© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Hallo
Internet: Die Kommunikation im Netz stiftet Mißverständnisse
Richard Stoltz

Alles halb so schlimm!“ beruhigt der bekannte „Netz-Soziologe“ Antonio Casilli seine besorgten Leser im Pariser Medienmagazin Rue89. Das Internet werde zwar tatsächlich immer ungenierter vom Silicon Valley und anderen gewinngeilen Investoren ausgenutzt und deformiert, doch seine wirklich mächtigen Kräfte seien ja die „Phaten“, und diese seien nicht so leicht wegzutreiben. Ruhe bewahren bleibe also erste Bürgerpflicht. 

Wer aber, um Himmels willen, sind diese „Phaten“? Mit den herkömmlichen Paten (ohne h) haben sie nichts zu tun, ihr Name leitet sich von dem Adjektiv „phatisch“ ab, was soviel wie „kontaktknüpfend“ bedeutet. Zitat Casilli: „Die Kommunikation im Internet reproduziert jene sprachlichen Elemente, die wir ‘phatisch’ nennen, all die Wörter wie ‘Hallo’, die keine andere Information transportieren, als Anwesenheit zu signalisieren und die Bereitschaft zu sprechen.“ Im Internet wimmele es von solchen phatischen Diskursteilnehmern.

Das Internet, so folgert Casilli begeistert, ist weniger ein Ort der aggressiven als vielmehr der mehrdeutigen, „komplexen“ Kommunikation, welche Mißverständnisse schaffe und wo noch nicht alles „einen Code“ habe. Und das müsse auf jeden Fall so bleiben, um unserer aller Freiheit willen. Hoch leben die Internet-Phaten!

Nur, so fragt sich der Netz-Soziologe am Ende seines Interviews bange, „wer kümmert sich um die Altersversorgung dieser Menschen? Um ihre Sozialversicherung?“ Der Leser ist drauf und dran, in Tränen auszubrechen über die ungewisse Altersversorgung der Phaten – bis ihm einfällt: Mein Gott, man brauchte sie ja lediglich von ihrer „Phatie“ zu heilen, so daß sie keine Mißverständnisse mehr stiften und keine vernünftigen Codes mehr verhindern!

Wo kämen wir denn hin, wenn künftig die Devise gelten soll „Je dümmer wir sind, um so besser für die digitale Kommunikation“? Produktive Komplexität ist nie und nimmer identisch mit phatischem Chaos. Wer das leugnet, gehört in die psychopathische Behandlung.