© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Das Gewissen als Instanz
Politdrama: Oliver Stone erzählt die Geschichte von Snowdens Enthüllung
Wolfgang Paul

In Oliver Stones neuem Film heißt es einmal, man könne Politiker kritisieren und trotzdem ein Patriot sein. Das klingt wie ein Motto, das über vielen Filmen des amerikanischen Regisseurs stehen könnte. Und es kann auch für Edward Snowden gelten, dessen Weg zum Whistleblower Stone in dem Dokudrama „Snowden“ nachgezeichnet hat.

Beide passen vortrefflich zueinander. Ja, man könnte glauben, Snowden habe schon bei seinen Aktionen gedacht: Oliver Stone wird daraus einen Spielfilm machen. Das wäre doch ideales Material für ihn.

Dennoch ist der Entschluß zu diesem Film in Stone erst später gereift, glaubt man seiner heutigen Aussage, er habe sich heraushalten wollen, „als die Snowden-Story explodierte“. Aber wenn es ums Aufdecken von Intrigen und politischen Fehlentwicklungen geht, kann er eben nicht anders. Der vor siebzig Jahren in New York Geborene ist immer vorne mit dabei. In Spielfilmen wie „JFK“ (1991) oder „Nixon“ (1995) und seiner heftigen TV-Doku „Oliver Stone – Die Geschichte Amerikas“, die kürzlich im Fernsehen gezeigt wurde, bürstet er die US-Historie gegen den Strich und berichtet von den verschwiegenen und beschönigten Teilen, von Heuchelei und Lügen der Politiker.

Dabei gehörte er in jungen Jahren zu den regierungsgläubigen, konservativen Republikanern. Er hat dies im Vietnamkrieg unter Beweis gestellt, seine schockierenden Erfahrungen später in Filmen wie „Geboren am 4. Juli“ und „Platoon“ verarbeitet. Er habe viel länger als Snowden dazu gebraucht, ein politisches Gewissen zu entwickeln, sagt er heute.

Doch die Parallelen sind unübersehbar: Snowden meldete sich zum Militärdienst bei den „Special Forces“, um im Irak-Krieg zu kämpfen. Als er dort mit schwerem Beinbruch dienstunfähig und ausgemustert wurde, ging er zum Geheimdienst, um seinem Land zu dienen. Mittlerweile können beide als Gefolgsleute von Henry David Thoreau und dessen Schrift „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ gelten. Sie stehen in einer amerikanischen Tradition, in der das Gewissen die entscheidende bürgerliche Instanz ist. Der vorläufig letzte Prominente in dieser Linie ist eben Edward Joseph Snowden.

Im Film wird er verblüffend ähnlich von Joseph Gordon-Levitt dargestellt. Die Rahmenhandlung zeigt ihn, wie er im Juni 2013 seine Aussagen in einem Hongkonger Hotelzimmer macht und wie er dabei von Laura Poitras (Melissa Leo) für deren Dokumentarfilm „Citizenfour“ aufgenommen und von dem Guardian-Journalisten Glenn Greenwald (Zachary Quinto) und Ewan Mac-Askill (Tom Wilkinson) befragt wird.

Seine Geschichte von der Entdeckung des größten Überwachungsprogramms aller Zeiten wird in Rückblenden erzählt. Allen voran beeindruckt Rhys Ifans als Snowdens diabolischer Vorgesetzter Corbin O’Brian. Die aparte Shailene Woodley gibt Snowdens Freundin Lindsay Mills. Sie hilft ihm mit ihrem eigenen Kopf, beschert ihm dann aber mit ihren Ansprüchen zusätzliche Probleme, um schließlich in ihm den Beschützer zu mobilisieren. Es sind die persönlichen Erfahrungen, mit denen Stone und sein Co-Autor Kieran Fitzgerald ihrer Hauptfigur Tiefe verleihen.

Denn die langjährige Beziehung zu Lindsay Mills war für die Drehbuchverfasser der Schlüssel, um den introvertierten NSA-Experten verstehen zu können. Um es mit Stones Worten zu sagen: „Snowden war klar, daß er ein Verbrechen begeht, um ein viel größeres Verbrechen offenzulegen.“ Und es geht nicht nur um die Frage, warum er an die Öffentlichkeit gegangen ist, sondern auch um die Frage, warum gerade er die Person war, die an die Öffentlichkeit gegangen ist. Im Film scheint seine Freundin zumindest mitverantwortlich für Snowdens Enthüllungen zu sein.

Ein Roman von Snowdens russischem Anwalt Anatoli Kutscherena, das Sachbuch „The Snowden Files“ von Luke Harding und Laura Poitras’ erwähnte, oscarprämierte Dokumentation „Citizenfour“, dazu Gespräche mit Snowden und anderen Whistleblowern sowie technischen Experten bildeten die Grundlage für die Schilderung der Vorgänge in der NSA. Es sollte in dieser Beziehung ein absolut authentischer Film werden, ebenso wie Snowdens Tat ein Werk der Aufklärung.

Obwohl die zeitgeschichtliche Begebenheit allgemein bekannt ist, gelingt es dem Regisseur Stone, immer wieder Spannungsmomente zu setzen. Etwa, wenn die Verschwörergemeinschaft in Hongkong befürchtet, es könnten jeden Moment US-Agenten ins Hotelzimmer eindringen, oder wenn Snowden den Chip aus dem Geheimdienstgebäude schmuggelt, was in jeder Hinsicht der Höhepunkt des Filmes ist. Als Meister des Genre-Kinos kann er auch abstrakte Dinge in kinogerechte Formen packen. In „Wall Street“ (1987) waren es die Börsenkurse, in „Snowden“ sind es die Bildschirmdarstellungen von Rechnerprozessen. Ob diese allerdings realistisch sind, können letzlich nur IT-Experten beurteilen.

Daß kein Hollywood-Studio diesen Film produzieren wollte und viele Schauplätze in Deutschland nachempfunden wurden, hat den Film vor jeder Form der Selbstzensur bewahrt. Denn brisant ist der Fall Snowden bis heute. In Moskau wartet er auf ein gutes Ende.