© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Im Fadenkreuz der Dschihadisten
Islamischer Terrorismus: Sicherheitsbehörden warnen vor gestiegener Zahl von Gefährdern / Ärger über unentdeckte Paßfälschungen
Christian Schreiber

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben offenbar Anlaß zur Annahme, daß die Gefahr islamistischer Terrorzellen in der Bundesrepublik Deutschland stetig wächst. „Verschiedene Tätergruppen wie Schläferzellen, Rückkehrer und als Flüchtlinge eingeschleuste Dschihadisten agieren zusammen“, erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber der Rheinischen Post: „In Europa treten verstärkt auch Einzeltäter auf, die Anschläge mit einfachen Tatmitteln begingen.“ Seit einiger Zeit sei außerdem zu beobachten, daß es bei Einzeltätern eine Steuerung durch den IS gebe.  

Bundesinnenminister Thomas de Maizière warnte fast zeitgleich ebenfalls vor einer „hohen Zahl islamistischer Gefährder“ in Deutschland. „Ihre Zahl ist mit über 520 Personen so hoch wie nie zuvor“, sagte der CDU-Politiker der Bild-Zeitung: „Gefährder sind Personen, bei denen bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden“, sagte der Minister. 

„Der Verfassungsschutz       ist auf der Hut“

„Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es natürlich nicht. Aber wir sind schon gut vorbereitet.“ Der Innenminister verwies auf den Fall der vergangene Woche verhafteten Aktivisten der Terrororganisation Islamischer Staat (JF 38/16). Die Ermittlungsbehörden hätten „in außerordentlicher Weise über Monate“ hervorragende polizeiliche und nachrichtendienstliche Arbeit geleistet. Die Verdächtigen wurden zeitweise sogar rund um die Uhr überwacht. Die Festgenommenen waren im vergangenen Jahr im Zuge der Flüchtlingskrise über die Türkei und Griechenland nach Deutschland eingewandert. Sie seien ordnungsgemäß registriert und quasi seit der Einreise beobachtet worden. 

Baden-Württembergs Innenministers Thomas Strobl (CDU) antwortete auf eine parlamentarische Anfrage des AfD-Abgeordneten Lars-Patrick Berg, daß die Sicherheitsbehörden im Zuge der Flüchtlingsbewegung „aus verschiedenen Quellen Hinweise auf Personen erhalten, die terroristischen Gruppierungen wie etwa dem sogenannten Islamischen Staat (IS) zugehörig sein sollen.“ In solchen Fällen träfen die Sicherheitsbehörden jeweils anlaßbezogene Maßnahmen zu deren Identifizierung. Berg kritisierte jedoch den Kenntnisstand der Landesregierung über islamistische Anwerbeversuche als „mau“. 2015 habe man 29 und 2016 bislang 13 islamistische Kontaktaufnahmen gegenüber Asylbewerbern gezählt. Berg vermutet aber eine höhere Dunkelziffer.

Ermittler sprechen in diesem Zusammenhang von einem neuen Phänomen und gehen mittlerweile davon aus, „daß mutmaßliche IS-Instrukteure im Netz unterwegs sind und nach Kandidaten suchen, die als potentielle Terroristen in Frage kommen.“ Gegen diese Vorgehensweise gibt es bisher keine konkrete Handhabe, wie Landesminister Strobl auf die AfD-Anfrage einräumen mußte. Aussagen zu mutmaßlichen Radikalisierungsprozessen einzelner Personen ließen sich nicht treffen. 

Für die Innenpolitiker ist dies ein echtes Problem. In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise mehr als 3.300 Islamisten, rund 140 von ihnen werden als gewaltbereit eingestuft. In Thüringen mußte der dortige Verfassungsschutz-Chef Stefan Kramer einräumen, daß Spuren des IS auch in sein Land führen. Kramer sagte dem Mitteldeutschen Rundfunk, die Zahl der Gefährder bewege sich im einstelligen Bereich. „Das ist für ein so kleines Land wie Thüringen dennoch ein beachtliches Gefahrenpotential.“ Aktive Islamisten gebe es 140, gewaltbereite Salafisten etwa 70. „Der Verfassungsschutz ist auf der Hut“, so Kramer. Zugleich sei die Behörde aber ziemlich beansprucht mit der Überwachung solcher Fälle. 

Auch in Niedersachsen mußte Innenminister Boris Pistorius (SPD) einräumen, daß die Zahl der Terrorverdächtigen sowie der salafistischen Anwerbeversuche zunehme. Seit Jahresbeginn würden in Niedersachsen mehr als 30 Strafverfahren wegen Terrorverdachts geführt, sagte Pistorius. „In den Jahren 2008 bis 2012 waren dagegen insgesamt fünf Strafverfahren wegen Terrorismus anhängig.“ Im Laufe dieser Legislaturperiode seien es bislang insgesamt 80 gewesen. „Das beobachten wir natürlich mit Sorge.“ Die Radikalisierungsbemühungen würden nicht nur durch das Internet erfolgen, auch organisierte Verteilaktionen des Korans seien ein Problem. „Hier wollen wir den Kommunen empfehlen, solche Verteilaktionen zukünftig zu verbieten“, sagte Pistorius. „Einen entsprechenden Erlaß lasse ich zur Zeit prüfen.“ Generell stoßen die Behörden aber auch an Grenzen. „In Köpfe kann niemand reinsehen“, sagte de Maizière, der auf die Frage, wie hoch die generelle Gefährdungslage derzeit einzuschätzen sei, mit einem knappe „sehr hoch“ antwortete. 

Unterdessen hat Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg juristische Schritte gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eingeleitet. Konkret forderte Rautenberg die Behörde auf, alle Daten über Asylbewerber herauszugeben, die in der Zeit vom 5. September bis zum 22. Dezember 2015 mit der Bahn aus Ungarn oder Österreich nach Brandenburg gelangten. „Ich will wissen, wer genau im Land ist, und ich möchte mir, wenn etwas passiert in unserem Land, nicht vorwerfen lassen, daß ich nicht alles vorher hätte unternehmen können“, sagte Rautenberg dem Sender RBB. 

Bayerische Fahnder hatten in Stichprobenuntersuchungen 19 gefälschte Pässe von Asylsuchenden gefunden, die bereits vom Bamf geprüft worden waren. In Mecklenburg-Vorpommern stellten sich zuletzt 140 von 3.300 kontrollierten Pässen als Fälschungen heraus. In drei Fällen soll es Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat geben. Bundesinnenminister de Maizière hat daraufhin eine umfassende Überprüfung der Verfahren angeordnet. Im Laufe der Woche soll dazu eine Bund-Länder-Besprechung auf Expertenebene stattfinden.