© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

EU verlangt den totalen Einblick
Die geplante Regulierung von Messengerdiensten hilft vor allem der „Internetpolizei“
Christian Schreiber

Der Kurzmitteilungsdienst WhatsApp ist nach wie vor die Lieblingsanwendung der Deutschen auf ihren Mobiltelefonen. Von 1.000 Teilnehmern einer Infratest-Umfrage bezeichneten 76 Prozent WhatsApp als die „App“, auf die sie keinesfalls verzichten könnten. Facebook, der Routenplaner Google Maps und das Videoportal Youtube landeten mit 23, 20 und zwölf Prozent mit weitem Abstand hinter dem Nachrichtendienst. Der Erfolg der kostenfreien Anwendung ging in den vergangenen Jahren zu Lasten der klassischen SMS und der Netzanbieter wie der Telekom. 

Unter dem Eindruck dieser Entwicklung sah sich nun die Europäische Union veranlaßt, sich mit den veränderten Realitäten auseinanderzusetzen. Das Internet habe die Mediennutzung verändert, dies müsse sich auch in den gesetzlichen Grundlagen widerspiegeln. Bislang haben die zumeist in den USA beheimateten Anbieter in einer rechtlichen Grauzone agiert. In einem in der vergangenen Woche vorgelegten Entwurf für Vorschriften für den Telekommunikationsbereich sollen WhatsApp und Co. den gleichen Regeln unterworfen sein wie klassische Telefonanbieter. 

Demnach sollen die Anbieter unter anderem verpflichtet werden, den Behörden Sicherheitslücken zu melden und Notfallpläne zu erstellen. Wer Nachrichten in solchen Anwendungen verschickt, soll künftig bessere Informationen über die Nutzungsbedingungen bekommen und muß mehr Möglichkeiten beim Anbieterwechsel erhalten. Zudem sollen Notrufnummern wie 112 auch über solche Programme erreichbar sein. Bisher bieten die IT-Firmen ihre Anwendungen in aller Regel kostenlos ein. In der Branche kursieren allerdings seit Monaten Gerüchte, Dienste wie WhatsApp oder die Videotelefonie-App Skype könnten in nicht allzu ferner Zukunft kostenpflichtig werden.

Die neue Telekommunikationsrichtlinie muß vom EU-Parlament und den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten noch verabschiedet werden, bevor sie Gesetz wird. Allerdings haben die Regierungen der Mitgliedstaaten bisher breite Zustimmung signalisiert. Die Gesetzesänderung ist jedoch auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß die EU massiv Druck auf Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter aufgebaut hat, um sogenannte Haßkommentare oder Terrorpropaganda besser verfolgen zu können. Bereits im Mai wurde zwischen der EU-Kommission und den Anbietern ein Verhaltenskodex verabschiedet, wonach sich die Unternehmen verpflichten, Nutzer dafür zu sensibilisieren, welche Art von Inhalten gemäß den Anwendungsleitlinien verboten sind.

Facebook will WhatsApp-Daten effizienter nutzen

Gerade der Mitteilungsdienst WhatsApp ist dabei in den Fokus gerückt. Anders als bei klassischen Kurzmitteilungen können sich Nutzer in größerer Anzahl in geschlossenen Gruppen versammeln. Rechtlich gab es bisher kaum eine Handhabe, dort gegen „Haßbotschaften“ vorzugehen. Vor dem Hintergrund, daß Facebook den Nachrichtendienst WhatsApp im Jahr 2014 aufgekauft hat und in den vergangenen Wochen verkündete, die Daten des Dienstes effizienter verwerten zu wollen, sehen sich die EU-Kommissare veranlaßt, einzugreifen.

Facebook hatte zuletzt mitgeteilt, trotz Verbots des Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar, künftig die Telefonnummern der WhatsApp-Nutzer für eigene Marketingzwecke zu verwenden. Für die sogenannte „Internetpolizei“, wie sie in Deutschland von Justizminister Heiko Maas gefordert wird, ist dies ein gefundenes Fressen, kann man Facebook-Profilen in vielen Fällen dann auch eine Telefonnummer zuordnen.

Neben den strengeren Nutzungsregeln für die Mitteilungsdienste sieht der Gesetzesentwurf auch neue Vorschriften zum Schutz der Urheberrechte vor. Die EU will Videoanbieter wie Youtube verpflichten, Inhalte darauf zu überprüfen, ob Urheberrechte verletzt werden. Dies werde das legale Online-Angebot vergrößern und rechtliche Grauzonen beseitigen. Anbieter könnten dann Vereinbarungen mit Rechte-Inhabern abschließen. Der europäische Verbraucherverband Beuc kritisierte die geplante Regelung, da die Vorlage auch Verbraucher betreffe, die etwa Familienvideos oder Urlaubsbilder online stellten, die Auszüge geschützter Inhalte enthielten. Heftig umstritten sind auch die Neuerungen, die den Suchbereich der Internetdienste betreffen. Verleger sollen künftig Rechte an geschützten Inhalten bekommen und diese auch geltend machen können.

In Spanien stellte Google seine News-Seite bereits ein. „Es besteht die Gefahr, daß Suchmaschinen journalistische Texte aus ihrer Suche komplett entfernen. Das Web würde ärmer“, warnt der Branchenverband Bitkom gegenüber dem Fachmagazin Chip. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger begrüßten dagegen  die Pläne: „Täglich entstehen Tausende aufwendig produzierte Artikel, die im Internet-Zeitalter aber in sekundenschnelle von Dritten ausschnittsweise oder komplett übernommen, verwertet und vermarktet werden können.“ Diesen Vorgängen hätten die Verlage bisher quasi schutzlos gegenübergestanden.