© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Die Magie ist verschwunden
Apple: Steve Jobs schuf einen der gewinnträchtigsten Konzerne / Unter Tim Cook ein sterbender Schwan?
Peter Schönfeld

Tim Cook wettert gegen die EU. 13 Milliarden Euro Steuern soll Apple nachzahlen. „It’s total political crap“, empörte sich der Vorstands­chef im liberal-konservativen Dubliner Blatt Irish Independent. Das klingt zwar etwas gewählter, als die Clinton-Vertraute und US-Diplomatin Victoria Nuland ihren Frust ausdrückt („Fuck the EU“), aber dennoch deutlich. Cook hat zudem auch die Rückendeckung von den 185 US-Konzernchefs der Unternehmerlobby Business Roundtable (BRT), die in einem Brief an die 28 EU-Staats- und Regierungschefs verlangen, diese EU-Entscheidung rückgängig zu machen.

Auch das Washingtoner Finanzministerium kritisierte die Steuernachforderung – allerdings mit dem Hintergedanken, daß bei einer Zahlung in der EU Apple in den USA entsprechend steuerfrei bliebe. Starbucks oder Fiat Chrysler (FCA) drohen ebenfalls EU-Steuernachzahlungen, Microsoft und Intel müssen wegen Wettbewerbsverstößen Milliarden zahlen. VW, die Deutsche Bank oder das französische Geldinstitut BNP Paribas müssen in den USA Strafmilliarden zahlen. Aber ganz gleich, wie hoch letztlich die Rechnung ausfällt: Am Ende sind der Kunde und vielleicht der jeweilige Aktionär die Dummen. Denn Steuern sind faktisch Kosten – und die iPhone-7-Nachfolger werden eben ein paar Euro teurer. Aber Apple-Geräte sind ja im Hochpreissegment angelegt.

Der transatlantische Strafzahlungs- und Steuerstreit dürfte Cook nicht ungelegen kommen, denn Apple hat einige Problemfelder, die er anders nicht mehr kaschieren kann. Daß die Apple-Aktie vorige Woche um zehn Prozent zulegte, wiederspricht diesem Befund nicht, denn Erzkonkurrent Samsung erlebt mit seinem brandgefährlichen Galaxy Note 7 gerade ein Milliardendesaster. Bereits 2013 war absehbar, daß es Apple nach dem Tod von Gründer Steve Jobs auf dem umkämpften Smartphone-Markt schwerer haben würde. Zu abhängig war man in Cupertino von Jobs’ Persönlichkeit als Macher und Verkäufer. Als dieser vor neun Jahren das iPhone in die Welt setzte, begann ein furioser Technologiewettlauf voller Lizenzstreitigkeiten und Gerichtsprozesse. Doch seitdem hat nicht nur Samsung eigenes Profil aufgebaut. Googles Android-Betriebssystem läuft weltweit auf 85 Prozent der Smartphones, die Geräte wurden immer leistungsfähiger und überholten das iPhone in vielerlei Hinsicht.

Das iPhone war 2015 für 66 Prozent des Apple-Umsatzes verantwortlich, gefolgt von der Mac-Sparte mit elf und dem iPad mit zehn Prozent. Nord- und Südamerika ist mit einem Anteil von 40 Prozent die wichtigste Umsatzregion. Zwischen Januar und März 2016 konnte Apple seinen Umsatz um 1,7 Prozent erhöhen. Der Gewinn kletterte parallel um 1,9 Prozent. Dienstleistungen waren dabei der viel stärkere Antreiber als die Hardware-Abteilung. Bei einem Kurs von 105 Dollar weist die Aktie ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 10,3 auf.

Viel Investorenphantasie gepaart mit Jobs-Nostalgie

Das bedeutet, daß ein Aktienkauf in etwas mehr als zehn Jahren wieder eingespielt wäre – wenn sich die Gewinne in gleichem Maße wie zuletzt entwickeln. Das niedrige KGV kann aber auch ein Zeichen dafür sein, daß der Markt zukünftige Gewinneinbußen für Apple vorwegnimmt. Das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) steht bei sehr guten 7,8. Die Investoren-Legende Benjamin Graham sah Aktien erst ab einem KCV von 15 als überbewertet an. Auch das Verhältnis von Kurs und Buchwert (KBV) ist mit 4,4 beachtenswert: Jeder Dollar, der als Sachwert in den Büchern des Unternehmens steht, kostet an der Börse 4,40 Dollar. Das ist mehr als bei vielen anderen Technologiefirmen.

Die Eigenkapitalquote Apples sank zwar in den vergangenen vier Jahren um fast 25 Prozentpunkte, ist mit zuletzt 41,1 Prozent ausgesprochen hoch. Apple ist relativ unabhängig von Banken und anderen Geldgebern, durch Zinszahlungen nicht allzusehr belastet und wäre auch in einer Flaute handlungsfähig.

Letzteres scheint nicht unwahrscheinlich. Es ist absehbar, daß sich das Wachstum bei Umsatz und Gewinn in den kommenden Jahren abschwächen wird: Apple hat zwar noch viel Cash und gute Zahlen, aber derzeit keine überzeugenden Ideen. Das neue MacBook, die Apple-Watch und auch die neue Version des Apple-TV sind allesamt keine Renner. Selbst das iPhone 6 enttäuschte die großspurigen Erwartungen. Die Umsatzzahlen sind nur noch beim Musik-Streaming-Dienst befriedigend. Während hier allerdings Marktführer Spotify neun Millionen zahlende Kunden vorweisen kann, hinkt Apple mit vier Millionen noch recht weit hinterher.

Das Projekt „Titan“ ist wie andere selbstfahrende Autos vor allem ein Medienhype. Der iCar-Starttermin ist unsicher, renommierte Manager wie der von Daimler abgeworbene Johann Jungwirth haben Apple schnell wieder verlassen. Zudem sollen laut Insidern bereits einige Dutzend Titan-Mitarbeiter entlassen worden sein. Auch das neue iPhone 7 wurde von der Fachpresse nicht mehr ganz so euphorisch aufgenommen wie seine Vorgänger. Die einzige „Sensation“: Apple läßt die Kopfhörerbuchse weg. Die anderen Innovationen und noch viel mehr gibt es bei Sony, LG, Huawei oder HTC für weniger Geld.

Wenn weiterhin gute Ideen ausbleiben, wird die Abhängigkeit Apples vom iPhone ganz schnell zu seiner Achillesferse. Apple lebt von viel Phantasie und vor allem Nostalgie bezüglich der guten alten Zeiten unter Steve Jobs. Und daß Tim Cook nun Scheingefechte auf dem politischen Feld austrägt, ist kein gutes Zeichen. Der Markt nimmt wenig Rücksicht auf frühere Quasi-Monopolisten.