© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Strauchelnde Hoffnungsträgerin
Italien: Statt den Augiasstall Rom auszumisten, tritt Bürgermeisterin Raggi von einem Fettnapf zum nächsten
Marco F. Hermann

Es scheint Ewigkeiten her, daß Virginia Raggi als Bürgermeisterin vereidigt wurde. Die 38jährige Juristin, die als Hoffnungsträgerin eines „sauberen“ und „transparenten“ Roms angetreten war, steht seit Tagen im Kreuzfeuer. Bei der Wahl hatten 67 Prozent der Römer für sie gestimmt. Der Wunsch: Raggi sollte als unabhängiges, frisches Gesicht den Augiasstall von Korruption und Vetternwirtschaft ausmisten. Die neue Bürgermeisterin versprach Investitionen in die maroden Schulen, pünktliche Busse und die Beseitigung des Müllproblems.

Renzis Verfassungsreform erhitzt die Gemüter  

Nach zwei Monaten haben Raggi und ihre Parteikollegen von der 5-Sterne-Bewegung bereits jeden Kredit verspielt. Die Medien, die Raggi schon vor der Wahl kritisch begleiteten, nehmen sie täglich in die Zange. Bereits die Kabinettsbildung zog sich hin; innerparteiliche Streitereien riefen sogar Parteichef Beppe Grillo auf den Plan, der nach Rom reiste, um ein Machtwort zu sprechen. Spekulationen, wonach die Bürgermeisterin nur eine Marionette des ehemaligen Komikers sei, wurden abermals laut – begleitet vom Vorwurf inkompetenter Amtsführung. 

Raggi hatte bei Amtsantritt mehrere Beamte übernommen. In den eigenen Reihen bezichtigte man sie deshalb, alte Netzwerke fortzuführen, statt diese zu beseitigen. Die eingesetzten Funktionäre kapitulierten wiederum nach kurzer Zeit und traten zurück. Für die Bürgermeisterin deswegen ein Schlag ins Gesicht, da gerade diese Postenträger die städtischen Müll- und Transportbetriebe leiten sollten. Es kam noch schlimmer: Raggi beauftragte Paola Muraro damit, die Müllverwaltung zu übernehmen. Der Skandal war komplett, als sich herausstellte, daß Muraro jahrelang für die Abfallgesellschaft Ama gearbeitet hatte – jener Betrieb, der Roms Müllchaos erst verursachte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit April gegen Muraro, Raggi will nichts gewußt haben.

Entsprechend liegen die Nerven blank. Auf Facebook beschwert sie sich über Reporter, die ihr Haus belauern: „Euer ganzes Leben wartet ihr darauf, daß jemand stolpert?“ Die Journalistenschelte treibt die Medienwelt erst richtig an. Repubblica titelte vom „Römischen Chaos“.

Die Inkompetenz der neuen Regierung ist kaum zu leugnen, die Absage der Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024 werten viele Kritiker als Beleg dafür. Dennoch erscheint die Anti-Raggi-Kampagne nach weniger als 100 Tagen sonderbar. Daß die Netzwerker und Profiteure des römischen Sumpfes die „Grillina“ nicht dulden, war bereits vor der Wahl ebensowenig ein Geheimnis wie die Unbedarftheit der 5-Sterne-Mannschaft. Der rauhe Ton ist Symptom der aufgeladenen Stimmung, die sich gegen die Partei von Grillo entlädt. Letztere liegt in den Umfragen nur noch wenige Prozentpunkte hinter dem Partito Democratico von Premier Matteo Renzi.

Nicht nur die angespannte Wirtschaftslage und die Migrationskrise machen Renzi zu schaffen. Der Parteichef des sozialistischen PD hatte Anfang des Jahres ein Referendum für eine Verfassungsreform veranschlagt. Es geht dabei vor allem darum, der zweiten Kammer, dem Senat, die Gesetzgebungskompetenz zu nehmen. Renzi erhofft sich von dieser Reform ein einfacheres „Durchregieren“ und hat deshalb den Ausgang des Referendums mit seinem politischen Schicksal verknüpft. Damit ist die Abstimmung zum Plebiszit verkommen, bei dem die 5-Sterne-Bewegung zum Sturz des Premiers aufgerufen hat. Seit Tagen liegt das „No“-Lager vorne. Der Fall Cameron droht sich zu wiederholen: Sollte Renzi das Referendum verlieren, könnte dies den Sturz der Regierung und Neuwahlen für 2017 bedeuten. Dann würde das römische Chaos zum italienischen.