© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn

Ein Gespenst geht um in Eu-ropa, das Gespenst des Populismus. Neben mir im Café zwei Frauen, sich über die unheimlichen Anwandlungen ihrer Männer austauschend. Die eine, deren Partner Österreicher ist, wirkt sichtlich irritiert, seit ihr dieser zuletzt beschied: „Die FPÖ ist doch inzwischen ganz in Ordnung. Die ist überhaupt nicht so schlimm wie die AfD.“ Darauf die andere, ebenso erstaunt: Ja, ihrer sei auf einmal auch so „pragmatisch“. Als sie jüngst in Ungarn waren, habe der Verständnis geäußert für Orbáns Politik der Abschottung und das mit der speziellen Geschichte des Landes begründet. Sie verstehe jetzt gar nichts mehr.


Nichts ist wirklich mehr so, wie es scheint: Der Café-Genosse Künstler und Tanzlehrer, mit kahlgeschorenem Schädel, muskulöser Gestalt und einem martialischen T-Shirt-Motiv, schüttelt noch immer den Kopf, daß ihn die Leute im Wahllokal wohl für einen Rechten gehalten hätten, dabei habe er doch „wie immer grün gewählt“, und ergänzt, da ich nun meinerseits fassungslos den Kopf schüttele: „Ich kann leider nicht anders.“ Wie anders dagegen mein legerer Auftritt, mit dem ich wohl im „alternativen“ Milieu verortet werde – und tatsächlich trifft es das.


Samstagmorgen, denke kurz an Merkels jüngstes Eingeständnis, genauer: an Cher und ihren ebenso enervierenden Song „If I Could Turn Back Time“ von 1989. An der Ampel ein Mädchen, um das Handgelenk ein schon etwas älteres Festival-Bändchen. Darauf das Motto: „Refugees welcome“ – augenscheinlich nimmt die Party kein Ende. Wenige Meter weiter eine häßliche Deutsche im Trainingsanzug, die fraglos in das Bild des Mobs vor einem brennenden Asylantenheim passen würde, und die sich beim Sohn des türkischen Obst- und Gemüseladens anbiedert. Auf dessen unsichere Begrüßungsformel, wie es gehe, platzt es aus der dahindackelnden Frau heraus: „Ärgern muß man sich nur über die Deutschen, das sind alles Schweine.“


Um die Ecke, nahe dem von der Jungle World promoteten Wohnprojekt „ausland“, zwei Frauen. Die jüngere erklärt sich gegenüber der älteren, offenbar Mutter oder Tante, in aggressivem Tonfall: „Weil ich keinen Bock auf diesen Kackstaat habe.“ Die Angesprochene lacht kurz, halb gequält auf. Auf dem Rückweg kommt mir ein Typ entgegen, auf seinem T-Shirt prangt das Motto „Wir sind hier alle illegal“. Ich denk bei mir: „Wir schaffen das – Asylrecht ab.“ Andere tragen ein Kopftuch und benutzen die Sackkarre, ach: „Laß mich kein Pirat sein!“