© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Im Zweifel gegen die drei
NSU-Untersuchungsausschuß: Der Vorsitzende Clemens Binninger hat die Zahl der Mittäter hinterfragt / Droht der Prozeß zu platzen?
Peter Möller

Eigentlich läuft im NSU-Prozeß für die Bundesanwaltschaft alles nach Plan. Ihre mehr als 400 Seiten starke Anklageschrift, die die beiden 2011 ums Leben gekommenen mutmaßlichen Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie die in München vor Gericht stehende Hauptangeklagte Beate Zschäpe für die zehn dem NSU zugerechneten Morde verantwortlich macht, ist in den bisher mehr als 300 Verhandlungstagen nicht grundlegend erschüttert worden. Zudem hat Zschäpe den von den Ermittlern rekonstruierten Verlauf der Mordserie mit ihren Aussagen zum größten Teil bestätigt. Beobachter sehen den Fall daher weitgehend aufgeklärt und halten eine Verurteilung Zschäpes für so gut wie sicher.

„Da muß man sich sehr anstrengen“

Doch sind wirklich alle Fragen geklärt? In den vergangenen Tagen sind erneut Zweifel an der Version der Bundesanwaltschaft laut geworden, die die Aufklärung des Falles bereits von Beginn an wie ein Grundrauschen begleiten. Dabei geht es um die Frage, ob der NSU tatsächlich nur aus drei Mitgliedern bestand. Haben wirklich allein Mundlos und Böhnhardt die Morde sowie die ihnen zur Last gelegten zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle begangen – oder hatten sie bislang unerkannt gebliebene Mittäter?

Ausgerechnet der Vorsitzende des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, Clemens Binninger (CDU), hatte Anfang September mit einem Zeitungsinterview die Zweifel an der Drei-Täter-Theorie erneut befeuert. „Wenn ich die Fakten und Indizien aus Akten und Vernehmungen betrachte, bin ich zutiefst davon überzeugt, daß der NSU nicht nur aus drei Leuten bestand und daß es neben den Helfern und Unterstützern, die angeklagt sind, weil sie Wohnungen, Handys, Waffen beschafft haben, auch Mittäter gab“, sagte Binninger der Frankfurter Rundschau. Seiner Ansicht nach gebe es eine Reihe von Indizien, die darauf hindeuten, daß Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Mittäter oder zumindest Unterstützung bei der Auskundschaftung von möglichen Opfern und Tatorten hatten. Binninger fürchtet, die Ermittler könnten sich zu früh auf drei Täter festgelegt haben. Mit möglicherweise fatalen Folgen für die Aufklärung des NSU-Komplexes.

Das Wort des CDU-Politikers hat Gewicht. Er gehörte bereits dem ersten NSU-Ausschuß des Bundestages an und machte sich dort einen Namen als besonnener, aber hartnäckiger Aufklärer. Der ehemalige Polizist steht zudem nicht in dem Verdacht, leichtfertig die Ermittlungsarbeit seiner früheren Kollegen in Zweifel zu ziehen. Und er ist mit seinen Bedenken nicht allein, sondern bekommt von anderen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses Unterstützung. Und auch aus den Reihen der Nebenklage im Münchner NSU-Prozeß gab es in der Vergangenheit immer wieder Anträge, die zum Ziel hatten, die offizielle Drei-Täter-Version zu erschüttern. Die Vermutung der Nebenkläger: Hinter den NSU-Morden steht ein größeres rechtsextremistisches Netzwerk. Dazu paßt, daß die Behörden bei ihren Ermittlungen zum NSU-Umfeld eine Liste mit mehr als hundert Namen zusammengetragen haben – unter ihnen einschlägige Rechtsextremisten, die durchaus als Mittäter oder Unterstützer des NSU in Betracht kommen.

Ein Detail stimmt Binninger und seine Mitstreiter besonders nachdenklich: Auf keiner der Tatwaffen gibt es Fingerabdrücke von Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe. Und auch an keinem der 27 Tatorte des NSU fanden die Ermittler DNS oder Fingerabdrücke eines der Beschuldigten. Ein Umstand, den Anfang September sogar ein DNS-Experte des Bundeskriminalamtes (BKA), der sich als „alten Hasen“ bezeichnete, bei seiner Befragung im Untersuchungsausschuß als „super ungewöhnlich“ bezeichnete. Es sei auch bei einer sehr guten Vorbereitung der Taten „schon nicht einfach“, einen Tatort DNS-frei zu halten oder wieder zu machen: „Da muß man sich sehr anstrengen“, sagte der BKA-Beamte. Auch die Befragung einer weiteren BKA-Expertin durch den Untersuchungsausschuß in der vergangenen Woche brachte keine weiteren Erkenntnisse in dieser Frage. 

Weiterhin unklar ist zudem, zu welchen Personen die 43 DNS-Spuren gehören, die von den Ermittlern an den NSU-Tatorten gesichert wurden. Nicht nur bei Binninger stößt in diesem Zusammenhang auf Unverständnis, daß von den einhundert Personen aus dem NSU-Umfeld, die auf der Liste der Ermittler stehen, bislang lediglich 19 eine DNS-Probe abgeliefert haben. „Es ist klar: Nur Beschuldigte können gezwungen werden, eine DNA-Probe abzugeben. Aber man muß die restlichen Personen doch wenigstens fragen, ob sie es freiwillig tun“, sagte Binninger der Frankfurter Rundschau.

 Für den Münchner NSU-Prozeß ist die wieder aufgebrochene Diskussion über die Drei-Täter-Theorie gefährlich. Sollten sich doch noch belastbare Indizien dafür finden, daß Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nicht allein gehandelt haben, könnte das Verfahren kurz vor dem Ziel doch noch platzen. Die juristische Aufarbeitung der Mordserie stünde dann wieder ganz am Anfang.