© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Der gute Bulle wird zum Boß
Ulf Poschardt: Sein atemberaubender Aufstieg vom geleimten Redakteur zum Chef der „Welt“
Gernot Facius

Nun also Ulf Poschardt. Der 49 Jahre alte Pop-Philosoph, den die taz noch immer als „jungen Wilden“ vorstellt, steht seit Anfang September als Chefredakteur im Impressum der Welt. Sein Vorgänger Stefan Aust (70) darf bis 2019 Herausgeber bleiben. Der gebürtige Nürnberger Poschardt ist seit 1998 der achte Kapitän auf der Kommandobrücke des schlingernden Springer-Flaggschiffs – nicht gerade ein Ausweis für Kontinuität. 

„Unspektakulär“ nannte der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner die Personalie. So unrecht hat er nicht. Poschardt hat, zuletzt als Vize an der Seite des ehemaligen Spiegel-Chefs, die Verschränkung von Print, Online und des Fernsehsenders N24 mit vorangetrieben, und er war schon lange vor Aust im Hochhaus im Berliner Zeitungsviertel. Warum er aber, trotz der Döpfnerschen Elogen, erst jetzt an die Spitze der „Welt in drei Dimensionen“ (Hausjargon) rückte, darüber wird in der Branche gerätselt. Vielleicht mußte erst die angestrebte Radikalkur absolviert werden: Die Zahl der Ressorts wurde von 14 auf acht reduziert, das Blatt auf einen (gelegentlich seichten) Magazinkurs getrimmt und etwa 50 Stellen geopfert. Dazu war ein harter Hund wie der Mann aus der Augstein-Schule notwendig, der sich auch durch Grummeln und Widerstände in der Redaktion nicht beirren ließ. 

„Eine Arbeitsteilung mit Good Cop Poschardt, dessen Berufung dem Vernehmen nach freudig aufgenommen wurde, würde also Sinn ergeben“, mutmaßte die Süddeutsche Zeitung. Auf jeden Fall ist die interne Personallösung, von einer Werbekampagne unter dem nicht eben originellen Motto „Check die Welt“ begleitet, ein, wenn auch später, Karrieresprung für einen Journalisten, an dem noch heute der Stempel des Lifestyle-Leichtgewichts klebt. 

Mehr noch: Kaum ein Medium, das die Poschardt-Personalie kommentierte, konnte sich einen spöttischen Hinweis auf alte Geschichten verkneifen. Beim Magazin der Süddeutschen war Poschardt auf den Märchenerzähler Tom Kummer hereingefallen. Schlimmer noch: Er verniedlichte Kummers erfundene Interviews mit Größen aus der Film- und Rock-Szene als „Borderline-Journalismus“. 

Wegen dieser Affäre verlor Poschardt seinen Job bei der SZ. Für den Condé-Nast-Verlag versuchte er danach Vanity Fair in Deutschland zu etablieren, ein Magazin für die „Mover und Shakers“, Beweger und Schüttler, der Berliner Republik. 

Die „Welt“ nach Radikalkur mit weniger Personal

Poschardt, der eine Dissertation über die Kulturgeschichte des Diskjockeys abgeliefert hat, versprach journalistischen Wagemut. Er ließ Michel Friedman ein Interview mit Horst Mahler führen, das „spektakulär mißlang“ (FAZ). Das Projekt scheiterte, geschüttelt wurde sein Gründer. Bei Axel Springer wurde ihm 2008 die Chance der beruflichen Resozialisierung zuteil. Der Verlag nahm ihn auf, stellte ihn zunächst in die zweite Reihe, übertrug ihm die Herausgeberschaft für die Musikmagazine Rolling Stone, Musikexpress und Metal Hammer, und verschob ihn später als Vize-Chef zur Welt. 

Am Ende dieser Bewährungsphase steht jetzt die Aust-Nachfolge. Keine leichte Aufgabe. Die Welt leidet mehr als andere Titel der „Qualitätspresse“ unter der Veränderung der Medienlandschaft. Das Internet hat sich die Hoheit über die Nachricht erobert, Zeitungen mutieren zu Hintergrund- und Meinungsgazetten – mit allen Gefahren der Subjektivierung und Profilverwischung. 

Die alte, eher konservativ-liberale Welt-Kundschaft stirbt weg oder wird zumindest weniger. Der Zeitgeist der „bunten Republik“ weht durch die Redaktionen, auch bei Axel Springer. Oft bestimmt das Design das Bewußtsein. Aus Poschardts Compter flossen im Zusammengang der Migrationsdebatte Sätze in die Kommentarspalten, die vor allem auf Altleser verstörend wirkten, genauer: wirken mußten: „Bis auf ein paar Rassisten und Evangelikale weiß das Land auch, daß wir ‘kultur- und raumfremde’ Zuwanderung brauchen, mehr noch: besonders von ihr profitieren können, wenn, ja wenn sich die hier lebenden und arbeitenden Menschen auch aus innerer Selbstverpflichtung heraus mit unserer eher säkularen, pluralistischen Demokratie identifizieren. Im Ideal: an ihr teilnehmen.“ 

Das war nicht der ideologiefreie, pragmatische Blick auf die Gegenwart, den der Chefredakteur einst versprochen hatte. Das war eine Attacke gegen Menschen, die gewisse Utopien nicht teilen. In Erinnerung geblieben ist auch, daß der aktuelle Welt-Chef 2005 zur Bundestagswahl einen Aufruf zugunsten der FDP veröffentlichte. So ganz von ungefähr kam das nicht. 

Er ist gut Freund mit den liberalen Netzwerken der Freidemokraten, er hat gute Kontakte zur Friedrich-Naumann-Stiftung der Liberalen. Ob das auch Einfluß auf seine Personalauswahl hat? Zum 1. Januar 2017 bekommt sein Blatt eine neue Stellvertretende Chefredakteurin. Sie kommt von der Zeit aus Hamburg, heißt Dagmar Rosenfeld und ist die Ehefrau des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner. Schließt sich hier wieder ein Kreis?