© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Der EU nicht alles erlauben
Ungarn: Mit dem Referendum über die Flüchtlingsquote setzt die Orbán-Regierung nicht nur Brüssel unter Druck
Curd-Torsten Weick

Die große Frage ist nicht, ob die Ungarn die EU-Flüchtlingsquote ablehnen oder ihr zustimmend gegenüberstehen. Hier sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Um die 40 Prozent wollen Umfragen zufolge dagegen stimmen, lediglich vier bis fünf Prozent wollen dafür votieren, während der Rest noch unentschlossen ist. Die Kernfrage ist, ob am 2. Oktober mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten zum Volksentscheid an die Wahlurnen gehen und diesem dadurch erst Gültigkeit verschaffen. Denn dies ist, seitdem die Regierung das Referendum im Juli lanciert hatte, mehr als ungewiß. Die prognostizierte Wahlbeteiligung schwankt seit Wochen um die magische  Prozentgrenze. Mal mehr. Mal weniger. Es ist eine hauchdünne Angelegenheit, wenn es um die Frage geht: „Wollen Sie, daß die Europäische Union auch ohne die Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nichtungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?“

Werbekampagne kostete um die 50 Millionen Euro  

Entsprechend breit angelegt war die Werbekampagne. Knapp 50 Millionen Euro investierte die Orbán-Regierung, um sich ihre Politik über Plakate, mit Zeitungsinseraten sowie mit Online-, TV- und Rundfunkanzeigen bestätigen zu lassen. „Wußten Sie, daß der Terrorüberfall von Paris von Immigranten verübt wurde?“ hieß es da. Auch wurde darauf verwiesen, daß seit Beginn der Flüchtlingskrise 1,5 Millionen illegale Einwanderer nach Europa gekommen seien, über 300 Menschen bei Terrorangriffen in der EU getötet sowie die Anzahl der sexuellen Angriffe auf Frauen dramatisch gestiegen seien. Kurz vor dem Wahlgang verkürzen sich die Botschaften: „Stimmen sie mit Nein.“

Obwohl das Referendum politisch und juristisch nicht bindend ist, zieht die Regierung alle Register. Es gehe nun darum, eine falsche Politik, einen fehlerhaften und erzwungenen Plan von Brüssel, der die Europäer mehr entfremdet habe als alle anderen derzeitigen Probleme, zu korrigieren, unterstrich Regierungssprecher Zoltán Kovács und betonte: „Möchten wir den EU-Institutionen erlauben, Kompetenzen an sich zu reißen, die ihnen nicht zustehen?“ 

Dennoch, so der Sprecher von Ministerpräsident Viktor Orbán, stelle das Referendum nicht Ungarns EU-Mitgliedschaft in Frage. Im Gegenteil stehe die Regierung „voll und ganz zur EU und ihren Werten“. Anderslautende Gerüchte, die von linken Parteien in Umlauf gebracht würden, seien unbegründet. Das Ergebnis des Referendums könne jedoch nicht außer acht gelassen werden, es werde politische und rechtliche Konsequenzen haben. Welche? Eine Verfassungsänderung, Neuwahlen? „Alles zu seiner Zeit“, läßt Orbán verlauten.