in Sowjetunion verbreiten

Daraufhin wagte Pasternak, der die Stalinzeit im Gegensatz zu etwa 1.500 anderen Schriftstellern der UdSSR unbeschadet an Leib und Leben überstehen konnte, einen Schritt, den seit 1929 kein Autor im „Mutterland des Sozialismus“ mehr riskiert hatte: Er nahm Kontakt zu einem Verlag im Westen auf, in diesem Falle dem des Mailänder Kommunisten Giangiacomo Feltrinelli. Selbiger wiederum war über die Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes von 1956 aufgebracht und deshalb nur zu gern bereit, die Kremlherrscher zu brüskieren. Daher publizierte er das Werk im November 1957 auf italienisch. Das wiederum erregte das Interesse der CIA, bei der es eine Abteilung für „Special Projects“ gab, die in Büchern Waffen gegen den Kommunismus sah. 

Deshalb brachten sich die Amerikaner mit Hilfe des britischen Geheimdienstes in den Besitz von Fotografien des Originalmanuskriptes von „Doktor Schiwago“. Dahinter stand die Absicht, den Roman als Werkzeug zur Destabilisierung des Sowjetsystems zu verwenden, denn er geißelte keineswegs bloß die Idee des Bolschewismus, sondern plädierte auch für das Recht jedes Menschen auf politische Passivität und ein Leben ohne ideologische Indoktrination.

Also versuchte die CIA, das Werk auf russisch herauszubringen und in der UdSSR zu verbreiten. Das geht aus 135 freigegebenen Akten des US-Geheimdienstes sowie diversen Aussagen von involvierten Zeitzeugen hervor, auf die sich Couvée und Finn (der übrigens für seine Kriegsberichterstattung aus dem Kosovo und Afghanistan zweimal für den Pulitzer-Preis nominiert worden war) stützen.

Allerdings ist es nicht nur hochinteressant zu lesen, wie die „Soviet Russia Division“ der CIA mit expliziter Genehmigung des „Operations Coordinating Board“ von Präsident Eisenhower in Kooperation mit dem niederländischen Nachrichtendienst BVD den Druck der russischen Urfassung von „Doktor Schiwago“ bei Mouton Publishers in Den Haag initiierte, wonach dann Vertreter des Vatikans die fertigen Bücher auf der Brüsseler Weltausstellung von 1958 an sowjetische Besucher verteilten. 

Vielmehr bewegen auch die Ausführungen, aus denen hervorgeht, mit welch bösartiger Energie Pasternak, nachdem er für seinen späten Erstlingsroman sofort den Literaturnobelpreis zuerkannt bekam, von der Regierung in Moskau und opportunistischen Schriftstellerkollegen in die soziale Isolation und den Herzinfarkt getrieben wurde. Erst bezeichnete ihn die Presse als „Judas“, dann erfolgte der Hinauswurf aus dem Schriftstellerverband, und schließlich verrissen unzählige bestellte Kritiker das Werk in aller Öffentlichkeit, wobei die Nörgler ganz unverblümt zugaben, keine einzige Zeile des Buches gelesen zu haben.

Hier stellen sich beim deutschen Leser automatisch Assoziationen ein, welche aus der Wahrnehmung der Zustände hierzulande herrühren. Immerhin ging es Pasternak, der dann sogar zutiefst eingeschüchtert auf die Entgegennahme des Nobelpreises verzichtete, gar nicht so viel anders als beispielsweise Thilo Sarrazin oder Akif Pirinçci – nur mit dem Unterschied, daß die Hetzjagd auf mißliebige Autoren heutzutage zum zutiefst demokratischen Procedere stilisiert wird, was die ganze Sache noch perfider macht als die hilflos-brachialen Abwehrreflexe des Kremls während des Kalten Krieges.

Peter Finn, Petra Couvée: Die Affäre Schiwago. Der Kreml, die CIA und der Kampf um ein verbotenes Buch. Theiss Verlag, Stuttgart 2016, gebunden, 384 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro